Foto von Marian Braun im Bergpark am Schloss Wilhelmshoehe
Edler Spender: Marian Braun
Helena Schaetzle
Großspende
Der zieht das durch
Ein junger Mann an Göttingen hat 25 000 Euro an Brot für die Welt gespendet, um Kirchenwälder in Äthiopien zu unterstützen. Unser Steuersystem empfindet er als ungerecht. Wie kommt er darauf? Wir haben ihn besucht
Tim Wegner
privat
22.09.2021
8Min

Zwei, drei Minuten war viel los im Kopf von Marian Braun. So viel Geld! Gibt es nichts, was du dir gönnen könntest? Das fragte er sich, als er die fünf Ziffern in den Überweisungsauftrag tippte. ZWEI, FÜNF, NULL, NULL, NULL. Danach noch die TAN-Nummer. Und die Returntaste. Kurz vor Weihnachten war das, abends, nach einem ganz normalen Arbeitstag. Gewonnen haben die Zweifel den Kampf in seinem Kopf nicht. Marian Sebastian Braun spendete 25 000 Euro an Brot für die Welt. "Ich wusste, dass es richtig ist. Und ich hatte es versprochen."

In einem Leserbrief berichtete Marian Braun von ­seiner Spende. Er gehöre zu den privilegierten Menschen, die in der Corona-Pandemie keinerlei Einbußen hätten hinnehmen müssen. Als Banker habe er einige Immobilien verkauft und einen Teil des Erlöses gespendet. Wie viel Geld das war, schrieb er nicht. Das E-Mail las sich so, als hätte ein älterer Mensch sie geschrieben, reich an Lebenserfahrung und vermögend. Einer, der das Geld entbehren konnte.
Ein halbes Jahr nach der Spende öffnet ein Mann mit kurzen, blonden Haaren die Tür eines Hauses in einem Dorf bei Göttingen. Hohe Stirn, die Augen blinzeln in die Sonne, die Stimme grüßt leise, fragend, "Guten Tag?". Er trägt eine Outdoorjacke, Jeans, Turnschuhe, weil er ­spazieren gehen will. Marian Braun ist 31 Jahre alt.

"Ich bin kein Mensch, der von jetzt auf gleich alles ändert."

Nach dem Abitur 2009 machte Braun eine Banklehre, im Nachbardorf. Mit 22 Jahren war er Bankkaufmann. Leistungsbereit, ehrgeizig? Ja, das sei er schon. Er bildete sich nebenberuflich fort, mit 24 machte er seinen Bankfachwirt, anschließend nutzte er ein Angebot der Frankfurt School of Finance and Management, machte den diplomierten Bankbetriebswirt. Für die Seminare war er gut zwei Jahre lang fast jedes Wochenende unterwegs. Braun sagt, dass er ­lange Zeit nicht besonders viel nachgedacht habe über ­seinen Beruf, das Geld und die Banken. Ein Professor brachte ihn ins Grübeln, es ging um ethische ­Fragen. Marian Braun lernte: Wer bei einer normalen Bank Geld anlegt, finanziert damit unter Umständen auch Waffenhersteller, ohne es zu wissen. "Ich bin kein Mensch, der von jetzt auf gleich alles ändert", sagt Braun. Aber er fing an, sich zu informieren, über nachhaltige Finanzprodukte oder Mikrokredite für Menschen in Entwicklungsländern.

Damals arbeitete er schon für eine größere Bank in Hannover, wohnte aber weiterhin bei seinen Eltern. Falls er doch mal nach Hannover ziehen würde, kaufte er sich dort eine Wohnung. Braun erzählt, dass der Mieter der Wohnung ängstlich wirkte, als er sich die Immobilie ansah. In der Mittagspause war das, Braun trug einen Anzug. Würde er ihn auf die Straße setzen? Braun beruhigte den Mann, nur das Konto für die Mietzahlung sollte sich ändern. 2016 war das, in den folgenden Jahren kaufte er noch drei weitere Wohnungen in Niedersachsen dazu, 200 000 Euro bezahlte er dafür. Die Zinsen waren niedrig, die ­Mieteinnahmen deckten seine Raten. Ein gutes Geschäft, "und ich hatte auch ein bisschen Blut geleckt", sagt Braun. Ein Kommunist sei er weiß Gott auch nicht, erzählt er, ­ als er Pause auf einer Bank macht. "Was da in Berlin abgeht!", schimpft er. Er ärgert sich über große Immobilienkonzerne, die klammen Städten vor Jahren für wenig Geld die kommunalen Wohnungsbestände abgekauft und die Mieter ausgepresst hätten. So wolle er nicht werden.

Es gab noch ein Erlebnis, das ihn ins Grübeln ­brachte. In der ersten Corona-Welle war das, Braun arbeitete noch bei einer berufsständischen Bank in Hannover. Unter den Kunden, die er betreute, war auch ein Ehepaar, beide selbstständig, mit Beschäftigten. Die waren größtenteils in Kurzarbeit geschickt worden. "Vom Staat bekamen sie Geld für ihre Leute, aber privat fragten sie nach einem Kredit für ein größeres Haus, mit KfW-Förderung. Das habe ich nicht verstanden." Braun sprach den Fall in der Bank an, aber die Kolleginnen und Kollegen teilten sein Unbehagen nicht. Die Zahlen sprachen für die Bonität und ein gutes Geschäft – Braun musste die Anfrage bewilligen. Aber seine Zweifel wuchsen. Mit dem Girokonto war er schon zur Evangelischen Bank abgewandert. So erfuhr er: Die suchen Leute. Er bewarb sich – und wechselte nach Kassel.

Nur: Was sollte er nun noch mit den Wohnungen in Niedersachsen? Braun beschloss, sie zu verkaufen. In ­seinem Freundeskreis sorgte das für Kopfschütteln. "Die steigen doch noch im Wert, die musst du behalten!", ­rieten sie ihm. Und außerdem: Wer Immobilien nach mehr als zehn Jahren verkauft, zahlt keinen Cent Steuern auf den Gewinn. Braun empfindet das als ungerecht. Seine ­Wohnungen hatten in wenigen Jahren an Wert gewonnen, ohne dass er persönlich etwas dafür getan hatte. Er machte 60 000 Euro Gewinn. Von den Käufern ließ er sich eines versichern: "Die Mieter bleiben drin!"

Noch wartet Braun auf seinen Steuerbescheid. Natürlich gehen nicht die gesamten 60 000 Euro ans Finanzamt, aber etwa die Hälfte schon, denkt er. Einige seiner Freunde verstehen nicht, warum er die Spekulationsfrist nicht abgewartet hat. Braun versteht nicht, warum es so eine Frist gibt. Mit seiner Kritik ist er nicht allein. Chris­toph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit zählt die Spekulationsfrist zu den größten Ungerechtigkeiten im deutschen Steuerrecht. Es gibt keine aktuelle Statistik, wie viele Steuern dem Fiskus entgehen. Trautvetter schätzt, dass es allein 2019 potenziell unbesteuerte Erlöse von etwa 50 Milliarden Euro gegeben habe, weil Menschen Immobilien verkauften, die im Wert gestiegen waren. Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gehen davon aus, dass dem Staat sechs Milliarden Euro entgehen – pro Jahr. Allerdings arbeiteten sie mit Zahlen aus den Jahren 2016 und 2017. Seitdem sind Immobilien teurer geworden.

"Ich zahle gern Steuern."

"Ich zahle gern Steuern", sagt Marian Braun. ­Bildung, Infrastruktur – all das koste Geld. Wer viel habe, ­könne auch viel beitragen, und wer viel beitragen könne, ­verdanke das ja auch dem Staat, der ihn ausgebildet habe. "Wenn nun jeder kommt und Steuern sparen will, würden wir den Staat seiner Grundlagen berauben."

Trotzdem wollte er auch noch etwas spenden. Also bat er Petra Presting, die Pastorin in seiner Gemeinde, um ein Gespräch. "Ich wusste nur, dass er vorhat, Geld zu ­geben", sagt Petra Presting. Sie trafen sich im Gemeinde­saal, in dem sie heute auf die Konfirmanden wartet. Als ­Marian Braun sie vor einem Jahr besuchte, war sie baff. So viel Geld? Ein fünfstelliger Betrag? Klar, ihre ­Gemeinde könnte das Geld brauchen. Aber mit so einer Summe solle er sich lieber an Brot für die Welt wenden. Keine Frage, auch in Deutschland gebe es genügend Menschen, die Hilfe gebrauchen könnten, erklärt die Pastorin. "Aber es gibt Regionen auf der Welt, da gehen Menschen zeit ihres Lebens nicht mal in eine Statistik ein."

Und für Braun gebe es ja immer noch die Möglichkeit, sich am Gartentag der Gemeinde einzubringen. "Das hat er auch zugesagt!" Die Pastorin lacht, weil Braun am Ende doch nicht dabei war. Seine Telefonnummer war verloren gegangen. Egal, dann im nächsten Jahr! Muss, wer viel hat, auch viel abgeben? Die Pastorin tut sich schwer mit einer ganz eindeutigen Antwort. "Aber dass wir ab und zu angetippt werden von oben, anderen zu helfen – davon bin ich ganz fest überzeugt –, man muss es dann eben auch machen", sagt Presting.

Marian Braun war dankbar über den Fingerzeig und besuchte die Internetseite von Brot für die Welt. In dem weltweit tätigen Hilfswerk der evangelischen Landes- und ­Freikirchen in Deutschland gibt es ein Team, das sich um ­private Großspender kümmert. "Es geht um eine gute Beziehung, um ­Vertrauen", sagt ­Michael Türk, Teamleiter ­Philanthropie bei Brot für die Welt, der auch den ­Kontakt zu ­Marian Braun hält. "Wir wollen mit ­Menschen wie Herrn Braun ins Gespräch kommen. ­Welche Themen sind ihnen wichtig? Ernährung, Klima? In welcher Weltregion wollen sie helfen?" Wichtig sei auch, Interessenten ehrlich zu sagen, dass ein – geringer – Teil ihrer Spende für Verwaltung und Personal auf­gewendet werde. Hilfsorganisationen müssen das offenlegen, um das Spendensiegel zu erhalten. Bei Brot für die Welt kommen über 90 Prozent bei den Menschen an, laut dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen gilt das als vertrauenswürdig.

Das Vertrauen bei Marian Braun wuchs, je stärker er sich eingebunden fühlte. Mit jedem Telefonat stockte er seine Spende auf und entschied sich, den Erhalt von ­Kirchenwäldern in Äthiopien zu unterstützen. Sie umgeben Kirchen und Klöster, manche Wälder sind schon 800 Jahre alt. Ihr Bestand ist gefährdet, weil die Armut Menschen dazu zwingt, Bäume abzuholzen. 15 der ­Wälder will Brot für die Welt mit äthiopischen Partnerorganisationen retten.

"Ich bin weiß Gott kein Kommunist!"

Bewässerungssysteme sollen entstehen, Baumschulen auch. Und mit ihnen Arbeitsplätze. Kosten: 4,4 Millionen Euro. 400 000 davon will Brot für die Welt beisteuern. "Man kann Herrn Braun nicht genug danken", sagt Eric Mayer, Leiter des Referats Fundraising bei Brot für die Welt. Er verweist auf einen Trend: Immer we­niger Menschen spendeten – aber die Menschen, die es tun, geben mehr als früher. "Darunter sind auch viele Spenderinnen und Spender jungen oder mittleren Alters, die vielleicht geerbt haben oder unternehmerisch erfolgreich waren." Sie würden von den großen Fragen unserer Zeit angesprochen – Klima, Nachhaltigkeit, Ungerechtigkeit. "Wir sind aber für jedes Engagement dankbar", sagt Mayer, "es zählt jeder Euro, für viele sind auch zehn Euro viel Geld."

Marian Braun, der anfangs eine Spende von 10 000 Euro im Kopf gehabt hatte, hat auf seinem Spaziergang einen Wald jenseits der ICE-Trasse erreicht. Hier ist er häufiger, um Ruhe zu tanken. Er sagt, ein Tag im Wald sei für ihn wie Urlaub. Hätte er seinen Gewinn nicht in eine tolle Reise stecken können? ­Fliegen will er nicht, der Schaden für die Umwelt ist ihm zu groß. Seinen letzten Urlaub hat er in Dresden verbracht, das war per Bahn gut machbar. Wie wäre es mit einem schönen Auto, das was hermacht? Seinen kleinen Citroën benutzt er nur, um zum Bahnhof in Göttingen zu kommen. Das reicht. Nach Kassel fährt er mit dem ICE. Konsum kann er nichts abgewinnen. Er verdient netto 2600 Euro im Monat. Die Hälfte legt er in nachhaltige Fonds an, die Geld in erneuerbare Energien investieren – jedenfalls nicht in Streubombenhersteller. Seine monatlichen Spareinlagen sind kein Selbstzweck. Er will, innerhalb des Netzwerkes von Brot für die Welt, eine Stiftung gründen, 200 000 Euro braucht er dafür, 50 000 hat er schon beisammen. Freunde haben ihm zugesagt, ebenfalls Geld dazuzugeben, wenn es so weit ist. Sie wissen ja, dass er macht, was er ankündigt.

Über sich selbst sagt Marian Braun: "Ich führe ein ­Leben frei von großen negativen Erlebnissen." ­Anderen gehe es viel, viel schlechter. Überhaupt, die anderen, die Gemeinschaft. Auf die bezieht er sich oft, obwohl er ihr nur selten begegnet. Er kommt gut mit sich aus, lebt eher zurückgezogen, zu Hause, bei seinen Eltern.

Wofür genau sich seine Stiftung einmal einsetzen soll, weiß Marian Braun noch nicht. Aber er wird das durchziehen. Er kann schon den Kirchturm seines Heimatdorfes sehen, als er sich an den Kampf in seinem Kopf erinnert. ZWEI. FÜNF. NULL. NULL. NULL. Nach einer Woche seien das nur noch Zahlen gewesen. Und danach? "Ein gutes Gefühl. Davon kann man zehren."

Es ist eine Erfahrung, die er vielen anderen aus der Gemeinschaft wünscht.

Infobox

Gutes bewirken

Es gibt viele Möglichkeiten, mit seinem Vermögen oder seinem Nachlass Gutes zu tun. Jeden Monat stellen wir auf unserer Seite Projekt Initiativen vor, die auf Spenden angewiesen sind. Wer ein Leben lang mit der Kirche verbunden war, möchte sein Geld vielleicht gern der Kirche, Brot für die Welt oder der Diakonie spenden oder ver­erben.

Dafür gibt es jetzt hilfreiche Informationen: Auf der Seite was-bleibt.de kann man eine gleichnamige ­Broschüre bestellen. Es geht darin um Weiter­geben, Schenken, Stiften und Vererben. Neben praktischen Fragen – Wie verfasse ­ich ein Testament? Mit wem kann ich sprechen? – gibt die Broschüre auch Anregungen, wie man sein persönliches Herzensprojekt ­findet.

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Sehr geehrter Herr Husmann,
in der Ausgabe 10/21 habe ich soeben ihre Story zur Spende von Marian Braun gelesen. Hierzu möchte ich Ihnen -und wenn möglich auch Herrn Braun folgende Zeilen als Leserbrief zukommen lassen:
Jedes Mal, wenn jemand sich zur Großzügigkeit entscheidet, ist das etwas wundervolles!
Niemand also sollte eine Spende schlechtreden.
Gleichzeitig warnt uns Jesus Christus in Matthäus 6,2 davor, unsere gute Taten
freiwillig in die Öffentlichkeit zu tragen denn „…sonst habt ihr dafür keinen Lohn im Himmel.
Wenn du aber spendest, so soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut,
damit deine Spende im Verborgenen bleibt. Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht,
der wird es dir dann vergelten.“ Jesus, der Spielverderber? Mitnichten- er entlarvt lediglich die mondäne Logik à la „Tu Gutes und rede darüber“ als pure Eitelkeit und sagt: Die edelsten Taten geschehen im Geheimen. Ein echter Anhänger Jesu wird der Versuchung widerstehen, Ehre bei den Menschen zu suchen -und ein
Journalist der das Evangelium kennt, sollte ihn eher davon abhalten, durch einen großen Aufmacher
sich der eigentlichen Schönheit seiner guten Tat zu berauben.
Für den Abdruck möchte ich mich schon im Voraus bedanken.
Mit besten Grüßen
Christof Hartkopf
Fürstenfeldbruck

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Es ist schon berührend, wie der junge Banker Marian Braun nach einigen Jahren guten Geldverdienens zu der Erkenntnis gekommen ist, dass ihm schnöder Mammon nichts bedeutet, er vielmehr von seinem kleinen Reichtum die große Summe von 25 000 Euro abgegeben hat. Dass er dafür die kirchliche Holfsorganisation "Brot für die Welt" auswählte, die die Spende in die Erhaltung von Kirchenwäldern in Äthiopien einsetzen wird, verdient ebenfalls Lob. Denn in diesem Land ist der Waldbestand durch Abholzung der Menschen aus Not seit Anfang der 1960er Jahre um gut zwei Drittel zurückgegangen. Davon konnte ich mich in der Vergangenheit vor Ort bei mehrfachen Besuchen in größeren Abständen überzeugen. Erhaltung und Aufforstung der verbliebenen Wälder hat deshalb besondere Bedeutung für die Zukunft Äthiopiens.

Auch wenn er noch nicht genau weiß, wofür sich die von ihm geplante Stiftung einmal einsetzen wird, kann man nur hoffen, dass Marian Braun damit Erfolg hat. Auch sind ihm viele gleichgesinnte Unterstützer zu wünschen. Wir brauchen viele Leuchttürme wie diesen jungen Mann - damit die Welt besser wird!
Mit besten Grüßen
Manfred H. Obläder