Frau mit geblümtem Schleier
plainpicture/Elise Ortiou Campio
Kopftuch an Schulen
Das falsche Vorbild
Lehrerinnen sind Vorbilder. Wenn sie Kopftuch tragen, könnten sie Identitätskrisen von Schülerinnen verstärken. Und Mädchen, die kein Kopftuch wollen, werden im Stich gelassen, fürchtet chrismon-Autorin Canan Topçu. Ein Pro und Contra.
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31.08.2023

Jetzt können sich die Akteure des politischen Islams freuen! Und alle muslimischen Eltern bestätigt sehen, die ihre Töchter zwingen, Haare und Hals zu verhüllen oder sie subtil ans Verhüllen heranführen. Denn seit diesem Schuljahr, also seit Montag, dürfen Lehrerinnen in Berliner Schulen mit Kopftuch unterrichten.

Lesen Sie hier das Pro-Argument: Auch der Islam ist an der Berliner Schulen willkommen

Hingegen werden all die Mädchen und Frauen im Stich gelassen, die dem Zwang zur Verhüllung ausgesetzt sind, weil es angeblich Gottes Wille ist, weil sie sonst angeblich eine Sünde begehen, weil sie sonst angeblich im Höllenfeuer schmoren und ihre eigene und die Ehre der ganzen Familie verletzen.

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Canan Topçu

Canan Topçu, geboren 1965, ist Journalistin und Dozentin mit Schwerpunkt auf Migration, Integration, Teilhabe und muslimisches Leben in Deutschland. Sie lebt in Hanau und arbeitet für unterschiedliche Medien. 2021 erschien ihr Buch "Nicht mein Antirassismus" im Quadriga-Verlag.

Lehrerinnen und Lehrer sollen Vorbilder sein, und für Jugendliche ist es schwer, zwischen der öffentlichen Funktion der Lehrerin und deren privater Haltung zu unterscheiden. Wenn eine Lehrerin Kopftuch trägt, wird dadurch auch das Kopftuchtragen zu einer vorbildlichen Handlung. Und gerade muslimische Mädchen in Identitätskrisen könnten sich daran orientieren, auch auf Social Media werden Hidschabs gehypt, also Frauen, die Kopftuch tragen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit, Aufmerksamkeit und Resonanz macht junge Menschen empfänglich für "Orientierungshilfe" aus der eigenen Community und auch für Ideologien.

Schülerinnen, die kein Kopftuch tragen wollen, werden ihr Vertrauen in "ihre" Schule verlieren und sich schwertun, sich Lehrkräften anzuvertrauen. Für nicht wenige Mädchen ist die Schule der Ort, an dem sie auf Verbündete hoffen und auf Unterstützung, um sich dem Zwang und dem sozialen Druck zum Verhüllen entgegenstellen zu können.

Es gibt kein explizites Verhüllungsgebot im Koran. Gerade akademisch gebildete Frauen könnten das wissen. Sie wissen, wie man sich informiert, und können die betreffenden drei Koranverse und deren Deutung als das analysieren, was sie sind: Verse, aus denen Männer Vorschriften abgeleitet haben, die Frauen zu Objekten reduzieren, um Kontrolle und Macht über sie auszuüben. Es ist kein Geheimwissen, dass es Männer waren, die aus den wenigen Zeilen im Koran dank der Akteure des politischen Islams ein weltweit funktionierendes Unterwerfungsinstrumentarium erschaffen haben. Wer sich freiwillig dem Diktat beugt, macht sich – wie es die feministische islamische Theologin Dina El Omari formuliert - zur Komplizin des Patriarchats.

Was es aber gibt im Koran: einen Vers (Sure 107, Vers 6), der sich gegen das Zurschaustellen von Frömmigkeit ausspricht. Das Tragen des Kopftuchs und erst recht die Ganzkörperverschleierung kann man in diesem Sinne gerade nicht als Gottgefälligkeit sehen, sondern im Gegenteil: als Verstoß gegen Gotteswort.

Ich hatte das Glück, dass ich meine religiöse Erziehung in den 1970er Jahren erhalten habe. Damals hatte der politische Islam noch keine Auswüchse bis nach Deutschland. Meine liberalen und weltoffenen Eltern stellten mir meinen Gott als einen gütigen Gott vor, der von mir nicht erwartet, dass ich aller Welt meinen Glauben an ihn demonstriere, auch nicht, dass ich meine Liebe zu ihm rund um die Uhr durch das Tragen eines Kopftuchs unter Beweis stelle. Für diese Gottesvorstellung lohnt es sich, sich zu engagieren.

 

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Herzlichen Dank für diesen Artikel!

Ich bin auch eine von jenen "autochthonen Deutschen mittleren Alters", von denen die Autorin spricht und ja, auch mich würde eine Lesung von Frau Isik ansprechen.

Eine der zentralen Fragen zu dem Thema ist, wie Frau Isik sagt, daß mit der Verschleierung erst recht eine Sexualisierung des weiblichen Körpers passiert. Was doch angeblich gerade vermieden werden soll. Eine Frau in "normaler" Kleidung und Frisur sticht in aller Regel nicht besonders heraus. Eine super-sexy zurechtgemachte schon. Eine verhüllte aber eben auch. Bei uns. In muslimischen Ländern ist das anders, darüber brauchen wir hier nicht reden.

Nun möchte frau annehmen, daß Eltern nicht wollen können, daß ihre Töchter besonders auffallen. Offenbar ist das nicht so. Und keiner kann mir das hinreichend erklären.

Bei den Aktivitäten an denen ich (68) üblicherweise teilnehme (Senioren-Singen und -Tanzen, Sportverein, Buchclub u.ä.) hat es keine verhüllten Teilnehmerinnen. So daß sich die Gelegenheit zu einem längeren Gespräch nicht ergibt. Als ich das letzte Mal mit einer Kopftuchträgerin sprach war das auf dem Gang einer Klinik, eine Mitpatientin.
Und ich konnte, so sehr ich das wollte, nicht völlig frei von Assoziationen über ihre religiöse Geisteshaltung - die ja hier deutlich symbolisiert wird - mit dieser jungen Frau sprechen. Schade.

Als ich, vor Jahren, mit einer ehemaligen Mitschülerin zusammen im Café saß, dachte ich: was glotzen die denn alle so? Bis mir klar wurde:
meine ehemalige Schulkollegin ist Klosterschwester und sie hatte ihren Habit an. Kein Wunder daß da geguckt wird.
Heute gehen die Klosterschwestern wohl in aller Regel in "zivil"
auf die Straße.

Vor wenigen Jahren produzierte Bayern 2 Radio (womöglich zusammen mit anderen ARD-Sendern) den Podcast "primamuslima". Vermutlich um uns "Mehrheitsgesellschaft" zu zeigen, daß auch Musliminnen "ganz normale Menschen" mit "ganz normalen Problemen" sind. Auch dann wenn sie sich verhüllen.
Hatte ich das vorher bezweifelt? Kaum.
Jetzt weiß ich allerdings, daß zu den "normalen Problemen" einer jungen Muslima verhüllungstechnische dazukommen. Und die sind offenbar nicht von Pappe (und auch nicht ausschließlich aus Stoff...)

In der Öffentlichkeit sehe ich immer wieder aufwendig, auffallend und sorgfältigst geschminkte junge Gesichter - umhüllt von muslimischen Kopftüchern.
Geht mich nichts an, klar. Aber es juckt mich immer zu fragen: "Ihr verhüllt Euer Haupthaar weil Ihr nicht damit Aufmerksamkeit erregen wollt, richtig? Das gibt Euch Eure Religion so vor, soviel ich weiß."
Natürlich trau ich mich nicht, das zu fragen, ich will ja kein Provokateur sein.
Ich bin strikte Agnostikerin. Aber das innere Augenverdrehen kann ich mir oft nicht verkneifen.
Genausowenig wie bei den strenggläubigen Jüdinnen mit ihrem "Sheitl".

Ich bin mit einer sehr streng katholischen Mutter aufgewachsen, die letzten Jahrzehnte war sie gar Mitglied einer katholischen Sekte mit Sitz in Spanien. Die von sich behauptete, den richtigen Papst zu haben. Der in Rom sei der falsche. Und die Vorschriften bzgl. Bekleidung für Frauen und Sexualität waren Legion.
Ich sage das weil es mE zeigt, daß ich zumindest ein bisschen mitreden kann.

https://www.palmarianischekirche.org/

Es freut mich, daß Frau Isik trotz Trennung ihre Kinder sehen kann.
Möge weiterhin ein ebenso spannender wie erfreulicher, erfüllender Lebensweg vor ihr liegen!

Erna Apfelbacher

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Es ist bei allen Kirchen und anderen kirchlichen Instutionen überall das gleiche, man mag keine antichristlichen Meinungen. Der Metzger mag keine Vegetarier. der Frisuer keine Glatzköpfe und die Kirchen keine "Ungläubigen" . Dabei hat doch die Kirche und seine Institutionen erheblich mit der Glaubwürdigkeit ihres Gottes zu kämpfen, aber wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Steht schon in der Bibel und von Lutter bekräftigt. "Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!" Fasziniernd, pecunia non olet. Man nimmt gerne das Geld von den "Ungläubigen"" und das sogar auf eigenartigem juristischen Wege. Artig ist das nicht.
Die Kirche hat schon lange keine Macht mehr über das Volk, die gottgefälligen Gottesdienste werden nicht mehr so wie früher besucht und was früher schwer Sünde war, interssiert die Menschen nicht mehr. Die Kirche selbst hat mehr Sünden begangen und kaum jemand wurde zur Verantwortung gezogen.Kein antikirchliches Buch wird heute noch verboten, die Bibel wurde widerlegt, es kommt kein Gott oder Jesus der bedrängten Kirche zur Hilfe und am besten ist es, man schweigt sich aus. Die Sonne lacht, der Mond zeigt sich in voller Pracht und die Sterne
"erwachen" jeden Abend zu gleichen Zeiten ohne Gottes Hilfe. Ist doch göttlich, gelle?

Mit Feuerbachischen Grüssen
Wolfgang Schäfer

UM GUTES ZU TUN MUSSS MAN KEIN CHRIST SEIN!!!

Die Sicht ist verständlich, zumal sich das, was Glauben nannte, sich selbst widerlegt. Das AT als Vorläufer des NT? Beider Inhalte und Werte sind miteinander unvereinbar. Das Christentum erst seit 0033? Was ist mit allen Anderen? Den Glauben an die Organisation (ROM) und die Dogmen zu binden, ist widerwertig. Lediglich zum perfiden Macht- Vermögenserhalt. Glaube und Dummheit (>> ohne Bildung) als Werkzeuge abscheulicher Charaktere. Einerseits!! Andererseits gab es bisher keine dauerhafte Kultur, die nicht nach Antworten zu unbegreiflichen Zuständen, Mächten und der Zukunft für sich selbst und ihre Mitglieder gesucht hat. Was wir jetzt sehen (Ende von Erbsünde, Teufel, ewiger Verderbnis, Paradies) ist ein Eiertanz auf vielen "Hochzeiten" (Gender, Vegan, LBGQTI) zur Ersatzbefriedigung. "Wir sind auch noch da!!" Bei allen Widerwertigkeiten hat das Christentum aber immer noch Ziele, die der Menschlichkeit und der Demut am nächsten kommen. Demut als Geisteshaltung, um sich nicht selbst als göttlich zu bewerten.

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Chrismon 10.2023
Nein!
Als erstes fiel mir dazu Fatima Mernissi (1940 – 2015), Soziologieprofessorin und islamische Frauenrechtlerin, ein. Sie hatte von ihrer Mutter vermittelt bekommen: „Wehe wenn du deinen Kopf verhüllst. Ich will, dass meine Töchter mit hocherhobenen Köpfen und mit auf die Sterne gerichtetem Blick über Allahs Erde schreiten!“ Was war das für ein Kampf der Frauen und ist es bis heute, z.B. im Iran und Afghanistan. Aber auch in Deutschland, wenn Mädchen in Familien Druck gemacht wird, ein Kopftuch tragen zu müssen.

Ich wünsche mir, dass alle Frauen aus Solidarität mit den heute noch unterdrückten Frauen solange kein Kopftuch tragen, bis die Freiheit gegeben ist, über die Kleidung wirklich selbst entscheiden zu können.

Ich habe 20 Jahre lang an einem Berufskolleg Religion unterrichtet. Im Klassenverband waren Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten Hintergründen anwesend. Manchmal habe ich mir eine muslimische Lehrkraft an der Seite gewünscht für all die Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Eine Lehrerin käme für mich nur ohne Kopftuch in Frage. Gerade für die Kopftuch tragenden Schülerinnen wäre es eine wichtige Botschaft gewesen: Wir Lehrkräfte sind für euch da, wir erfüllen einen staatlichen Auftrag in unserem Land der freiheitlichen Demokratie. Wir sind frei. Als muslimisches Mädchen oder muslimische Frau kannst du Kopftuch tragen, musst es aber nicht.