Elke, was rätst du Paaren, die zu dir kommen und beklagen, dass ihre Lust, ihre Erotik und der gemeinsame Sex verloren gegangen sind?
Elke Franzki: Ganz wichtig ist am Anfang, die vielen möglichen Ursachen gemeinsam zu erforschen. Einen neuen Weg zu formulieren und dann kleine "Trainings" in den Alltag integrieren. Zum Beispiel beim morgendlichen Abschied. In Gedanken ist sie schon im Meeting, er beim nächsten Auftragsgespräch. Dann gibt es so ein Mini-Vogel-Pick-Küsschen auf den Mund, und weg sind die beiden. Ich rate: Nehmt euch sechs Sekunden, ein zarter Kuss auf die Lippen und danach: sich in die Augen gucken. Das geht auch mal zwischendurch und abends zur Begrüßung.
Elke Franzki
Und dann springen die beiden lusterfüllt ins Bett?
Könnte sein, muss es aber gar nicht. Sexualität ist so viel mehr als Beischlaf und Penetration. Bei einem richtigen Kuss auf den Mund aktiviere ich die sensiblen Nervenendigungen in den Lippen, das kann manchmal bis zum Genital zu spüren sein. Mit so einem Gefühl in meinem Körper gehe ich ganz anders durch den Tag.
Das hört sich an wie ein Rezept.
Ist es ja auch. Und hier gleich noch eines: sich einen Song lang umarmen, täglich wiederholen. Das eine Mal umarmt er sie, das andere Mal sie ihn. Immer schön abwechseln.
Wir reden viel von heterosexuellen Paaren. Kommen auch schwule Männer- und lesbische Frauenpaare zu dir?
Nicht so viele, aber ich weiß natürlich, dass es da ähnliche Probleme gibt, und so gelten meine Tipps auch für sie.
Und Singles?
Ein sinnliches, erotisches Leben tut immer gut. Es macht uns auch gesünder. Und eigentlich ist unser "erotisches Selbst" sehr einfach zu wecken. Frauen können sich zum Beispiel beim Duschen mit einem Duschschaum am ganzen Körper berühren, die Vulva leicht massieren; den Busen mit Schaum verwöhnen, sich hinterher am ganzen Körper sorgfältig eincremen, auch dabei die Vulva nicht vergessen. Ich empfehle zum Beispiel regenerierendes Granatapfelöl. Das weckt auch die erregungssensiblen Nervenendigungen in diesem Bereich des Körpers.
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Und Männer?
Die können unter der Dusche ihren Penis freundlich begrüßen, ihn streicheln, liebkosen, ohne gleich zu masturbieren. All das, der Sechs-Sekunden-Kuss, die Umarmung, das sinnliche Duschen, setzt das Hormon Oxytocin, unser Bindungshormon, frei und macht uns ausgeglichener.
Schön und gut, doch das Paar, beide um die 70, seit 30 Jahren verheiratet, will endlich wieder richtigen Sex …
Sie können sich verabreden! Wenn sie in der Rente sind, können sie die Mittagspause nutzen. Sex muss nicht spontan sein. Das gilt auch für junge Eltern. Das Mittagsschläfchen vom Baby am Sonntag ist ideal für einen schönen verabredeten Sex miteinander. Bei größeren Kindern kann man sich zum Mittagsschlaf zurückziehen, das wird akzeptiert und bedarf keiner langen Erklärung.
Ich muss eh schon den ganzen Tag planen. Jetzt auch noch den Sex?
Immer ist was anderes wichtiger. "Falsch", sage ich dann meinen Klientinnen und Klienten. Plant den Sex weit vorn in der To-do-Liste. Seid es euch wert, sprecht euch ab, baut kleine Überraschungen ein: ein sexy Dessous vielleicht, oder - es ist nicht meine erste Empfehlung - probiert auch Sexspielzeuge aus. Und vor allem: Redet über eure Wünsche, denn die ändern sich während des Lebens und erst recht mit dem Alter. Sexualität entwickelt sich lebenslang. Genau wie beim Fitnesstraining müssen wir uns jeder neuen Lebensphase anpassen. Ich jogge auch nicht mehr wie mit 20. Genauso ist mein Sex heute anders als mit 20. Und ich würde sagen, viel genussvoller.
Bei Frauen in den Wechseljahren ist Sex oft schmerzhaft, weil die Scheide so trocken ist. Was dann?
Da hilft eine bioidentische Östrogencreme. Die wirkt lokal über die Schleimhaut der Vulva und Vagina. Erhöht nach allen Studien das Brustkrebsrisiko nicht! Legt euch Gleitcremes in den Nachttisch, die unterstützen die Geschmeidigkeit. Bei fehlender Libido kann Männern, nach Ausschluss anderer Ursachen, auch Testosteron verordnet werden. Und zur Verbesserung der Erektion gibt es neben dem bekannten Viagra mittlerweile auch bessere Folgepräparate. Fragt eure Frauenärztin oder euren Urologen, lasst euch beraten.
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Hormone? Ein heiß umstrittenes Thema …
Ich bin 73, nehme seit den Wechseljahren Hormone. Die lassen sich sehr gut dosieren und ich sehe da für mich persönlich keine gesundheitlichen Probleme. Im Gegenteil, die Hormone helfen gegen Osteoporose und vieles mehr. Doch das Thema ist außerordentlich umstritten und es gibt Kontraindikationen, das weiß ich. Ich empfehle, sich wirklich gut zu informieren.
Hilft alles nichts. Das Paar ist weiter unglücklich.
Dann können sie sich beraten lassen. Sexualtherapie ist mittlerweile wirklich gut in den meisten großen Städten zu finden. Und spätestens seit Corona gibt es auch viel Onlinehilfe, gute Podcasts und Webseiten.
Muss ich Sex haben für ein erfülltes Leben?
Wenn es dir oder euch nicht fehlt, wenn ihr euch auch so wohlfühlt oder auch du allein – nein, natürlich nicht. Es gibt so viele schöne Dinge, die uns glücklich und erfüllt machen. Gemeinsames Essen zum Beispiel, so heißt es immer, sei der Sex des Alters. Alle meine Tipps und Ratschläge gelten für Menschen, die ein Defizit in ihrem Leben spüren. Ihnen rate ich: Wenn euch die Erotik und Lust fehlen, dann holt sie euch zurück. "Sex-sprechen", Erotik genießen, auch darüber Verbundenheit und Liebe spüren – das lässt sich wieder erlernen. Und zwar in jedem Alter.
Dieses Interview erschien erstmals am 21.11.2023.
Lust im Alter
Es gibt einen wunderschönen Film von Andreas Dresen zum Thema Lust und Sex und Beziehungen im Alter: WOLKE 9
Sehr empfehlenswert!
VG und schönes Wochenende
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