Ukraine
Ukraine / Nikolske /// Gut 20 km nord-westlich von der Küstenstadt Mariupol lebt Vater Valerii (39) mit seiner Frau Alexandra und seinen fünf Adoptivkinder sowie vielen Tieren im Exil.
Sebastian Backhaus
Im Hintergrund feuert die Artillerie
Kateryna Oman hört den Krieg schon gar nicht mehr, obwohl er so nah ist. Besuch bei Menschen an der Frontlinie im Osten der Ukraine.

Sieben Jahre Krieg haben die Ukraine gespalten. Eine 500 Kilometer lange Front trennt den Osten vom Rest des Landes. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in dem Konflikt über 13 000 Menschen gestorben und rund 1,5 Millionen mussten fliehen. Dieses Jahr sind über 50 ukrainische Soldaten durch Scharfschützen und Artilleriebeschuss getötet worden. Doch in den Nachrichten der westlichen Nachbarn taucht der Krieg nur noch selten auf. Im Frühjahr ­interessierte sich die westliche Welt kurz dafür, als russische Truppen im Grenzgebiet aufzogen und die Angst vor einer Eskalation wuchs.

Auch die Erinnerungen an die zunächst friedlichen und dann zunehmend blutigen Monate des Euromaidans im Winter 2013 und Frühjahr 2014 verblassen. Damals stürzten Ukrainer und Ukrainerinnen den Präsidenten Wiktor Janukowytsch – in der Hoffnung, ihr Land würde sich von Russland ab- und Europa zuwenden. Auf den Sturz des Staatsoberhaupts folgten zunehmend offene Kämpfe im Osten der Ukraine. Dort, im Industrie- und Kohle­revier Donbass, sind die Hauptstadt Kiew und die Demonstranten auf dem Maidan weit entfernt, und die russische Grenze ist nah. Der Streit um die Zukunft des Landes entzweit hier Familien und Freundeskreise, Städte und Dörfer.

Mit Unterstützung Russlands zwangen Separatisten immer mehr Landstriche unter ihre Kontrolle, erklärten sie für unabhängig und riefen die eigenständigen Volksrepubliken Donezk und Luhansk aus. Die desolat aufgestellte ukrainische Armee konnte ihnen in den ersten Monaten kaum etwas entgegensetzen. Ehe sich das änderte, standen Teile des Landes unter Kontrolle der Separatisten, und Russ­land annektierte die ukrainische Halbinsel Krim.

Mittlerweile haben sich beide Seiten tief eingegraben, es kämpfen auf ukrainischer Seite die reguläre Armee und Freiwilligenmilizen, auf der prorussi­schen Seite ukrainische Separatisten mit russischer Unterstützung. Was es an bescheidenem Wohlstand im Osten der Ukraine gegeben hatte, hat der Krieg zerstört. Viele Menschen haben ihr Zuhause und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren. Der Frontverlauf ändert sich seit Jahren aber kaum noch. Scharfschützen und Artillerie bekämpfen einander über Distanz. Der Krieg wurde Alltag. Wie hat er das Leben der Menschen in den Orten an der ­Frontlinie verändert? Das haben wir den orthodoxen Pater ­Valerii, den Milizenführer Dmytro Kotsubaylo und die Studentin Kateryna Oman gefragt.

Pater Valerii mit seiner Frau Alexandra und seinen fünf Adoptivkinder in ihrem Wohnzimmer.

Der Priester empfängt seine Gäste am Orts­eingang von Nikolske, einem Ort mit 8000 Einwohner:innen, eine Autostunde und diverse Militärkontrollen von Mariupol am ­Schwarzen Meer entfernt. In seinem klapprigen blauen Schiguli 2105 lotst er die Besucher durch seine neue Heimat. Mit jeder Abzweigung von der Hauptstraße werden die Häuser kleiner. Asphalt weicht Kopfstein­pflaster, schließlich stellt Pater Valerii den Wagen auf einem Feldweg vor einem ein­stöckigen Haus am Rand der Siedlung ab.

Privat

Florian Guckelsberger

Florian Guckelsberger ist Reporter und ­Managing Editor des Nahost­magazins "­Zenith". Er hätte gern auch Menschen auf der anderen Seite der Front besucht. Doch Corona und die ukrainische Büro­kratie haben das Vorhaben unmöglich ­gemacht.
privat

Sebastian Backhaus

Sebastian Backhaus, ­Foto­graf, war tief berührt, auf der einen Seite die Idylle zu erleben, in der Vater Valerii mit seiner Familie jetzt lebt, und ­zugleich den Horror seiner Vergangenheit zu erfahren. Die Familie hat ein Happy End erlebt, das für einen Hollywood­film zu kitschig wäre.

Am Gartenzaun warten seine Frau ­Alexandra und die fünf adoptierten Kinder. Im Garten wuselt, hechelt und schnattert es, Katzen, Hund, Enten. Einige der Kinder ­drängen sich schüchtern hinter den breiten Rücken ihres Vaters.
"Ich erinnere mich gut an den ersten Tag des Krieges", sagt Pater Valerii und erzählt von jenem eisigen Frühjahrstag 2014, als ukrainische Soldaten mit Panzern in die Gemeinde Hrekovo-Oleksandrivka fuhren, wo er damals mit seiner Familie lebte. "Sie stellten die Fahrzeuge in einem Kreis auf, und ich hatte keine Ahnung, warum." Dann erfuhr er: Die ­Soldaten wussten selbst nicht, von wo Gefahr droht. Welche Ukrainer auf ihrer Seite stehen und welche nicht.

Pater Valerii führte damals ein Hospiz. Er sagt, schon lange vor dem Krieg habe es teils gewaltsame Konflikte zwischen Priestern seines Kiewer Patriarchats und denen des Moskauer Patriarchats gegeben. Doch vor allem erinnert er sich an schöne Momente. Zum Beispiel, wie er bei einem Gottesdienst Alexandra begegnete. Wenige Monate später heirateten sie, orthodoxe Priester dürfen verheiratet sein. Als das Paar Jahre später keine eigenen Kinder hatte, meldete sich ein befreundeter Priester: Er habe bei einem Besuch im Krankenhaus einen kleinen Jungen gesehen, der suche ­ eine Adoptivfamilie. Er und seine Frau hätten nicht gezögert, sagt Pater Valerii.

Nach dem Überfall zogen sie weg

Heute haben Valerii und Alexandra fünf Adoptivkinder. Alle schauen an diesem Nachmittag zusammen im Wohnzimmer des kleinen Hauses in Nikolske auf den Fernseher, auf Aufnahmen von früher. Ein grobkörniges Video zeigt Pater Valerii mit Bart und Mantel als Weihnachtsmann verkleidet, während er Geschenke an die Bewohner ­seines Hospizes verteilt. Wie ein Fenster in die Vergangenheit hängt der Fernseher an der Wand.

Der Krieg erreichte schließlich auch das ­Hospiz, erzählt Pater Valerii. "Ich habe gearbeitet wie immer, als mich jemand vor dem Hospiz von hinten niederschlug." Die maskierten Angreifer hätten ihn auf Russisch angebrüllt. Er habe immer nur gerufen: "Ich bin der Priester, ich bin doch der Priester", bis sie irgendwann von ihm abgelassen hätten.

Nach dem Überfall suchte er mit seiner ­Familie nach einem neuen Ort auf der anderen Seite der Front, in den sie umziehen könnten. In Nikolske lebt ein Verwandter, und so haben sie sich hier niedergelassen, nur 90 Kilometer von ihrem alten Leben entfernt. Doch ihr ­früheres Zuhause in Hrekovo-Oleksandrivka ist unerreichbar. Es liegt tief in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten und ist Teil der selbst ernannten Volksrepublik Donezk. "Unser Leben hat sich dramatisch verändert", sagt Pater Valerii. "Nie hätte ich gedacht, dass wir unsere Heimat verlassen müssen."

Wenn er über den Krieg spricht, wird sein Atem flach und die Stimme dünn. Sein Haar ist grau, er hat Diabetes, chronische ­Schmerzen im Rücken und sieht viel älter aus als seine 39 Jahre. "Obwohl ich Priester bin, kann ich denen, die mir das angetan haben, nicht verzeihen", sagt er.

Eine neue Kirche

Mittlerweile steht er als Kaplan in der ukrainischen Armee anderen zur Seite, bestattet getötete Soldaten und tröstet ihre überlebenden Kameraden. Im Schlafzimmer bewahrt er eine in Metall eingeschlagene Bibel auf. Kämpfer haben sie in einer zerstörten Kirche im Frontgebiet entdeckt und ihm geschenkt. "Ich habe Freunde begraben. Ich wünsche niemandem den Tod, aber ein Zusammenleben mit diesen Menschen ist nie wieder möglich." Er meint viele seiner früheren Nachbar:innen, die jetzt die Russen unterstützen und nicht mehr Teil der Ukraine sein wollen.

Am frühen Abend führt Pater Valerii seine Gäste zum Park von Nikolske und zu einem Fußballfeld. Hier will der orthodoxe Priester eine neue Kirche bauen. Es gab an der Stelle schon eine, bevor die Sowjets kamen, später wurde sie abgerissen und ein Lenin-Denkmal errichtet. Die Bauarbeiten zu Valeriis Projekt haben noch nicht begonnen, das Gras steht kniehoch. Aber die Gemeinde habe das Geld dafür beisammen, der Entschluss stehe fest, sagt Pater Valerii und schlägt mit dem Arm einen großen Bogen, um die Umrisse anzudeuten. Der Ort ohne Kirche und der geflüchtete Priester haben sich gefunden, wie es scheint.

Die junge Kateryna Oman genießt die Stille und dass es so grün ist in Novhorodske.

Als das erste Mal an diesem Tag eine Explosion zu hören ist, krault Kateryna Oman in Novhorodske am Pavillon der Verliebten eine Katze, die in der Sonne döst. "Die liebt nur sich selbst", sagt Kateryna Oman und lacht, als wäre da eben kein Artilleriefeuer zu hören gewesen.

Auf das Grollen folgen weitere ­Einschläge. Der Krieg ist nah. Zwei, drei Kilometer, schätzt Kateryna und zeigt Richtung Osten. Die Explosionen unterbrechen das Leben der Menschen in Novhorodske nicht mehr. Niemand geht langsamer oder schaut besorgt auf. Kein Auto hält, kein Gespräch stockt.
Auch die 17-Jährige ist mit ihren Gedanken weit entfernt vom Krieg. Heute ist ihr letzter Schultag. An ihrem weißen Shirt hängen deshalb ein Glöckchen und eine Schleife in Blau-Gelb, den ukrainischen Nationalfarben. Jedes Mal, wenn sie einen großen Schritt macht, klingt es hell durch den Park.

Viele wandern aus

Der Pavillon der Verliebten ist ein kleiner Platz mit Bänken direkt neben dem Kindergarten der Kleinstadt. Früher wohnten in Novhorodske 24 000 Menschen, heute sind es halb so viele. Der Krieg schreckt Investoren ab. So verschwanden erst die Arbeitsplätze und dann die Menschen.

Auch in anderen Regionen wandern viele Ukrainer:innen aus. Laut einer Umfrage des Razumkov Centre, eines Thinktanks in Kiew, kann sich die Hälfte der Bürger unter 29 Jahren vorstellen, die Ukraine zu verlassen. Ein Trend, den der Krieg beschleunigt, aber nicht ausgelöst hat. Seit der Unabhängigkeit 1991 ist die Bevölkerung um zehn Millionen Menschen geschrumpft. Heute leben noch 40 Millionen Menschen im Land. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Exodus anhält. Wer kann, geht.

Zum Studium nach Kiew

Auch Kateryna will aus Novhorodske fort – doch nicht für immer. Im Herbst wird sie nach Kiew zu ihrem Bruder ziehen und Fotografie studieren. Sie zeigt ein Foto auf ihrem Instagram-Profil, das sie mit ihrer Mutter bei einem Besuch in der Hauptstadt zeigt. "Ich werde die Menschen und die Atmosphäre hier vermissen", glaubt sie. "Kiew ist chaotisch und voller Partys. Aber hier kann ich einfach ­sitzen und lauschen. Man hört die Vögel ­singen und genießt die Stille."

Novhorodske ist beschaulich, die Gehwege außerhalb des Zentrums sind zumeist leer, die wenigen Autos fahren langsam. Eilig hat es hier nur die Armee, wenn sie mit ­schweren Lastern Soldaten an die Front fährt. Das höchste Gebäude der Stadt ist eine baufällige Kornmühle mit Getreidespeicher. Im nahen Phenolwerk haben einst mehr als 2000 Menschen gearbeitet, heute sind es 700.

Kateryna Oman ist in Novhorodske aufgewachsen – ukrainisch für New York. So heißt auch ihr Lieblingscafé.

Wer zur Armee geht, hat immerhin bezahlte Arbeit. Kateryna erzählt von ihren drei Brüdern. Einer war Soldat, sein Zeitvertrag ist gerade ausgelaufen. Er sei ernster geworden, findet sie. Als der Krieg begann, war Kateryna zehn. Was hat sich durch den Krieg für sie verändert? Das Einkaufszentrum, in das sie früher gern gegangen sei, liege jetzt auf der anderen Seite der Front, sagt sie. Viel mehr fällt ihr nicht ein.

Nach dem Studium möchte Kateryna zurückkommen und helfen, dass Novhorodske einen neuen Aufschwung nimmt. Ein Anfang ist gemacht: Novhorodske wird bald in New York umbenannt. Katerynas Lehrerin hatte die Idee. Sie fand heraus, dass Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Siedler den Ort als New York gegründet hatten und er erst zu ­Sowjetzeiten einen ukrainischen Namen erhielt. Drei Dutzend Menschen engagierten sich für die Umbenennung, auch Kateryna. "Ich möchte etwas aufbauen", sagt sie. "Es gibt kein Kino und keine Shoppingmall. Wenn es regnet, kann man nichts unternehmen." Vielleicht kommen ja Touristen, wenn sich die Stadt ein bisschen neu erfindet, hofft sie.

Bald New York?

Die Initiative drehte ein Video über ihre Stadt und stellte es ins Internet, formulierte eine Petition und reichte sie beim Parlament in Kiew ein. Die dort zuständige Kommission hielt das Vorhaben für zulässig, und am Ende stimmten die Abgeordneten für die Umbenennung. Das Café an der Hauptstraße in Novhorodske heißt schon "New York". Dort treffen sich Kateryna und ihre Freunde nachmittags und bestellen alkoholfreie Margaritas. Heißt es nicht, in New York sei alles möglich?

Dmytro Kotsubaylo (hinten) im Kommandobunker. Wo genau sich das Lager seiner Miliz befindet, soll geheim bleiben.

Zwei Autostunden nördlich von Nikolske steht Dmytro Kotsubaylo vor einer Wand mit Fotos von getöteten Kämpfern. Ein Altar für die ­Gefallenen, 53 junge Männer, ernste Blicke. Kotsubaylo ist Anführer einer Freiwilligenmiliz auf ukrainischer Seite. Auf dem Weg zu seinem Büro kommt er jeden Tag an den Fotos vorbei. "Der Waffenstillstand hält nicht. Die russischen Kräfte brechen ihn regelmäßig, sie wollen uns provozieren, und manchmal gelingt es ihnen", sagt Kotsubaylo. Er ist 25 ­Jahre alt und spricht über den Krieg wie andere über das Wetter. Das einzige Fenster in seinem Büro ist verdunkelt, vier Monitore auf seinem wuchtigen Schreibtisch zeigen Bilder der Über­wachungskameras, Funkgeräte husten kaum verständliche Lageberichte in den Raum.

Als die Proteste Ende 2013 in Kiew be­gannen, war Kotsubaylo gerade volljährig und studierte Kunst im westukrainischen Ver- waltungsbezirk Iwano-Frankiwsk. Entgegen allen Versprechungen hatte der damalige Präsident Wiktor Janukowytsch ein Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet. Wütende Ukrainer und Ukrainerinnen warfen ihm vor, er verkaufe die Ukraine an Russland. Kotsubaylo sagt, als er davon hörte, sei er direkt in den Zug nach Kiew gestiegen.

Früher Kunststudent, heute Milizenführer Da Vinci

Viele, die mit ihm protestiert hatten, kehrten nach dem Sturz des Präsidenten in ihr altes Leben zurück. Kotsubaylo stieg erneut in den Zug und fuhr in den Osten, wo im Frühling 2014 der Krieg begann und junge Männer wie er gebraucht wurden. Der Präsident war auf der Flucht, die Armee schlecht ausgerüstet, das militärische Kommando überfordert. Er sei Patriot und Nationalist und wollte helfen, sagt Kotsubaylo. "Die Front ist lang, es gab große ­Löcher in der Verteidigung. Diese Lücken ­haben wir gefüllt." Aus dem Kunststudenten wurde der Milizenführer Da Vinci.

Die Zeit der Provisorien ist lang vorbei. Das Lager der Miliz liegt in einem Industriegebiet nahe der Front, es ist von einer Betonmauer umgeben und mit Stacheldraht geschützt. In den Baracken dösen Dutzende Kämpfer, gekleidet in grün-beigen Flecktarn, oder spielen mit Smartphones. Neben ihnen liegen Stahlhelme und Spielkarten, Kalaschnikows und Kochtöpfe. Es gibt eine Sauna mit Holzofen und eine Sporthalle, einen Bunker, Panzerfahrzeuge und mattschwarz lackierte SUVs mit großen Stollenreifen.

Er hat sich an der Front eingerichtet

Da Vincis Kommandobunker ist das Zentrum des Lagers. Davor haben die Kämpfer einen Käfig aus festem Maschendraht gebaut. Darin läuft ein junger Wolf hin und her. Soldaten hätten das Tier gefangen und ihm aus Dankbarkeit für seine Unterstützung an der Front geschenkt, erzählt Kotsubaylo. Der Kommandeur einer Eliteeinheit der ukrainischen Streitkräfte sagt über Da Vinci: ­"Dieser Mann ist die Zukunft der Armee."

In sieben Jahren hat Kotsubaylo viele Einsätze überlebt, er hat Anerkennung und ­Res­pekt erworben und sich im Leben an der Front eingerichtet. An einer Pinnwand ­hängen Skizzen vom Frontverlauf und Fotos, die ihn mit seiner Freundin zeigen. Er hat sie im Kriegsgebiet kennengelernt. "Viele Menschen wollen den Krieg vergessen, aber er geht weiter", sagt er. "Es ist meine Aufgabe, gegen den Feind zu kämpfen und alle daran zu erinnern, dass es diesen Krieg gibt."

Ob die Zeichnungen über dem Schreibtisch von ihm stammen? Der ehemalige Kunststudent winkt ab, dafür sei keine Zeit. "Natürlich hatte ich andere Pläne für mein Leben. Aber als mein Land nach mir gerufen hat, blieb mir keine Wahl." Mit einigen früheren Mitstudenten ist er über Facebook befreundet. Viele seien nach Polen oder Israel ausgewandert.

Im Bunker hängen Bilder, die Kinder für die Soldaten gemalt haben.

Mittlerweile versucht die ukrainische Regierung, die Freiwilligenmilizen in die ­Armee einzugliedern. Für Kotsubaylo und seine Kämpfer ist das keine Option. "Das ukrainische Gesetz erlaubt es mir nicht, das zu tun, was ich für richtig halte", begründet er seine Weigerung. Seine Loyalität gelte der Ukraine und nicht der Regierung in Kiew. ­Eine Tätowierung an seinem Hals zeigt das Emblem des Prawyj Sektor, einer ultranationalistischen ­politischen Organisation: ein Schwert, ­flankiert von zwei Maschinengewehren.

Er gehört zu Ultranationalisten

Auf seinem Schreibtisch stehen Büsten von Stepan Bandera, Roman Schuchewytsch und Jew­hen Konowalez – umstrittenen Personen der ukrainischen Geschichte, die auch als Vordenker rechtsextremer Ukrainer gelten. "Wir sind gegen jegliche faschistische Ideologie", sagt Kotsubaylo, darauf angesprochen. "Natürlich gibt es auch Gruppen, die Nationalismus mit Faschismus verwechseln", fügt er hinzu. Jedes neue Mitglied werde gründlich auf ­seine Überzeugungen hin geprüft. Die Kritik der ­Gegner sei oft politisch motiviert: "Die russi­sche Propaganda will uns in ein schlechtes Licht rücken. Sie versuchen, uns zu diskreditie­ren."

"Wir werden diesen Krieg gewinnen", sagt Kotsubaylo. "Dann werde ich mich mit meiner Freundin irgendwo niederlassen." Und wenn der Krieg nicht endet? Es ist das einzige Mal, dass der junge Kommandeur lacht: "Dann ­bleibe ich hier für den Rest meines Lebens.

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