Cover des Buchs "Klaer mich auf"
Klett Kinderbuch
"Tut das weh?"
Was Kinder schon immer über Sex wissen wollten, das erklärt ihnen Katharina von der Gathen – mit Humor, aber ganz ernsthaft
03.03.2015

chrismon: Eine von 101 Kinderfragen, die Sie in Ihrem Buch „Klär mich auf“ beantworten, heißt: Ist Sex so wichtig? – Ist er das?

Katharina von der Gathen: Kinder wundern sich oft, dass Erwachsene dieses Thema so ernst nehmen. Sie fragen zum ­Beispiel: „Kann man Kinder nicht auch ohne Sex kriegen?“ Kinder können sich oft erst mal nicht vorstellen, dass Sex schön sein kann. Das kommt ihnen alles etwas komisch vor.

Als Sexualpädagogin gehen Sie in Grundschulen und klären ­Kinder auf. Sind sie dann nicht noch zu klein?

Nein, Kinder ab neun, zehn Jahren sind genau im richtigen Alter. Grundschulkinder haben noch nicht die Hemmungen und Schwierigkeiten, die die Pubertät mit sich bringt. Sie sind meist sehr neugierig und offen. Das ist eine ganz tolle Zeit, die man gut nutzen kann, um sie auf all das, was sich in der Pubertät verändern wird, vorzubereiten. Hier setze ich an, um ihnen eine Art Basiswissen zu Körperlichkeit und Sexualität zu vermitteln.

Woher haben Sie die Kinderfragen in Ihrem Buch?

Während meiner Unterrichtsprojekte stelle ich einen kleinen Briefkasten auf, in den Kinder die Fragen werfen können, die sie gerade beschäftigen oder die sie schon immer mit sich herumgetragen haben. Anonym natürlich. Bei Grundschulkindern ist die Begeisterung oft so groß, dass sie gerne vorpreschen: „Diese Frage ist von mir!“ Aber ich sage ihnen dann, dass das nicht wichtig ist. Mein Versprechen gilt: Jede Frage wird beantwortet. Ich bereite mich zu Hause vor, denn über manche Fragen muss ich länger nachdenken.

Und aus diesen Fragen haben Sie das Buch entwickelt?

Ja, es ist mittlerweile ein Karteikasten mit 200 Fragen. Daraus ist das Buch entstanden, das ja wie ein Block aussieht und wie ein Kalender funktioniert. Jeweils auf der Vorderseite steht eine der Kinderfragen in Original-Rechtschreibung mitsamt einer Zeichnung von Anke Kuhl. Auf der Rückseite kann man die Antwort finden.

Warum so?

Auf diese Weise kann sich ein Kind erst mal von der Zeichnung inspirieren lassen und sich selbst Gedanken über die Antwort machen. Und wenn es eine Frage nicht interessiert, kann es einfach weiterblättern, bis es irgendwo hängenbleibt und die Antwort auf der Rückseite lesen möchte. So wird es zu nichts gezwungen.

Was ist das Besondere an den Zeichnungen von Anke Kuhl?

Ihr Humor. Wenn Sie etwa zur Frage: „Was ist ein Kaiserschnitt?“ einen Kaiser mit Schere zeichnet. Oder die Frage „Warum stöhnen alle beim Sex?“ mit einem Kind illustriert, das seine Eltern am Frühstückstisch fragt: „Hattet ihr heute Nacht Alpträume?“ Humor ist mir auch in meinen Projekten immer ganz wichtig. Auch mal Peinlichkeit weglachen – das ist absolut notwendig. Und das geht mit diesen Zeichnungen wirklich ganz wunderbar.

Kinder haben Würfelwissen

Ende Februar ist „Klär mich auf“ als Hörbuch erschienen. Wie finden Sie die Umsetzung?

Sehr gut gelungen. Kinder lesen die Fragen vor: So wirken sie authentisch, ganz natürlich. Man hört auch, dass die Kinder Spaß daran haben, sie zu stellen. Das ist eine Art Äquivalent zu den lustigen Zeichnungen von Anke Kuhl. Schauspielerinnen und Schauspieler mit ganz verschiedenen Stimmen und Stimm­lagen lesen die Antworten. Manche klingen lustig, manche seriös, manche auch ganz jugendlich. Das spiegelt, wie Kinder die Erwachsenenwelt erleben – eben mit ganz unterschiedlichen Erwachsenen.

Im Buch kann man blättern, bis man an einer Frage hängenbleibt, die einen interessiert. Geht dieser Effekt im Hörbuch nicht verloren?

Ich glaube kaum, dass jemand die ganze CD durchhört – auch wenn nach etwa zehn Fragen immer eine Entspannungsmusik eingebaut ist. Das ist auch nicht nötig, denn es gibt ein Booklet, in dem alle Fragen aufgeführt sind. So kann man sich also auch beim Hörbuch die raussuchen, die einen interessiert.

Warum ist es wichtig, bereits Kindern Fragen zu Sexualität zu beantworten?

Sie bringen alle eine Art Würfelwissen mit: Zu Hause haben sie etwas gehört oder aufgeschnappt, haben große Antennen für das, was auf dem Schulhof geschieht, sehen Bilder und hören Geschichten von älteren Kindern. Das sind viele Eindrücke und daraus ergeben sich Fragen und formieren sich Vorstellungen. Und damit sollten Kinder nicht alleine bleiben.

Wie gehen Sie vor?

Ich rede mit den Kindern über den Körper von Männern und Frauen, über die Veränderungen in der Pubertät, über Gefühle, Liebe, Sexualität von Erwachsenen, Schwangerschaft und Geburt. Ich versuche, sie ihnen möglichst konkret begreifbar zu machen und ihnen zu zeigen, was das mit ihnen selbst zu tun haben wird. Ich habe beispielsweise eine große Gebärmutter genäht, in der die Kinder den Zyklus mit kleinen Tischtennisbällen nachspielen können. Das fasziniert sie.

Erleben Sie Mädchen und Jungen in Ihren Projekten unterschiedlich?

Ich erlebe beide gleich neugierig. Und zwar sowohl auf das eigene Geschlecht als auch auf das andere. Sie fragen sich: Wie fühlen die Mädchen, was fühlen die Jungen? Wie ist es, wenn ein Mädchen in der Pubertät ihre Tage bekommt und ein Junge seinen ersten Samenerguss? Das ist sehr spannend für sie.

Ab wann und wie sollten Eltern ihre Kinder aufklären?

Es gibt meist nicht das eine tolle große Gespräch, was viele Eltern vielleicht im Kopf haben. Aufklärung findet nebenher und von Klein auf statt. Im Alltag und in Familiensituationen. Wie gehen wir mit Nacktheit um? Wie bezeichnen wir unsere verschiedenen Körperteile? Haben wir überhaupt Begriffe außer „da unten“? Gibt es vielleicht Kose­wörter? Wie drücken wir unsere Gefühle aus? Wie spricht man in der Familie miteinander? Soll man sexualisierte Werbung, der man überall begegnet, kommentieren? All das gehört schon zur Aufklärung.

Welche Erklärungen überfordern Kinder?

Ich glaube, wir sollten nicht so viel Angst davor haben, Kindern beim Thema Sexualität zu viel zuzumuten. Wir kommentieren doch ständig alles. Wenn wir beispielsweise auf einen Herbstspaziergang gehen, sagen wir, das ist ein Buchenblatt, das ein Ahornblatt und das eine Kastanie. So natürlich sollten wir auch mit dem Körper und Gefühlen umgehen. Kinder nehmen ohnehin nur auf, was ihnen spontan wichtig ist, den Rest lassen sie fallen.

Klär mich auf

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Katharina von der Gathen: Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema.

Mit Illustrationen von Anke Kuhl. Klett-Verlag, 208 Seiten, 14,95 €. Auch als Hörbuch. Sprecherinnen: Annett Louisan, Nina Petri u. a.; Musik: Markus Langer. Oetinger-Audio Verlag 2015, 70 Minuten; 12,99 €  

Was geschieht, wenn Eltern das Thema eher aussparen?

Viele Kinder lernen, ihre Fragen nicht zu stellen, weil Erwachsene sie entweder ignorieren, verniedlichen oder sich sogar darüber lustig machen. Aber Eltern muss klar sein, dass sie ihre Kinder nicht vor dem Thema Sexualität schützen können, dafür findet es zu stark in der Öffentlichkeit statt. Wenn wir uns nicht als Gesprächspartner anbieten, holen sich die Kinder ihre Aufklärung eben woanders.

Wie können Eltern ihre Kinder in der Pubertät unterstützen?

In der Pubertät sind Eltern ja nicht mehr die ersten Ansprechpartner. Wichtig ist, ihnen weiter zu signalisieren, dass man interessiert an ihnen und ihren Fragen ist. Man kann ihnen helfen, indem man Internetadressen heraussucht, bei denen sie sich informieren können, oder ihnen Broschüren oder gute Bücher hinlegt. Den Kindern also Verantwortung für ihre Aufklärung überträgt und sich gleichzeitig als Ansprechpartner anbietet.

Worauf haben Sie bei der Beantwortung der Fragen geachtet?

Die Herausforderung ist die Reduktion auf das Wesentliche. Ich versuche konkret, einfach und verständlich zu beantworten, was Kinder wissen wollen. Knapp und ohne die vielen Nebenaspekte, die uns als Erwachsene noch interessieren.

"Kann man unter Wasser Sex ­machen?"

Was ist die heikelste Frage, die Sie beantwortet haben?

„Was passiert, wenn man schwanger ist und kein Baby haben will?“ Als ich das zu Hause gelesen habe, musste ich erst mal schlucken. Aber dann habe ich gedacht, die Kinder muten mir ja auch diese Frage zu, dann kann und will ich sie auch ganz ehrlich beantworten. Dass es das eben gibt, dass Frauen in einer Situation sind, in der sie nicht wissen, wie sie es schaffen sollen, sich richtig um ein Kind zu kümmern. Und dass sie dann zum Arzt gehen und sich Rat holen können. Dass manche dann Mut fassen, das Baby doch zu kriegen und es vielleicht zur Adoption freizugeben, dass andere aber auch die Schwangerschaft abbrechen und dass es für jede Frau eine schwere Entscheidung ist. Kinder haben ja nicht unseren Erfahrungshintergrund und können letztlich nicht ermessen, was das eigentlich bedeutet. Aber sie dürfen wissen, dass es das gibt.

Welche Fragen spiegeln Sorgen und Ängste wieder?

Zum Beispiel, ob die Geburt weh tut oder warum Frauen aus der Scheide bluten oder auch ob ein Penis zu groß für eine Scheide sein kann. Mit der Beantwortung kann man diffuse Ängste nehmen. Viele Erwachsene sagen mir, dass das Fragen sind, die sie selbst als Kinder mit sich herumgetragen haben.

Was war die lustigste Frage?

Da gibt es viele. „Kann man unter Wasser Sex ­machen?“, „Kann man auch nicht in die Pubertät kommen?“ oder auch „Muss man nackt vögeln?“

Und Ihre Lieblingsfrage?

„Was ist besser: Kind sein oder Erwachsener?“ Schon fast philosophisch. Es hat mir viel Spaß gemacht, darüber nachzudenken.

Wie reagieren Kinder auf das Buch?

Viele Eltern haben mir erzählt, dass ihre Kindern es sich oft gemeinsam mit Freunden angucken und erstmal über die Bilder giggeln. Das ist gut, dazu lädt das Buch ein. Man kann es Kindern einfach in die Hand geben. Andrerseits eröffnen die Fragen weitere Fragen. Wenn Eltern mit ihren Kindern darüber ins Gespräch kommen, schafft das eine große Nähe.

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