chrismon: Die Präsidentin und Leitung von Brot für die Welt will sich künftig von zehn unter 30-jährigen Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt beraten lassen. Warum?
Dagmar Pruin: Wir wollen die Perspektive junger Menschen stärker wahrnehmen: Was machen sie, an welchen Themen sind sie dran, was lernen wir aus ihrem Blick auf die Zukunft? Meine beiden Kinder treibt die Klimakrise um, sie waren letzten Freitag auf der Demo von Fridays for Future. Wir wollen im Zukunftsboard die jungen Menschen auch miteinander vernetzen, damit sie neue Ideen entwickeln – etwa für konkrete Schritte zu einer klimagerechten Welt. Oder dafür, wie wir noch auf andere Weise politischen Druck für Demokratie und Menschenrechte entwickeln können. Weltweit setzen sich junge Menschen für eine bessere Welt ein. Diese zusammenzubringen ist unser Ziel. Aus diesen Ideen wollen wir strategisch lernen. Brot für die Welt ist eine würdige Organisation mit über 60 Jahren Erfahrung. Gleichzeitig leben wir in einer Welt, die sich sprunghaft verändert. Es ist existenziell für uns, uns immer wieder neu zu hinterfragen: Ist es richtig, was wir machen und wie wir es machen?
Dagmar Pruin
Brot für die Welt arbeitet jetzt schon mit Partnern zusammen, die ihre Projektideen selbst einbringen. Was für blinde Flecken vermuten Sie bei sich?
Das Geheimnis der blinden Flecken ist ja, dass man nicht weiß, wo sie sind. Wir lassen unsere Arbeit hinterfragen. Wir haben jetzt schon einen Kreis für Beratungen, die Global Reference Group, zehn Persönlichkeiten aus Partnerorganisationen in Indien, Papua-Neuguinea und anderen Ländern. Auch ihre Perspektiven fließen in unsere Planungen ein.
Zum Beispiel?
Kürzlich tauschten wir uns in der Global Reference Group, diesem internationalen Beratergremium, darüber aus, in welchem Maß Gewalt gegen Frauen zunimmt. Der Kampf gegen diese Gewalt, das Empowerment von Frauen und Mädchen, auch das sind wichtige Ziele, die wir uns nun noch mal verstärkt vornehmen. Und auch unsere Partner im globalen Süden beschäftigt sehr: Wo können wir das, was junge Menschen bewegt, stärker in unsere Strategie und Arbeit aufnehmen.
"Wir hoffen, junge Menschen für die Aufgabe begeistern zu können"
Wer wählt die Jugendlichen aus, und nach welchen Kriterien?
Die Leitung von Brot für die Welt und die Brot für die Welt Jugend nominieren gemeinsam die Mitglieder. Wir werden uns auch von unseren Partnern bei der Auswahl beraten lassen – und hoffen dann, auch diese jungen Menschen für die Aufgabe begeistern zu können. Die Hälfte soll aus Deutschland und fünf aus dem globalen Süden kommen. Es sollen gut vernetzte Aktivisten und Aktivistinnen aus Jugendbewegungen sein, auch Influencerinnen. Gerade im globalen Süden finden manche sehr interessante junge Leute ihr Publikum über soziale Medien. Für uns ist es auch spannend, junge Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund – kirchlich und nicht-kirchlich – miteinander zu vernetzen und gemeinsam zu hören.
Wie oft und wo wollen Sie mit dem Zukunftsboard tagen?
Einmal im Jahr, mehrere Tage in Deutschland. Das sollte sich an andere Ereignisse anschließen, etwa den Kirchentag. Wir können uns auch in digitalen Konferenzen zusammenschalten. Aber es ist wichtig, alle zehn Mitglieder zum direkten Austausch auch physisch zusammenzubringen – allein schon deshalb, weil wir wegen der Zeitverschiebung sonst zu wenig Zeit am Tag für den Austausch hätten.
Die jungen Aktivist:innen im Zukunftsboard sind für drei Jahre nominiert. Ist das auf lange Sicht realistisch, dass sich ein Direktorium immer wieder auf die Ideen anderer junger Leute einlässt?
Das ist eine Frage der Haltung. Wenn man Dinge mehrmals hört, kann man sagen: Ach, habe ich schon gehört; man kann auch sagen, das hören wir jetzt schon ein zweites Mal, das muss uns was angehen.