People wave as they hold flags of approval of the new Constitution and a Chilean flag on July 6, 2022 in Santiago. - The campaign for the September 4 plebiscite to approve or reject the text of a new Constitution began Wednesday in Chile. (Photo by JAVIER TORRES / AFP) (Photo by JAVIER TORRES/AFP via Getty Images)
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Eigene Rechte für die Natur?
Chile diskutiert, ob die Natur eigene Rechte in der Verfassung bekommen soll. Auslandspfarrer Johannes Merkel berichtet.
22.07.2022

Bei uns in der Versöhnungsgemeinde in Santiago de Chile ist das "Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst" fester Bestandteil der sonntäglichen Zusammenkünfte. Manche sprechen von einer "zweiten Liturgie", und alle haben sich riesig gefreut, als wir nach vielen, vielen Pandemiemonaten erstmals wieder im Innenhof bei Kaffee und Tee – und wegen der besonderen Freude dieses Mal auch mit Sekt – zusammenstanden.

Privat

Johannes Merkel

Johannes Merkel ist Auslandspfarrer in Santiago de Chile. Die Auslandspfarrstelle teilt er sich mit seiner Frau.

Nun sind Getränke und Kekse nur der Aufhänger, um noch zu verweilen. Eigentlich geht es natürlich darum, voneinander zu hören und sich miteinander zu besprechen, Freuden und Sorgen zu teilen, sich gegenseitig zu begleiten.

Derzeit ist dabei immer wieder die für Chile neu ausgearbeitete Verfassung ein Thema. Der dafür nach einer schweren politischen Krise im Oktober 2019 ins Leben gerufene Prozess geht zu Ende: Anfang Juli hat die von den Bürgern gewählte Versammlung ihren Entwurf vorgelegt, am 4. September stimmen die Chileninnen und Chilenen über die neue Verfassung ab. Überall im Land werden nun die Vorteile des Textes herausgestellt und seine Defizite beleuchtet.

Zu Letzteren gehört sicher der Umfang. Es scheint, als haben die Verfasser möglichst vieles, was im chilenischen Alltag verbesserungswürdig erscheint, in der Verfassung klären wollen. Fraglich bleibt jedoch, ob Probleme wie die geringen Renten oder die hohen Kosten bei Krankenhausaufenthalten – von beidem kann man beim "Kaffee danach" bei uns hören – nicht eher durch eine Reform der Sozialsysteme angegangen werden sollten.

Es ist unstrittig, dass die Natur besser geschützt werden muss

Eine Besonderheit des neuen Textes ist der Stellenwert, den die Natur und ihr Schutz in ihm einnimmt. So heißt es beispielsweise in Artikel 1, dass Chile nicht nur ein "sozialer", sondern auch ein "ökologischer" Rechtsstaat ist. Im weiteren Verlauf des Entwurfs werden der Natur deswegen eigene Rechte zugesprochen und der Staat dazu verpflichtet, diese zu schützen.

Sonntags nach dem Gottesdienst kann man viel Bewunderung für die wunderbare Natur Chiles hören, aber auch Sorge wegen Zerstörung und Raubbau, wegen des deutlich erlebbaren Klimawandels und der dadurch verursachten, sich immer weiter ausbreitenden Trockenheit. Dass die Natur besser geschützt werden muss, ist also unstrittig – wie dies allerdings am besten gelingen kann, darüber gehen die Meinungen dann doch auseinander.

Denn das ist eine der großen Stärken der Versöhnungsgemeinde, dass hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten miteinander ins Gespräch kommen, Gottesdienst feiern, andere unterstützen, Gemeinde sind.

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