Was ist das neue Soziale Entschädigungsrecht?
Das seit 2024 geltende neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) vereint frühere Einzelgesetze, setzt auf schnelle, unbürokratische Hilfe und erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten. Menschen, die unter den Folgen psychischer oder sexualisierter Gewalt leiden, Kriegsopfer und deren Hinterbliebene sowie Angehörige und Hinterbliebene der genannten Gruppen können Entschädigungen erhalten. Auch Opfer von psychischer Gewalt wie zum Beispiel Stalking werden nun einbezogen.
Zuvor regelte das Opferentschädigungsgesetz (OEG) die Versorgung von Opfern vorsätzlicher, rechtswidriger Gewalttaten. Nach dem alten Opferentschädigungsgesetz waren nur körperliche Gewalttaten entschädigungsfähig.
Wer kann einen Antrag stellen?
Das SGB XIV wendet sich an ein breites Spektrum von Betroffenen. Es hilft Personen, die in Deutschland Opfer einer Gewalttat geworden sind und dadurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen. Wurde die Tat im Ausland begangen, können Deutsche und in Deutschland wohnende Ausländer dennoch einen Anspruch nach dem SGB XIV haben. Dabei muss allerdings zunächst geprüft werden, ob auch eine Entschädigung nach ausländischem Recht in Betracht kommt.
Geflüchtete aber, die eine gesundheitliche Schädigung durch eine Gewalttat vor der Einreise nach Deutschland erlitten haben, fallen nicht unter das SGB XIV.
Wie ist der Weg zur Unterstützung?
Um Hilfe zu erhalten, reichen Sie einen Antrag bei dem in Ihrem Bundesland zuständigen Versorgungsamt ein. Das geht auch online und vorerst ohne vollständige Unterlagen.
Zunächst wird geprüft, ob eine Anspruchsberechtigung vorliegt, hierzu werden Zeugen befragt, Arztbriefe und gegebenenfalls polizeiliche Unterlagen angefordert. Eine gute Nachricht für Betroffene: Bei psychischen Traumafolgen gelten jetzt erleichterte Beweisregeln.
Wird der Anspruch bejaht, folgt ein Termin mit einem ärztlichen Gutachter, um den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) zu bestimmen. Dieses Gespräch kann für Betroffene belastend sein. Liegt der Grad der Schädigungsfolgen bei 30 oder höher, ergibt sich eine Entschädigungszahlung.
Bis zu einem Bescheid können gut und gerne anderthalb Jahre vergehen. Die Zeit bis dahin kann sehr belastend sein, und es schadet nicht, sich Unterstützung bei Beratungsstellen zu holen. Während des Antragsprozesses steht Ihnen ein behördlicher Fallmanager zur Seite, der für alle Ihre Fragen zuständig ist.
Mehr als nur finanzielle Hilfe
Das SGB XIV bietet ein breites Spektrum an Unterstützungsleistungen:
- Gestaffelte monatliche Entschädigungszahlungen: Je nach Grad der Schädigungsfolgen (GdS) erhalten Betroffene zwischen 418 Euro (GdS 30-40) und 2091 Euro (GdS 100) monatlich, steuer- und abschlagsfrei. Diese Zahlung kann auch von Grundsicherung oder Bürgergeld nicht abgezogen werden.
- Berufsschadensausgleich: Dieser gleicht Einkommensverluste aus, wenn die berufliche Entwicklung durch die Schädigung beeinträchtigt wurde.
- Kostenlose Traumaambulanzen für schnelle psychologische Hilfe
- Umfassende medizinische Rehabilitation
- Teilhabeleistungen wie Assistenzdienste oder Wohnungsanpassungen
Beratungsstellen: Wer kann mir dabei helfen?
Zahlreiche Organisationen unterstützen Betroffene von Gewalttaten im Rahmen des Sozialgesetzbuchs XIV (SGB XIV). Hier seien nur überregionale genannt, aber auch weitere örtliche Beratungsstellen bieten Hilfe.
Der Weisse Ring bietet umfassende Beratung und Begleitung für Opfer von Straftaten. Dazu gehören persönliche Gespräche, Hilfe bei der Antragstellung nach SGB XIV sowie psychosoziale Unterstützung.
Telefon: 116 006 (kostenfrei und anonym, täglich von 7 bis 22 Uhr)
Der Verein bff – Frauen gegen Gewalt unterstützt insbesondere Frauen, die Opfer von sexualisierter oder häuslicher Gewalt geworden sind. Er bietet Praxishandreichungen und Flyer zum SGB XIV sowie Beratung in spezialisierten Fachberatungsstellen.
Der KOK – Koordinierungskreis gegen Menschenhandel berät Betroffene von Menschenhandel und arbeitet eng mit Fachberatungsstellen zusammen, um die Antragstellung und Begleitung im Verfahren zu erleichtern.
Eine Übersicht über Opferbeauftragte und zentrale Anlaufstellen der Bundesländer für Betroffene terroristischer und extremistischer Straftaten im Inland bietet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf der Website hilfe-info.de.
Der Missbrauchsfonds der Bundesregierung
Im Gegensatz zum SGB XIV begründen die nachfolgend genannten Entschädigungen keinen Rechtsanspruch, sondern sollen lediglich das erlebte Leid anerkennen.
Wer hilft mir bei sexuellem Missbrauch?
Das zentrale Bundesportal hilfe-portal-missbrauch.de bietet eine deutschlandweite Datenbank mit spezialisierten Beratungsstellen, Informationen zu Krisendiensten, Therapeuten und Anwälten, umfassende Informationen zu Themen wie Hilfe in Krisen, Beratung, Therapie, Recht und finanzielle Hilfen. Die Beraterinnen sind psychologisch und pädagogisch ausgebildet und verfügen über langjährige Erfahrung. Sie bieten vertrauliche Gespräche, in denen sie zuhören, beraten und auf Wunsch Hilfsangebote vor Ort vermitteln.
Das Hilfetelefon ist unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530 erreichbar:
Montags, mittwochs, freitags: 9 bis 14 Uhr Dienstags, donnerstags: 15 bis 20 Uhr
Für Menschen, die lieber schreiben als sprechen, gibt es eine Onlineberatung für Jugendliche und Erwachsene. Diese ist vertraulich und datensicher.
Menschen, die als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt im familiären Umfeld oder in Institutionen wie Schulen, Kirchen oder Ferienfreizeiten erlitten haben, können bis zum 31. August 2025 finanzielle Unterstützung durch den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) beantragen. Mit diesem Fonds möchte die Bundesregierung Betroffenen helfen, die Folgen des Erlebten zu lindern, und ihnen den Zugang zu Hilfsmaßnahmen erleichtern.
Betroffene können bis zu 10.000 Euro für Unterstützungsleistungen beantragen. Falls ein behinderungsbedingter Mehraufwand besteht, können zusätzlich 5000 Euro gewährt werden. Die Leistungen umfassen eine Vielzahl von Hilfen, darunter sind etwa therapeutische Maßnahmen wie Psychotherapie oder Physiotherapie, Sachleistungen, die zur Stabilisierung beitragen (z. B. ein Laptop oder Möbel) oder Einzelzimmer bei Klinikaufenthalten oder andere spezifische Bedarfe.
Anders als bei vielen anderen Entschädigungsverfahren ist keine Begutachtung der Antragstellenden erforderlich. Die Entscheidung erfolgt auf Grundlage der eingereichten Unterlagen oder nach einer persönlichen Anhörung durch eine Anerkennungskommission. Um einen Antrag zu stellen, müssen Betroffene plausibel darlegen, dass sie sexualisierte Gewalt erlebt haben und weiterhin unter den Folgen leiden. Es ist nicht notwendig, den Täter oder die Täterin namentlich zu benennen. Als Nachweise können beispielsweise Arztbriefe, Klinikberichte oder Gerichtsurteile eingereicht werden.
Darüber hinaus muss die Krankenkasse bestätigen, dass sie keine weiteren Therapiestunden übernimmt, falls therapeutische Maßnahmen beantragt werden.
Es handelt sich hierbei nicht um eine rechtliche Entschädigung im klassischen Sinne, sondern um eine "Anerkennung des Leids", das den Betroffenen widerfahren ist. Die Antragstellung kann emotional belastend sein – deshalb stehen über 160 Beratungsstellen deutschlandweit bereit, um Betroffene bei diesem Prozess zu unterstützen. Diese Hilfe ist freiwillig und kostenfrei.
Weitere Informationen erhalten Sie über das kostenfreie Infotelefon unter 0800 400 10 50. Auf der Website des Fonds finden Sie auch den Onlineantrag.
Wichtige Fristen und Bearbeitungszeiten
Erstanträge können nur noch bis zum 31. August 2025 gestellt werden. Auszahlungen sind nur noch bis zum 31. Dezember 2028 möglich.
Anträge sollen im Regelfall innerhalb von drei Monaten bearbeitet und entschieden sein. Eingereichte Rechnungen, etwa für therapeutische Maßnahmen, werden in der Regel innerhalb von bis zu sieben Wochen erstattet.
Entschädigungen der evangelischen Kirche
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat ein zweistufiges Entschädigungsmodell entwickelt, um Menschen zu unterstützen, die sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext erfahren haben. Ab Januar 2026 soll dieses neue Modell als Geste der Anerkennung dienen und bietet Betroffenen sowohl schnelle als auch individuelle Hilfe, die sich an ihren persönlichen Bedürfnissen orientieren soll. Bis dahin empfiehlt es sich, die offiziellen Kanäle der EKD und der jeweiligen Landeskirchen im Auge zu behalten, um aktuelle Informationen zur Verfügbarkeit des Antragsformulars zu erhalten.
Stufe 1: Pauschalbetrag von 15.000 Euro
Betroffene können unabhängig von weiteren Voraussetzungen einen einmaligen Pauschalbetrag von 15.000 Euro beantragen. Diese Zahlung soll unkompliziert erfolgen und das erlittene Leid anerkennen.
Voraussetzung: Die sexualisierte Gewalt muss im kirchlichen Umfeld stattgefunden haben, etwa in einer Gemeinde, Schule oder Einrichtung der EKD. Eine plausible Schilderung der Tat reicht aus – eine Nennung des Täters oder der Täterin ist nicht erforderlich. Es erfolgt keine Begutachtung der Betroffenen; die Entscheidung basiert allein auf den eingereichten Unterlagen.
Stufe 2: Individuelle Entschädigung von maximal 50.000 Euro
Zusätzlich zum Pauschalbetrag können Geschädigte eine individuelle Entschädigung beantragen, die speziell auf ihre persönlichen Folgen und Bedürfnisse zugeschnitten ist. Diese Zahlungen sollen konkrete Belastungen lindern und den Alltag erleichtern.
Zu den möglichen Leistungen gehören etwa die Finanzierung von Therapien, medizinischer Hilfsmittel, Unterstützung bei Umschulungen oder Weiterbildungen, Anpassungen im Wohnraum oder die Übernahme der Reisekosten zu Beratungsstellen oder Therapien. Die Höhe der individuellen Entschädigung wird je nach Bedarf festgelegt, wobei der Gesamtbetrag (inklusive Pauschale) maximal 50.000 Euro beträgt.
So funktioniert die Antragstellung
- Antragsformular ausfüllen
- Einreichung der Unterlagen mit plausibler Schilderung des Missbrauchs
- Nachweise über die Folgen (ärztliche Stellungnahmen, Klinikberichte)
- Bei Therapiekosten: Ablehnungsbescheid der Krankenkasse oder Behandlungsplan
- Bestätigung des kirchlichen Bezugs durch die betroffene Einrichtung
Die Prüfung erfolgt durch eine unabhängige Anerkennungskommission, deren Mitglieder nicht in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt sind, um maximale Neutralität zu gewährleisten.
In Stufe 1 wird ausschließlich nach Aktenlage entschieden. In Stufe 2 kann eine persönliche Anhörung stattfinden, um den individuellen Bedarf besser zu verstehen.
Beratung und Unterstützung bei der Antragstellung bieten die Geschäftsstellen der Landeskirchen und des Diakonischen Werks an.
Suchen Sie nach einem Ansprechpartner außerhalb der Kirche? Die Zentrale Anlaufstelle.help (künftig KuBuS) ist eine bundesweite Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie, aber unabhängig von der Kirche. Die Mitarbeiter kennen sich in der kirchlichen Struktur aus, vermitteln an die richtigen Stellen und leiten durch den Antragsprozess.
Telefon: 0800 5040 112 (kostenlos und anonym)
Entschädigungen der katholischen Kirche
Der Eckige Tisch bietet Betroffenen von sexualisierter Gewalt im Kontext der katholischen Kirche eine Plattform und setzt sich aktiv für Gerechtigkeit und strukturelle Veränderungen ein.
Telefon: 030 232 555 770 (Montag bis Freitag, 10–14 Uhr)
Die katholische Kirche in Deutschland selbst hat verschiedene Maßnahmen eingeführt, um Menschen zu unterstützen, die sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext erfahren haben. Dabei gibt es sowohl Anerkennungszahlungen als auch die Möglichkeit, zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Diese Zahlungen sollen das Leid anerkennen und Betroffenen helfen, die Folgen des Missbrauchs zu bewältigen.
Freiwillige Anerkennungszahlungen der katholischen Kirche
Die katholische Kirche bietet eine freiwillige Leistung an. Diese Zahlungen erfolgen ohne Rechtsanspruch und werden durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) geprüft. Ein Onlineverfahren gibt es dazu nicht. Alle Diözesen bieten jedoch Ansprechpartner. Diese Personen füllen den Antrag gemeinsam mit dem Betroffenen aus und leiten diesen an die UKA weiter.
Im Durchschnitt wurden in den vergangenen Jahren 22.150 Euro pro Fall gezahlt. In besonders schweren Fällen können die Beträge deutlich höher ausfallen – etwa über 100.000 Euro. Eine Höchstgrenze gibt es nicht; die Bemessung orientiert sich an staatlichen Schmerzensgeldurteilen, meist am oberen Rand.
Die sexualisierte Gewalt muss im kirchlichen Kontext stattgefunden haben, etwa in einer Gemeinde, Schule oder Einrichtung der katholischen Kirche. Eine plausible Schilderung des Missbrauchs reicht aus; eine Nennung des Täters ist nicht zwingend erforderlich.
Zivilrechtliche Ansprüche und Schmerzensgeldprozesse
Neben den freiwilligen Anerkennungszahlungen können Betroffene ihre Ansprüche auch zivilrechtlich geltend machen und auf Schmerzensgeld klagen. In solchen Fällen entscheidet ein staatliches Gericht über die Höhe der Entschädigung.
Im Jahr 2023 entschied beispielsweise das Landgericht Köln, dass das Erzbistum Köln einem Betroffenen 300.000 Euro zahlen musste. In einigen Fällen wurde durch die Kirche auf die "Einrede der Verjährung" verzichtet, wodurch ältere Ansprüche doch noch geltend gemacht werden konnten.
So geht es:
- Antragstellung: Anträge werden über die Ansprechpartner der jeweiligen Bistümer oder Ordensgemeinschaften eingereicht. Es müssen plausible Angaben zum Missbrauch gemacht werden, ergänzt durch Nachweise wie ärztliche Stellungnahmen oder Klinikberichte.
- Prüfung: Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen entscheidet über die Höhe der Zahlung. Bei besonders komplexen Fällen können zusätzliche Anhörungen stattfinden.
- Auszahlung: Nach Bewilligung erfolgt die Auszahlung direkt an die Betroffenen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bietet die offizielle Broschüre zum Sozialen Entschädigungsrecht zum Download an.