Katrin Wittek, 42, hat 231 Wildpflanzen auf ihrem Balkon
Katrin Wittek hat 231 Wildpflanzen auf ihrem Balkon
Christina Lux
Naturschutz in der Stadt
Glücklich mit Insekten
Seit Katrin Wittek ihren Balkon in ein Insektenparadies verwandelt hat, ist sie viel häufiger dort. Sie postet auf Instagram, und konnte schon mehrere Leute überzeugen, ihren Garten oder Balkon umzugestalten
Tim Wegner
02.01.2023
3Min

Katrin Wittek, Jahrgang 1980:

Das hier ist unsere erste Wohnung mit Balkon. Am Anfang setzten wir uns gar nicht raus, weil wir dachten, alle gucken her. Und dann lagen eines Sommers so viele tote Hummeln unter der Linde unten auf dem Parkplatz! Das liegt am Nektarmangel im Hochsommer. Ende Juli blüht nur noch wenig, dann fliegen alle Hummeln zu den letzten blühenden Bäumen, den Silberlinden. Deren Nektar reicht aber nicht für alle.

Deshalb wollte ich was für Insekten tun. Ich kaufte insektenfreundliche Pflanzen – Katzenminze, Edeldistel, Skabiose. Aber das erste Jahr war gefühlt gar nichts los. Ich war richtig traurig. Aber im Jahr drauf! Unser Balkon musste sich in der Insektenwelt wohl erst herumsprechen.

Brutparasiten: Megaspannend!

Bienen und Hummeln mochte ich schon früher, das Interesse an den anderen Lebewesen kam, als ich sie ­beobachten konnte. Wie eine Schwebfliege an einer Blüte lüllert, oder dass die immer ihre Hände reiben, als würden sie sie vorher waschen – ich find das witzig.

Mein Mann und ich bauten dann eine Nisthilfe aus einem Hartholzblock und bohrten unterschiedlich große Löcher rein. Die Grabwespe will Zwei-Millimeter-­Röhrchen für ihre Eier, die Glockenblumenscherenbiene vier Millimeter. Die Nisthilfe wurde sofort angenommen! Ich war noch nie so viel auf dem Balkon wie vergangenes Jahr. Jeden Morgen bin ich als Erstes raus und hab geschaut, wer auch schon wach ist oder gerade schlüpft.

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Und dann die Brutparasiten, megaspannend! Eine ­Schmalbauchwespe lauerte hier wie ein dubioser Ein­brecher, dann machte sie mit ihrem Legebohrer ganz schnell ein winziges Loch in die Brutröhre der Maskenbiene und legte ihre Eier in das fremde Neströhrchen. Die geschlüpften Larven vertilgen dann das Wirtsei.

Ich bin eigentlich recht sparsam, aber bei Pflanzen für Bienen und Insekten setzt mein Gehirn aus. Jetzt war es zum Beispiel so, dass meine Glockenblumen mit Blühen schon durch waren, als noch gar keine Glockenblumenscherenbiene unterwegs war. Ich war total besorgt – wo sollen nun die Männchen übernachten, die schlafen doch immer in den Blüten! Ich konnte dann an einem Sonntag von einem netten Staudengärtner lauter blühende Glockenblumen besorgen.

Ich nehm mir jedes Jahr was vor. Letztes Jahr hatte ich mich von 150 Pflanzen auf 200 steigern wollen. Nun sind es schon 231, in 41 Gefäßen, auf 6,5 Quadratmeter in der Bielefelder Altstadt mit sechs Stunden Sonne am Tag.

Ich kann keine Tiere töten

Viele Leute denken ja, dass es entspannt ist mit einem Wildpflanzenbalkon, weil man dann angeblich nichts tun muss. Meiner Erfahrung nach ist das nicht so. Zuletzt wurde das Lungenkraut fast gekillt, wahrscheinlich von Wurzelläusen. Und davor hatte ich den Dickmaulrüssler auf dem Balkon, einen Käfer, der als Schädling gilt. Ich dachte, ach, hier darf jeder bleiben. Die Quittung: Die Larven haben mir richtig viele Pflanzen weggefressen.

Aber ich kann keine Tiere töten. Für den Dickmaul­rüssler stellte ich Töpfe mit Holzwolle auf, die findet der toll, da schläft er drin. Also hab ich jeden Tag die Holzwolle in ein Plastikgefäß ausgeschüttelt und ihn in freier Wildbahn ausgesetzt. Man hat auf einem Balkon eben nicht für alles natürliche Fressfeinde. Dickmaulrüssler werden sonst von Igeln und Maulwürfen gefressen.

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Seit der Balkon so üppig bepflanzt ist, lagen eigentlich keine toten Hummeln mehr auf dem Parkplatz. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Wenn ich unterwegs eine schwache Hummel sehe, päppel ich die mit meiner Zuckerwasserspritze auf, die hab ich immer mit. Ich poste auf ­Instagram, und ein paar Leute konnte ich schon überzeugen, den Garten oder Balkon umzugestalten.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
der Berliner Zeitung entfiel mir Ihr Magazin und mache es nun so, zum Jahresbeginn übermittle ich Ihnen Glück und alles Gute.
Vorallem spreche ich Ihnen zu, für den überaus gelungenen Beitrag "Lauter Abenteuer mit Insekten". Weil darin höchst anregend ein Feld publiziert wird, dem kaum Kenntnis und daher wenig Interesse nachgesagt werden muss. Sollte es dabei bleiben, handeln wir bald ohne Zitronen. Denn es ist dem Wirken der Politik in der Verfolgung der Interessen zu zuschreiben, dass die Natur und mit ihr die Arten unter die Räder der Interessen gerät.
Ich bin für Tiere auf der Strasse seit über drei Jahrzehnten oft Retter in letzter Minute und erlebte mit vielen berührenden Geschichten, dass die Natur viel mehr bereit hält als wir es uns vorstellen. Und das Frau Wittek dies begeistert für sich erschlossen hat, kann wirklich anregen.
Das Sie offen die Ausinandersetzung zum Thema Pädophilie aufgreifen, ist ebenso anerkennenswert.
Manuel Reichardt, Berlin

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Liebe Frau Wittek,
ich bewundere Sie und freu' mich total, dass es Ihnen so ähnlich geht wie mir. Ich habe das Privileg, einen Garten zu besitzen und weiß nicht, ob ich es schaffen würde, wie Sie alles in Töpfen und Trögen heranzuziehen. Meine Hochachtung!
Darf ich Ihnen eine Pflanze ans Herz legen, die für Ihr Interesse besonders gut geeignet ist und auch bei mir in einem Topf wächst? Es ist der Knoten-Braunwurz, den man eher in Wäldern oder an Waldränderm findet. Im Wikipedia-Artikel steht, er blühe Juni - Juli, aber auf meiner Terrasse begann er mit dem Blühen Anfang Mai und blühte durch bis ca. September. Wespen und Hummeln lieben seine Blüten und ein kleiner Falter ist auf ihn als Futterpflanze spezialisiert. Man kann ihn leicht vermehren.
Ich drücke Ihnen für den Garten fest die Daumen!

Antwort auf von Anna Coels (nicht registriert)

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Liebe Frau Coels,
ganz herzlichen Dank für Ihre Nachricht und die Empfehlung! Der Knoten-Braunwurz ist direkt notiert. Das Daumen drücken hat geholfen, wir haben kurz vor Weihnachten die Zusage für einen Schrebergarten bekommen. Ich habe Ihnen auch ausführlich per Mail geantwortet.
Mit vielen lieben Grüßen,
Katrin Wittek