Benzinpreis
Die Benzin- und Dieselpreise haben neue Höchststände an den Tankstellen in Deutschland erreicht. Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sorgen am Markt weiter für große Nervosität.Im Bild eine Aral Tankstelle in der Holzmarktstrasse. (Themenbild, Symbolbild) Berlin, 09.03.2022 / 090322
Sebastian Gabsch/Future Image/action press
Ärmeren drohen Überschuldung und Stromsperren
Warum die steigenden Preise für Strom, Gas und Benzin für ärmere Haushalte teilweise dramatische Folgen haben, erklärt Michael Stiefel, Leiter des Projektes "Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung" der Diakonie Deutschland
14.03.2022

Ein Liter Superbenzin kostet laut ADAC 2,20 Euro, vor einem Jahr waren es noch 1,45. Welche Folgen hat das für ärmere Haushalte?

Michael Stiefel: Hartz-IV-Bezieher können sich ein Auto oft ohnehin nicht leisten, da die Kosten hierfür im Regelsatz nicht vorgesehen sind. In den Städten nutzen diese Menschen meist den öffentlichen Nahverkehr, im ländlichen Raum ist es schwieriger. Ich kenne das Beispiel von vier Familien, die gemeinsam ein Auto nutzen. Im Moment bleibt dieses Auto einfach öfter stehen und der Ausflug mit den Kindern am Wochenende ist nicht mehr drin. Mit den Benzinpreisen steigen auch die Transportkosten, die in den Preisen aller Lebensmittel stecken. Es trifft also nicht nur Autobesitzer. Hinzu kommt die zu erwartende Getreideknappheit durch den Krieg im Weizenanbauland Ukraine. Unter steigenden Lebensmittelpreisen leiden besonders Alleinlebende, die auf einen Regelsatz angewiesen sind und wenig mit anderen Ausgabeposten puffern können.

Michael Stiefel

Michael Stiefel leitet das Projekt "Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung", mit dem die Diakonie Deutschland seit 2021 die unterschiedlichen Perspektiven von Menschen mit Armutserfahrung, etwa von wohnungslosen Menschen, kinderreichen Familien, allein und getrennt Erziehenden, Erwerbslosen und Menschen mit Behinderung, übergreifend bündeln und in die Positionsfindung der Diakonie einbeziehen möchte. Er selbst war wohnungslos und engagiert sich im Armutsnetzwerk und in der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen.
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Daniel Friesen

Daniel Friesen, Jahrgang 1998, studiert an der Freien Universität Berlin Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Politikwissenschaft. Parallel lernt er Russisch. Vom 24. Februar bis zum 15. April 2022 hospitiert er in der chrismon-Redaktion.

Viele pendeln zu ihrem Arbeitsplatz in die Stadt, weil sie sich die hohen Mieten nicht leisten können. Wenn sie jetzt auch den Sprit nicht mehr bezahlen können, droht ihnen der Verlust des Arbeitsplatzes?

Nicht unmittelbar. Menschen mit niedrigem Einkommen, die in die Stadt pendeln müssen, steigen augenscheinlich im Moment in großer Zahl auf die öffentlichen Verkehrsmittel um, nehmen also längere Wege in Kauf. Wenn das nicht möglich ist, stellt sich für viele Geringverdiener die Frage: Lohnt es sich überhaupt zu arbeiten, wenn ein so großer Teil meines Einkommens bereits für die Spritkosten draufgeht? Dieses Problem wird sich eher noch verschärfen, denn steigende Rohstoffpreise schlagen immer erst mit zeitlichem Abstand auf die Endverbraucherpreise durch. Die jetzigen Spritpreise basieren auf den Rohölpreisen von vor einem halben Jahr, die jüngste außenpolitische Zuspitzung ist da wohl nur teilweise erfasst. Auch die beschlossene Erhöhung der Pendlerpauschale von 35 auf 38 Cent pro Entfernungskilometer hilft vielen Menschen nicht, da die Pendlerpauschale lediglich die Einkommenssteuer verringert. Menschen mit niedrigen Einkommen zahlen aber keine - oder nur eher niedrige Steuern.

Wer wenig Geld hat, wendet anteilig am meisten für Energie auf

Was sind die Folgen?

Ein fiktives Beispiel: Eine Aufstockerin arbeitet in Teilzeit in Randschichten. Ihr Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch wird mit insgesamt 892 Euro veranschlagt. Sie arbeitet 20 Stunden pro Woche, was bei einem Stundenlohn von 10,20 ein Monatseinkommen von etwa 884 Euro brutto und 728 Euro netto ergibt, das für ihren Bedarf nicht ausreicht. Ihr verbleibt ein Freibetrag für Erwerbstätige von 256,80 Euro. Lohnsteuer fällt bei diesem Einkommen nicht an, eine Pendlerpauschale nützt ihr gar nichts. Sie fährt an 18 Tagen jeweils 35 Kilometer zur Arbeitsstelle – und zurück, monatlich also 1260 km. Bei einem Spritpreis von 2,16 Euro für den Liter und einem Verbrauch von acht Litern auf hundert Kilometern macht das etwa 218 Euro. Das Jobcenter erkennt aber lediglich 10 Cent pro gefahrenen Kilometer als Fahrtkosten an, also 126 Euro, und zieht diese vom Nettoeinkommen ab, das auf den Regelsatz angerechnet wird. Der Aufstockerin bleibt kein Geld mehr zur Deckung von Versicherung, KFZ-Steuer und anderer Autokosten. Vielmehr bezahlt sie eine Differenz von rund 92 Euro an Spritkosten letztlich aus ihrem Erwerbstätigenfreibetrag.

Trotz des milden Winters sind die Heizkosten für deutsche Haushalte in den letzten Monaten stark angestiegen. Welche Folgen hat das für Einkommensschwache?

Menschen mit geringem Einkommen wenden anteilig am meisten für Wohnenergie auf. Steigen hier die Preise, bringt das die gesamte Haushaltskalkulation ins Wanken. Die staatliche Unterstützung für Armutshaushalte krankt an zwei Stellen. Zum einen wird der Bedarf für Energie nur am Hauptmieter gemessen, Kinder und andere Familienangehörige gelten ebenso wie Untermieter als Nullverbraucher. Zum anderen werden die Leistungen jährlich erhöht, orientieren sich also noch an den Preisen des Vorjahres. Damit hinken die ermittelten Bedarfe den realen Kosten ständig hinterher. Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, sind zunächst gezwungen, horrende Schulden anzuhäufen, bevor ihnen schließlich oft die Stromversorgung abgestellt wird.

Wie bewerten Sie hier die Maßnahmen der Bundesregierung?

Die Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli wird sich womöglich auf die Strompreise auswirken, nicht aber auf die Gaspreise, die Heizen und Kochen betreffen. Der Corona-Zuschuss von 100 Euro pro Kopf für Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung ist natürlich richtig, zumal die Erhöhung der Regelsätze um lediglich 0,7 Prozent zum Jahreswechsel angesichts der starken Preissteigerungen aller Orten geradezu lächerlich niedrig war. Allerdings fordern wir als Diakonie, dass dieser Zuschuss nicht nur einmalig gezahlt wird, sondern monatlich. Die hohen Preise bleiben schließlich ein Problem. Zudem müssen die Energiekosten in Zukunft vom Regelsatz abgekoppelt, gesondert regelmäßig ermittelt und dann auf den realen Energieverbrauch eines Haushalts umgerechnet werden.

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