Ecuador - Im Namen der Natur
Sieht aus wie zugewuchert, ist aber voller schmackhafter Schätze: Yuka, Baumtomate, Physalis, Zuckerrohr. Cenaida auf ihrem Feld in den Anden
Jelca Kollatsch
Umweltschutz
Im Namen der Natur
Eine Bäuerin klagt nun gegen Ecuador. Der Staat, verstoße gegen die eigene Verfassung, weil er die Natur schädige
Maria Sturm
Privat
06.07.2022
12Min

Tief in die feuchte, schwarze ­Erde gräbt Cenaida Guachagmira ­ihre rosa Fingernägel. Ihre Strickjacke leuchtet pink im Nebel, an den Gummi- stiefeln klebt Matsch. Sie reißt das ­wuchernde Grün zwischen den Kaffee­setzlingen aus, begutachtet die Papayas und pflückt eine Baumtomate. Nach einem Monat Aufenthalt in der nächstgrößeren Stadt ist sie zurück auf ihrem Feld tief hinten auf einem der ­vielen Hügel des Intag-Tals im Norden Ecuadors. "Hier vergesse ich die Zeit und alle Probleme", sagt sie, "hier bin ich einfach nur mit der Erde verbunden."

Maria Sturm

Elisabeth Weydt

Elisabeth Weydt, Jahrgang 1983, Journalistin, war 2006 für einen Freiwilligendienst im Intag und zufällig Zeugin, als Paramilitärs Cenaidas Nachbardorf stürmten.
Privat

Jelca Kollatsch

Jelca Kollatsch, Jahrgang 1984, Foto­grafin, ist noch nie einen ­Menschen begegnet, dem es so egal ist, wann und wie er ­fotografiert wird. Sie fand Cenaida ­beeindruckend furchtlos.

Morgen wird sie ihre Regierung vor Gericht bringen. Das Umweltministerium, das Rohstoffministerium und die Generalstaatsanwaltschaft. Diese hätten zusammen mit dem größten Kupferkonzern der Welt, mit Codelco aus Chile, die Rechte der Menschen und die Rechte der Natur im Intag-Tal verletzt, heißt es in der Anklageschrift.

Unter Cenaidas Gummistiefeln liegt ein Kupferschatz verborgen. Ihr Feld, ihr ­Häuschen, ihr Dorf und die Nachbargemeinden gehören zu den knapp 50 Quadratkilo­metern, auf denen eine Kupfermine aufgerissen werden soll – um die wird seit knapp 30 Jahren bitter gekämpft. "Warum sehen sie nicht, dass hier oben der eigentliche Reichtum ist?", seufzt Cenaida und blickt auf ihre drei Hektar Obst- und Gemüsewildwuchs den Steilhang hinab und in die grüne Weite, die sich ­zwischen den Wolkenschwaden auftut.

Das Intag-Tal liegt auf 1500 bis fast 3000 ­Höhenmetern und ist eine der ­artenreichsten Regionen, die der Welt noch geblieben sind. Die Kleinbäuerin hat sich mit mächtigen ­Gegnern angelegt, um die vielen Vögel, ­Flechten, Orchideen und ihr eigenes Feld zu verteidigen. Sie ist dabei nicht allein. Drei Männer aus dem Tal ziehen mit ihr vor Gericht. Und die Natur.

Der langnasige Harlekinfrosch erhebt Klage

Ecuador ist das erste Land der Erde, dessen Verfassung die Natur zum Rechtssubjekt erhoben hat. Demnach sind Bienen, Flüsse und ­Wälder nicht nur schützenswert, weil sie dem Menschen dienen – sondern einfach so, weil sie Natur sind. Dadurch können in dem kleinen Andenstaat nicht nur Menschen, ­sondern auch die Natur selbst Klage erheben, anwaltschaftlich vertreten durch Menschen. Im Fall von Intag erhebt unter anderem der langnasige Harlekinfrosch Klage, eine ausgestorben geglaubte und im Intag wiederentdeckte Art.

Wenn wir der Natur schaden, schaden wir uns selbst, glaubt Cenaida

Der Fall hat schon jetzt internationales Aufsehen erregt, er wird in Doktorarbeiten und Jura-Workshops behandelt. Auch Leonardo DiCaprio hat sich mehrfach unter dem Hashtag #Salvemosintag – Retten wir Intag – dazu geäußert.

Mit einer Machete hackt Cenaida eine ­Stange Zuckerrohr ab. "Zum Knabbern. Für die Besprechung mit den Anwälten gleich." Den Frosch mit der langen Nase hat sie noch nie gesehen. Aber irgendwo zwischen den vielen Hügeln hier muss er sitzen. Morgen ist ihr ­großer gemeinsamer Tag.

Im Häuschen hinter dem Feld hängt Cenaidas Protestbettlaken über einem Regal. "Wasser trinken gibt uns Leben. Aber Wissen trinken gibt uns Wasser" steht da drauf, in verwaschenem Blau. Damit war sie auf vielen Demonstrationen und sogar im Parlament. Schon als Vierjährige hat ihr Vater sie auf Veranstaltungen gegen den Bergbau mitgenommen. Heute ist sie 27, "ein Jahr älter als der Konflikt", wie sie sagt. Als wäre es ihr Markenzeichen oder ein besonderer Charakterzug.

Der Konflikt hat die Gemeinschaft gespalten

Seit den 90er Jahren versuchen verschiedene internationale Bergbaukonzerne, an das Kupfer unter dem Intag-Tal zu gelangen. Cenaida und ein großer Teil der ­Anwohner und Anwohnerinnen sind dagegen. Sie kämpften schon gegen Paramilitärs, korrupte Politiker, falsche Anschuldigungen. Sie schlugen Be­stechungsgeld aus, bekamen Morddrohungen. Bewaffnete Ex-Militärs versuchten auf das Gelände vorzudringen, zwischen Befürwortern und Gegnern der Mine gab es Ausschreitungen. Ernsthaft verletzt wurde bisher niemand. Doch der Konflikt hat die Gemeinschaft gespalten, viele mürbe gemacht und lähmende Angst verbreitet. Und er hat Cenaida beigebracht, ihre Stimme zu erheben.

Seit den 1990ern bemühen sich Konzerne um die Konzession für den Tagebau im Intag Tal

Mit 14 hat Cenaida die Schule geschmissen und so viel mehr im Leben als im Klassenzimmer gelernt, wie sie sagt. Sie wollte nicht wissen, dass Ecuador stolz auf Christoph ­Kolumbus und die Eroberung Lateinamerikas sein sollte. Sie widersprach ihrem Lehrer. Er drohte mit schlechten Noten, und sie ging nicht mehr in die Schule. Von klein auf ­habe ihr Vater ihr beigebracht, nur zu lernen, was sie wirklich weiterbringt. Vor allem aber sollte sie ihre Rechte kennen. "Wenn du lesen kannst, kannst du dich informieren. Wenn du rechnen kannst, kommst du mit deinen Finanzen klar. Den Rest kannst du dir dann schon erschließen", erinnert sie sich an seine Worte. Er selbst studierte ein paar Semester Jura und musste aus Geldnot abbrechen.

In Cenaidas Ein-Zimmer-Häuschen ist es kalt und nass, der Boden ist aus Lehm, das Dach aus Wellblech, die Steinwand unverputzt. Hinten links ein Bett für Cenaida, ­ihren Partner und die zwei Töchter. Die eine fünf Jahre alt, die andere vier und mit einer Hirnschädigung seit der Geburt. Sie kann weder sprechen noch laufen. Cenaida nennt sie das schönste Mädchen auf der ganzen Welt. ­Immer dreimal hintereinander, wie eine ­Zauberformel. Dabei kitzelt sie die Kleine mit ihrer Nase und den langen, schwarzen Haaren, bis die vor Freude gluckst. Den Kampf gegen die Kupfermine führe sie auch für die Zukunft ihrer Töchter, sagt sie.

Die Konzessionen sind schon lange verkauft

In der Klage gegen die Regierung geht es um ihre Lebensgrundlage, um die der Nachbarn, um die von Tausenden von Tier- und Pflanzenarten. Die Kupfermine würde ein giftiges Loch von der Größe einer Kleinstadt in eine der biodiversesten Regionen der Welt reißen. Die Konzessionen sind schon lange an Codelco verkauft. Das ­Unternehmen ist 2014 mit der staatlichen Bergbauagentur Enami und mit Polizeigewalt ins Intag-Tal gekommen, hat Straßen, Camps und ein paar Häuser errichtet, Probebohrungen durchgeführt. Die Klage hat die Bauarbeiten bis auf Weiteres gestoppt.

Auf dem Weg zum Treffen mit den An­wälten und Anwältinnen im größten Dorf des Intag-Tals blickt Cenaida durch das ­Beifah­rerfenster. Ihr Partner lenkt den Pick-up über mittlere Erdrutsche und durch ­kleine Wasserläufe. Die feuchte Wärme und der fruchtbare Boden der tropischen Anden haben ein triefend-tropfendes Geflecht aus Moosen, Farnen, Lianen und riesigen Bäumen wachsen lassen. Hier und da zeichnen Kaffee- und Bananenfelder ein paar Rechtecke in den grünen Wildwuchs.

Schon mit 13 Jahren las Cenaida die ecudorianische Verfassung und verteidigte ihre Heimat gegen die "Mineros"

"Wir Menschen haben die Verbindung zur Natur und unsere spirituellen Werte verloren", sagt sie. Alles, was zähle, sei das Materielle. Cenaida dagegen glaubt an Pachamama, an Mutter Erde und die Verbundenheit aller ­Lebewesen. "Nach dem indigenen Weltbild sind auch wir Menschen Teil der Natur und können ihr gar nicht schaden, ohne uns selbst zu schaden. Pachamama ist alles für mich, meine Mitte, mein Geist, die Erde."

"Die Natur hat ein Recht darauf, vollständig respektiert zu werden"

"Pachamama" existiert in fast allen indigenen Sprachen Lateinamerikas. Cenaida zählt sich zu keiner der 14 indigenen Gruppen Ecuadors. Von welchen Völkern genau sie abstamme, wisse sie gar nicht. Von Völkern aus Peru, Kolumbien und Ecuador, habe ihr Vater gesagt. Spanische Vorfahren habe sie bestimmt nicht, nur indigene. Und sie meint, daran liege es, dass sie keine Angst kenne, vor nichts und niemandem. Viel wisse sie aber nicht über ihre Familiengeschichte. Vielleicht werde sie irgendwann mal ein Buch darüber schreiben.

Pachamama steht auch in Cenaidas Lieblingsartikel der ecuadorianischen Verfassung, Artikel 71: "Die Natur oder Pachamama, in der sich alles Leben erneuert und realisiert, hat ein Recht darauf, dass ihre Existenz sowie die Erhaltung und Regeneration ihrer Lebens­zyklen vollständig respektiert werden."
Die ecuadorianische Verfassung von 2008 ist außergewöhnlich, manche bezeichnen sie als revolutionär, gar als mögliche Lösung gegen das Massenaussterben der Arten und gegen die Klimakrise. Sie ist die erste Ver­fassung der Welt, die die Natur als Rechts­subjekt anerkennt.

Seitdem wurden in Ecuador Dutzende Prozesse angestrengt, in ­denen eine Partei die Rechte der Natur verletzt sieht. Das geht aus einer Erhebung von Cedenma hervor, einer juristischen Beobachtungsstelle in Quito. Ein Großteil sei noch im Verfahren, aber von den abgeschlossenen Fällen sei die Mehrheit zugunsten der Natur entschieden worden.

Adriana Rodríguez unterrichtet die Rechte der Natur an der Universität Andina in Quito. In ihrem Büro hängen Bilder von Rosa Luxemburg, Che Guevara und Sigmund Freud. Viele, die bei ihr studiert haben, treten nun als ­Anwälte und Anwältinnen für den Erhalt der natürlichen Lebenszyklen ein.

"Für die Indigenen können Bäume fühlen und Flüsse sprechen"

Dass die Natur als Rechtssubjekt in die ecuadorianische Verfassung aufgenommen wurde, sei vor allem den indigenen Völkern zu verdanken, erklärt Rodríguez. "Für sie können Bäume fühlen und Flüsse sprechen. Deshalb schützen sie die Natur, sie ­betrachten sie als Lebewesen." Einige haben an der Verfassung mitgearbeitet und Verbündete in eher westlich geprägten Beteiligten ­gefunden. Nicht zuletzt in Alberto Acosta, dem damaligen Präsidenten der verfassunggebenden Versammlung. Im Gerichtsverfahren um die Kupfermine von Intag ist er als einer der Fürsprecher der Natur geladen.

"Es ist nicht so, dass hier jetzt einzelne Tiere oder Pflanzen als Rechtssubjekte ­gelten", sagt Adriana Rodríguez, "es geht um ganze Öko­systeme." Einer ihrer früheren Studenten, Gustavo Redin, vertritt als einer von neun Anwälten die Klage im Intag-Prozess. Das Geld dafür kommt von NGOs, unter anderem von Cedenma und Amazon Frontlines.

Prozessvorbereitung im Tal. Cenaida ist eine besonders redegewandte Klägerin

Auch Cenaida hat vor ein paar Wochen ­einen Kurs bei Adriana Rodríguez angefangen. 200 Stunden über die Rechte der Natur für Menschen vom Land, via Zoom und vor Ort, bezahlt von verschiedenen Nichtregierungs­organisationen. Sie wurde unter die 74 Teilnehmer*innen gewählt und ist stolz darauf.

Kläger, ­Zeugen und Fürsprecher für die Rechte der Natur

Fast 20 Menschen aus verschiedenen Intag- Dörfern in Gummistiefeln oder Turnschuhen haben sich im Kreis in ein zugiges Gemeinde­haus gesetzt. Auf dem Boden erdfarbene ­Fliesen, die Türrahmen und Deckenbalken sind aus dunklem Holz. Cenaida saugt die Worte der Profis auf und gibt ihr Wissen ­weiter. Sie treten vor Gericht als ­Kläger, ­Zeugen oder Fürsprecher für die Rechte der Natur und die Rechte der Menschen aus dem Intag auf. Nun bereiten sie sich in einem Workshop mit den Anwältinnen darauf vor.

Lesetipp: In der Kolumne "Klimazone" setzt sich unser Autor Nils Husmann damit auseinander, wie wir der Klimakrise begegnen können

Cenaida ist neben den beiden Anwältinnen aus Quito die einzige Frau. Ihr Partner ist auch da, um auf die Töchter aufzupassen. Ihr ­Vater hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus, ist aber via Zoom mit dem Handy zugeschaltet. Die beiden Männer ergreifen in den ­sieben Stunden des Workshops kein einziges Mal das Wort. Cenaida redet und fragt und redet und fragt. "Du kannst sagen, dass du nie eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung bekommen hast", schlägt sie einem ­älteren Herren vor, der nervös über seine Knie streicht und sich bei seinen Antworten verhaspelt. "Es ging da ja nur um Jobs und nicht um die Umweltzerstörung", beruhigt sie den anderen Herren mit dem blauen Kapuzenpulli.

"Sie werden versuchen, euch zu ­diskreditieren und zu verunsichern"

Die Anklageschrift nennt zwei verfassungsmäßige Rechte, die der Staat verletzt haben soll. Vor den Bauarbeiten sei die Bevölkerung nicht informiert und befragt worden. Und der Staat habe keine Vorsorge getroffen, um das Aussterben von Arten zu verhindern.

Als Klägerin im Gerichtsprozess nimmt Cenaida online am Prozess teil. Tagelang sitzt sie am Rechner. Eine besondere Belastung, auch für die ganze Familie

Cenaida und die anderen Bauern gehen die Gerichtsverhandlung im Rollenspiel mit den Profis durch. "Was könnte die Gegen­seite fragen?" – "Sie werden versuchen, euch zu ­diskreditieren und zu verunsichern. Lasst ­euch nicht aus der Ruhe bringen." – "Ihr müsst nicht der Präsident eurer Gemeinde sein, um vor Gericht sprechen zu dürfen." Die lokale Umweltorganisation Decoin spendiert Sandwichs, Getränke und ein Mittagessen.

Nach dem Workshop macht sich Cenaida mit ihrer Familie auf in die nächste größere Stadt: Cotacachi. Da ist das Internet sicherer. Wegen Covid verhandelt das Gericht nicht live im Gerichtssaal, sondern via Zoom. Cenaida und ihr Mann leben ohnehin zur Hälfte in Cotacachi. Dort versuchen sie, ein Internet-­Start-up aufzuziehen und WLAN in entlegene Regionen zu bringen.

Am Tag des Prozessauftakts ist Cenaida mit den Töchtern allein vor Gericht, ohne ­ihren Lebenspartner. Die Kleine hält sie auf dem Arm, die Große schickt sie vor den Fernseher. Die Hälfte der 25 Kacheln auf dem Bildschirm ihres Laptops zeigt Köpfe, die anderen Kacheln sind schwarz mit Namen. 122 Menschen sind zugeschaltet. Wenn der Richter jemandem das Wort erteilt, erscheint dessen Kopf groß. Der erste Verhandlungstag dauert sechs Stunden. Nur die Anwälte und An­wältinnen kommen zu Wort.

Was eine offenen Kupfermine in einer Region wie Intag anrichtet

In der Mittagspause eilt Cenaida los, um Lebensmittel einzukaufen. Mit den Töchtern geht sie in ein Schnellrestaurant. Am dritten Tag darf sie ein Statement abgeben und soll dann befragt werden.

Aus Flachs spinnt Cenaida Faden. Für 90 Cent können ihre Eltern einen Flachs-Beutel verkaufen

Cenaida erzählt von den ersten Unternehmen, die mit Gewalt ins Tal kamen. Und dass sie deshalb nun besonders auf ihre Rechte ­achte. Schon in der ersten Minute unterbricht sie ein Anwalt der Gegenseite. Ihre Kindheit habe nichts mit dem Fall heute zu tun. Der Richter gibt dem Anwalt recht. Cenaida erzählt weiter von den Bauarbeitern, die ihr nicht sagen wollten, für wen und warum sie auf dem Gelände waren. Ihre Ausführungen werden fahrig. Die Klarheit aus dem Workshop ist ihr verlorengegangen. Sie fängt sich wieder: "Und erzählen Sie mir nicht, dass ich nicht auf der Uni war oder keine technische Ausbildung habe. Was ich darüber weiß, was eine offenen Kupfermine in einer Region wie Intag anrichtet, vor allem in den vielen ­Wasserquellen, das ist allgemein bekannt." Ein Mitstreiter applaudiert.

Cenaidas Befragung dauert etwa eine Stunde, der gesamte Prozess zehn Tage. Als Klägerin muss sie die ganze Zeit anwesend sein. Sie kann in der Zeit nicht arbeiten, sie kann sich nicht wirklich um ihre Töchter kümmern. Sie bekommt keine Aufwandsentschädigung.

Noch während des Prozesses fällt Ecuadors oberstes Gericht ein wegweisendes Urteil: Die indigenen Gemeinschaften des Landes müssten ein weitaus größeres Mitspracherecht bei Öl- und Bergbauprojekten haben als bisher. So stehe es in der Verfassung. Cenaida schöpft Hoffnung. "Wir sind zwar keine indigene Gemeinschaft. Aber unsere Rechte stehen auch in der Verfassung", sagt sie.

Der Richter hat schon ­einmal gegen die Natur ent­schieden

Eine Woche später fällt das Provinz­gericht von Cotacachi sein Urteil. Der Richter lehnt die Klage ab. Es seien keinerlei Rechte verletzt ­worden, sagt er den gut 100 via Zoom Zugeschalteten, weder die der Natur noch die der Gemeinden. Vielmehr verwundere es ihn, dass im Gebiet des angeblich umweltschädlichen Bergbaus eine ausgestorben geglaubte Froschart wieder aufgetaucht sei.

Cenaida mit Safira, 4. An der Gitarre: Keyla, 5. Der Regen trommelt aufs Vordach

Cenaida schickt eine Sprachnachricht. Sie ist wütend: "Eigentlich wussten wir schon ­vorher, wie das hier ausgeht. Die Argumente des Richters hatten überhaupt keine juristische Grundlage." Aber: "Wir machen weiter und hoffen, dass die nächste Instanz anders entscheidet." Nun, im Juli, kommt der Fall vor das nächsthöhere Gericht.

Der Richter von Cotacachi hatte schon ­einmal gegen die Natur im Intag-Tal ent­schieden. Da ging es um das geschützte Gebiet von Los Cedros. Vor sieben Monaten erst hat das Verfassungsgericht sein Urteil kassiert: Der Abbau von Kupfer und Gold dort sei verfassungswidrig. Die Bergbauarbeiten mussten eingestellt werden.

Auf der Korruptionsliste von Transparency ­ International steht Ecuador auf Platz 105 von 180. Laut einer aktuellen Umfrage fehlt 83 Prozent der Ecuadorianer das Vertrauen in ihr Justizsystem. Cenaida bleibt dennoch zuversichtlich. Nach 26 Jahren Widerstand gegen die Kupfermine seien so ein paar Schleifen im Justizsystem in Ordnung. "Der Glaube und die Wahrheit, das ist alles."

Eine erste Version dieses Textes erschien am 6. Juli 2022.

Infobox

2007 berief Ecuadors damaliger ­Präsident Rafael Correa eine verfassung­gebende Versammlung ein. Der Verfassungstext wurde 2008 in einer landesweiten Abstimmung angenommen. Darin sind die Rechte der Natur verankert. Gegen Umweltzerstörung kann nicht nur dann geklagt werden, wenn Eigentumsrechte von Personen oder ihre Gesundheit, sondern schon, wenn Biodiversität gefährdet ist. Im Intag-Gebiet engagiert sich die Toisán-Korporation.

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