Klimakrise
Wütende aller Länder, vereinigt euch!
Eine Studie zeigt: Die menschengemachte Erderhitzung lässt kaum jemanden kalt. Aber unsere Gefühle zu diesem Thema behalten wir oft für uns. Warum das ein Fehler ist, lesen Sie in unserem Kommentar
Klimastreik von Fridays For Future mit über 13.000 größtenteils jungen Menschen in Berlin
Klimastreik von Fridays For Future in Berlin
picture alliance/Dominik Butzmann
Tim Wegner
09.04.2025
4Min

Die Welt im April 2025: Im Nordwesten Indiens herrschten am 6. April weit über 40 Grad. Eckart von Hirschhausen schrieb bereits vor Jahren: "Jedes analoge Fieberthermometer endet bei 42 Grad. Kein Zufall. Jemand, der sechs Grad über der normalen Körpertemperatur liegt, ist nicht doppelt so krank wie jemand mit drei Grad ­drüber. Er ist doppelt so tot." Der Mediziner schlussfolgert: Temperaturen von deutlich über 40 Grad könne das menschliche Gehirn auf Dauer nicht überleben. Wer sich länger draußen aufhält, riskiert sein Leben.

Während auf vielen griechischen Inseln nach verheerenden Regenfällen noch die Aufräumarbeiten laufen, verzeichnet Hamburg gerade ein Regendefizit. Seit Anfang Februar fehlen dort 100 Liter Wasser pro Quadratmeter, die es normalerweise in diesem Zeitraum vom Himmel geregnet hätte. Weiter südlich führt der Bodensee Niedrigwasser. Es stinkt, weil Algen trockenliegen und vergammeln.

Überall auf der Welt sind Wetterextreme zu beobachten. Es wird eine Weile dauern, ehe Attributionsforscherinnen wie Friederike Otto sicher sagen können, ob der menschengemachte Klimawandel die einzelnen Extreme verursacht oder verschärft hat. Aber schon die Summe der Ereignisse spricht eine deutliche Sprache: Das Klima kippt.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie das lesen? Ich werde wahlweise müde oder traurig. Ich habe drei Kinder. Welche Welt finden sie vor? Dann wieder werde ich wütend. Innerhalb von wenigen Tagen macht die Politik Milliarden Euro für die Verteidigung locker mit alten Mehrheiten im Bundestag und einer Debatte, die den Namen nicht verdient. Das müsse nun eben so sein, es bleibe keine Zeit. Wie drängend soll denn die Klimakrise noch werden, ehe sie den Sachzwang begründet, sofort handeln zu müssen? Die 100 Milliarden, die im sogenannten Investitionspaket für den Klimaschutz vorgesehen sind, erweisen sich beim genaueren Hinsehen nur als Trostpflaster. Auf zwölf Jahre gerechnet sind es pro Jahr 8,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Flut im Ahrtal und der Erft im Juli 2021 verursachte Schäden in Höhe von 40,5 Milliarden Euro – in nur wenigen Tagen.

Lesen Sie hier: Warum uns Bremser des Klimaschutzes immer wieder mit Verzögerungsstrategien verführen können

Wen angesichts all dessen Wut oder Trauer überkommen, findet einen Trost: Man ist mit diesem Gefühl nicht allein. Dieser Tage ist eine Studie erschienen, der eine Befragung von mehr als 30.000 Menschen aus 30 Ländern zugrunde liegt. Die Forschenden haben nach den Gefühlen in Bezug auf die Klimakrise gefragt. Es zeigen sich interessante Ergebnisse: In Italien, Spanien und Griechenland reagieren 60 Prozent und mehr der Befragten mit Wut auf die Klimakrise. In Deutschland sind es 42 Prozent. Hierzulande überkommen mehr als 50 Prozent die Trauer, wenn sie an das Thema denken. Generell zeigt sich: Je stärker eine Region bereits heute unter den Folgen der menschengemachten Erderwärmung leidet, desto stärker sind auch die Gefühle.

Wut und Trauer – das sind keine positiv besetzten Gefühle. Man will sie eigentlich schnell loswerden. Aber gerade deshalb können sie Treiber eines Aufbruchs sein – um aktiv zu werden, sich zusammenzuschließen. Wenn wir uns mit unseren Klimagefühlen zu erkennen geben, werden wir Gleichgesinnte finden, auch wenn viele das nicht glauben. Denn andere Studien und Befragungen belegen schon länger: Wir unterschätzen die Bereitschaft unserer Mitmenschen, etwas gegen die Krise tun zu wollen. So zeigen Zahlen aus den tief zerstrittenen Vereinigten Staaten: Die US-Amerikaner schätzen die Unterstützung ihrer Landsleute für unterschiedliche Klimaschutzmaßnahmen auf lediglich 37 bis 43 Prozent. Tatsächlich ist die Unterstützung aber teilweise doppelt so hoch. Sogar in den USA!

Weil wir glauben, mit unseren Gefühlen zu einer Minderheit zu gehören und auf Ablehnung zu stoßen oder in Streit zu geraten, machen wir vieles mit uns selbst aus. Das ist ein Fehler! Denn allein können wir nichts bewirken und werden die Politik nicht dazu bringen, endlich schneller zu handeln und in der Klimapolitik einen mutigen Kurs vorzugeben. Sie muss das wichtigste Thema sein.

Es gibt ja durchaus Fortschritte: Ganze Landkreise sind bereits unabhängig und produzieren mehr Strom, als sie verbrauchen können. Und das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ermittelt: Jeder Euro, den Europa weniger für Öl ausgibt, spült 13 Cent weniger in die russische Kriegskasse und vermindert hier den Druck, immer mehr Geld für Rüstung ausgeben zu müssen.

Ein kleiner erster Schritt ist also: Wir müssen lernen, miteinander über das Offensichtliche zu reden: "Mir macht das Angst, wenn ich diese Dürre sehe. Wie geht es dir?" Nur so können wir Veränderungen anstoßen, von denen wir am Ende alle profitieren. Also: Wütende aller Länder, vereinigt euch!

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