Die Reise beginnt in Berlin. Im Supermarkt um die Ecke lade ich einen Einkaufswagen voll mit Produkten, die Palmöl enthalten. Margarine, Tiefkühlpizza, Kekse, Handcreme, eine quadratische Tafel Schokolade, Waschmittel, Deostift, Müsli. Manchmal steht Palmfett in der klein gedruckten Zutatenliste. Bei den Kosmetika verbirgt sich der Rohstoff unter Bezeichnungen für weiterverarbeitete Produkte, etwa Glycerin. Sicher habe ich schon viele Hunderte Male Palmöl konsumiert, ohne es zu wissen. Greenpeace schätzt, dass die Hälfte aller Supermarktprodukte Palm- oder Palmkernöl enthält. Der weltweite Verbrauch steigt von Jahr zu Jahr, derzeit sind es rund 80 Millionen Tonnen. Mit verheerenden Folgen für die Natur: Allein in Malaysia, mit Indonesien eines der Hauptanbaugebiete, wurden für die Plantagen in den vergangenen 20 Jahren rund 30 000 Quadratkilometer Regenwälder gerodet – eine Fläche ungefähr so groß wie Belgien.
Dennoch empfiehlt keine der großen Umweltorganisationen einen Boykott. Der Grund: Alternative Pflanzenöle wie Kokos, Soja oder Sonnenblumen benötigen bis zu achtmal mehr Anbaufläche, wären also noch schädlicher. Gefordert werden stattdessen ein Verbot von Abholzungen und generell eine nachhaltige Produktion. Vor 20 Jahren wurde der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) gegründet. Mitglieder sind Plantagenbesitzer, Händler, Hersteller und Nichtregierungsorganisationen, darunter auch große und kleine Umweltverbände. Wer das RSPO-Zertifikat erhalten will, verpflichtet sich, ökologische Standards einzuhalten: keine Wälder abzuholzen, keine Plantagen auf den für das Klima besonders wichtigen Torfböden anzulegen und keine hochgefährlichen chemischen Pflanzenschutzmittel einzusetzen.
Auf den Produkten in meinem Einkaufswagen suche ich das RSPO-Siegel, die grüne Palme, vergeblich. Obwohl mittlerweile über 90 Prozent des in Europa verarbeiteten Palmöls zertifiziert ist. Ich vermute, dass die Hersteller das Siegel verstecken, weil Palmöl nach wie vor ein schlechtes Image hat. Ich beschließe, mir ein Produkt auszusuchen, um die Spur des Öls bis zur Palme zurückzuverfolgen. Die Wahl fällt auf den Frühstückstraum meiner Kindertage, auf den beliebtesten Schoko-Nuss-Aufstrich der Deutschen.
Schoko wird cremig
Meine Produktwahl war eine pragmatische. Alle Hersteller und Händler lehnen meine Anfrage ab, angeblich haben sie drei Monate lang keine Zeit für ein Interview. Dann sagt ausgerechnet Ferrero zu. Vor neun Jahren hatte die französische Umweltministerin im Fernsehen gefordert: "Man muss aufhören, Nutella zu essen." Kurz darauf entschuldigte sie sich zwar, denn selbst Greenpeace gab Entwarnung: Ferrero verwende zertifiziertes Palmöl, eine ökologische Verbesserung der Produktion sei sinnvoller als ein Boykott. Dennoch muss Ferrero seitdem mit "Shitstorms" rechnen.
In der deutschen Zentrale in Frankfurt am Main treffe ich Aldo Cristiano. Er ist im Konzern für Nachhaltigkeit und institutionelle Angelegenheiten zuständig. "Wir sind überzeugt, dass Palmöl ein gutes Öl ist, wenn es nachhaltig angebaut wird", sagt er. Es habe einige gute Eigenschaften. Es ist bei Raumtemperatur fest und muss nicht gehärtet werden, wodurch ungesunde Transfettsäuren entstehen könnten. Es verdirbt nicht so schnell. Und es hat keinen Eigengeschmack, weshalb es in so vielen Supermarktprodukten zu finden ist. Ferrero beziehe ausschließlich zertifiziertes Öl, über 200 000 Tonnen pro Jahr. Cristiano sagt: "Wir können die Lieferkette bis zu jeder einzelnen Plantage zurückverfolgen."
Um sicherzustellen, dass für den Anbau kein Regenwald gerodet wird, arbeitet das Unternehmen mit der Earthworm Foundation zusammen. Per Satellit werden über das Starling-System alle Gebiete, aus denen Öl bezogen wird, auf Rodungen überwacht, mehr als eine Million Hektar.
Wenn ausschließlich zertifiziertes Palmöl verwendet wird, warum finde ich dann keine grüne Palme auf dem Etikett? "Der Aufstrich besteht aus sieben Zutaten", antwortet Cristiano. "Würden wir alle Nachhaltigkeits- und Zertifizierungssiegel aufdrucken, würde niemand mehr durchblicken."
Einen Teil des Öls bezieht das Unternehmen aus dem malaysischen Bundesstaat Sabah. Er liegt auf Borneo, der drittgrößten Insel der Welt. Ihre artenreichen Regenwälder beherbergen bedrohte Spezies wie Orang-Utans und Gibbons, Malaienbären und Zwergelefanten. Gleichzeitig erstrecken sich riesige Palmenplantagen auf der Insel. Ich frage mich: Tropenwald und Ölpalmen, Menschenaffen und Schokolade – wie kann das zusammengehen? Ich beschließe, der Ölspur nach Sabah zu folgen.
Landeanflug auf Palmenland
Borneo von oben. Zwei Arten von Grün. Hier das chaotische Grün des Regenwaldes, durchzogen von Flüssen in weiten Mäandern und von der Farbe "Schwarztee mit Milch". Dort das Einheitsgrün der Ölpalmen, die in Reih und Glied stehen, darin Vierecke wie ausgeschnitten, jedes mit fabrikartigen Gebäuden und einem Schornstein, aus dem weißer Dampf aufsteigt: die Mühlen und Raffinerien. Beim Anflug auf die Stadt Sandakan fällt auf, dass die Palmen bis direkt ans Flugfeld gepflanzt wurden. Offenbar wird jeder Quadratmeter genutzt.
Sabah ist etwa so groß wie Bayern. 2015 sorgte der Bundesstaat weltweit für Aufsehen mit der Ankündigung, Palmöl künftig ausschließlich nachhaltig anzubauen; für Plantagen dürfe nicht mehr gerodet werden; ein Drittel aller Flächen werde unter strengen Naturschutz gestellt. Die Regierung startete eine Initiative, in der Behörden, Gemeinden, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten. Ob Sabah seine Ziele erreicht, ist noch völlig offen. Wenn ja, wäre es das erste Land, dem die Ölwende gelungen sein wird.
4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.
Chrismon plus vom 6.9.2024: Der Orang-Utan sagt Danke
Liebe Redaktion,
der Bericht von Michael Gleich über den nachhaltigen Palmölanbau auf Borneo und die Baumkorridore für die Orang Utans und andere Regenwaldbewohner hat mir sehr gut gefallen. Dass das EU-Lieferkettengesetz hier offensichtlich einen Beitrag geleistet hat, finde ich sehr hilfreich als konkretes Beispiel dafür, wie dieses Gesetz sich positiv auswirkt. Herzlichen Dank für den Bericht!
Herzliche Grüße von Ute Finckh-Krämer (MdB a.D.), Berlin
"Der Orang-Utan sagt Danke"
Liebe Redaktion,
über den Beitrag "Der Orang-Utan sagt Danke" habe ich mich sehr geärgert, da er für mich eine reine Nutella-Werbung darstellt. Außerdem halte ich einige Aussagen für korrekturbedürftig:
- Palmöl ist ein billiges, ernährungsphysiologisch minderwertiges oder sogar schädliches Produkt
- "Dennoch empfiehlt keine der großen Umweltorganisationen einen Boykott" ist definitiv falsch, selbst die zitierte NGO Greenpeace empfiehlt Alternativen.
- Hersteller wie Nudossi haben längst ein alternativ nutzbares Fett gefunden - und können darüber hinaus mit einem viel höheren Haselnuss-Anteil (=höhere Qualität) punkten
- Palmöl ist letztlich auch nur eines von vielen Problemprodukten. Haselnüsse und Kakao sind beispielsweise mit Themen wie Kinderarbeit oder unfairen Arbeitsbedingungen verbunden.
- Zum RSPO-Siegel zitiere ich die Christliche Initiative Romero: "Im Lebensmittelsektor zertifiziert vor allem der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO). Der steht seit seiner Gründung in der Kritik: Der RSPO ist weder ein Bio- noch ein Fairhandels-Siegel. Er erlaubt Pestizide und verbietet nur die Rodung „besonders schützenswerter“ Gebiete. Es gibt dokumentierte Hinweise, dass RSPO-zertifizierte Unternehmen systematisch gegen die Kriterien verstoßen, Menschenrechte verletzen und teils illegal Regenwald roden. Die Audit-Systeme, die über eine RSPO-Zertifizierung entscheiden, sind mangelhaft."
Fazit: Den Beitrag hätten Sie als Anzeige kennzeichnen sollen. Eine Richtigstellung halte ich für angebracht.
Freundliche Grüße
Heiko Reinhold
ehem. Umweltbeauftragter der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens