Das staatliche Textilsiegel Grüner Knopf zeichnet seit einem guten Jahr nachhaltig produzierte Kleidung aus. Gut ein Drittel der Deutschen kennt es, das heißt aber auch, zwei Drittel kennen es nicht. Kann man als verantwortlicher Minister damit zufrieden sein?
Gerd Müller: Ich finde Ja. Wir haben 2019 mit 27 Firmen angefangen, jetzt sind es doppelt so viele. Darunter auch Einzelhändler wie Lidl, Tchibo, Kaufland und Aldi, die vermehrt Kleidung mit dem Grünen Knopf ins Angebot nehmen. Das zeigt: Unser Siegel kommt in den Geschäften an.
Gerd Müller
Dorothea Heintze
Geschätzte drei bis fünf Milliarden Textilien werden in Deutschland pro Jahr verkauft. Nicht einmal 50 Millionen davon sind mit dem Grünen Knopf ausgezeichnet. Ein Tropfen auf den heißen Stein?
Nein, ein guter Anfang! Das sind immerhin 1,5 bis drei Prozent Marktanteil. Ich finde, das ist eine solide Entwicklung inmitten der Corona-Krise. Das deutsche Bio-Siegel startete mit zwei Prozent. Heute kennt es jeder. Immer mehr kaufen bio, weil ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist. Ich bin optimistisch, dass es beim Grünen Knopf genauso sein wird. Aber das geht nicht auf einen Schlag. Es braucht Pionierfirmen, die vorangehen und die sich engagieren. Für diesen Einsatz bin ich sehr dankbar.
Kritiker sprechen vom grünen "Knöpfchen", weil zum Beispiel Kinderarbeit in den Vorgaben verboten ist, bei der Vergabe des Siegels aber noch nicht geprüft wird, ebenso wenig wie ein Mindestlohn.
Dem stimme ich nicht zu: Die Anforderungen des Grünen Knopfs sind hoch! Insgesamt müssen 46 anspruchsvolle Sozial- und Umweltstandards erfüllt werden – von A wie Abwassergrenzwerte bis Z wie Zwangsarbeitsverbot.
Was hat die Näherin vor Ort ganz konkret davon?
Nehmen Sie eine Jeans. Die wird in Bangladesch für fünf Dollar hergestellt. Ich habe mir das angesehen. Bei uns liegt sie dann für 50 oder 100 Euro im Laden. Die Näherinnen schuften 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, für einen Stundenlohn von weniger als 40 Cent. Eine Verdopplung würde schon reichen, damit sie von ihrem Einkommen leben können. Die Jeans würde nur um einen Euro teurer in der Produktion– von fünf auf sechs Euro. In den Handelsspannen ist Luft, das aufzufangen.
"Es kann nicht sein, dass Unternehmen ohne Rücksicht auf Menschenrechte produzieren"
Noch ist das Siegel freiwillig …
Nur mit Freiwilligkeit kommen wir nicht weiter, wir brauchen verbindlich einzuhaltende Grundstandards. Es kann nicht länger sein, dass Unternehmen ohne Rücksicht auf Menschenrechte produzieren und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Deshalb schlagen Arbeitsminister Heil und ich ein Lieferkettengesetz vor, das gleiche Spielregeln für alle schafft. Die Eckpunkte dafür liegen seit vier Monaten auf dem Tisch. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob wir ein Lieferkettengesetz in dieser Legislaturperiode bekommen.
Durch die Pandemie sind Umsätze weggebrochen. Wie wollen Sie da höhere Auflagen für deutsche Unternehmen durchbringen?
Ja, viele heimische Unternehmen leiden – Gastronomie, Busunternehmer, Kultur und Künstler. Aber unsere Solidarität darf nicht an den Grenzen enden. Damit wir immer billiger kaufen können, arbeiten Hunderttausende Kinder und Frauen unter unmenschlichen Bedingungen. Weltweit werden 75 Millionen Kinder in Textilfabriken, Steinbrüchen, auf Tee- und Kaffeeplantagen ausgebeutet – auch für unsere Produkte. Kein sozial denkender Mensch, auch kein Unternehmer, mit dem ich spreche, sagt mir, dass das einfach so weitergehen sollte. Wir sind es der Schöpfung und nachfolgenden Generationen schuldig, diese brutale Ausbeutung von Mensch und Natur in den ärmeren Ländern dieser Welt zu beenden.
Sie betonen immer wieder, dass Ihre Argumente die stärkeren sind. Warum gibt es dann nicht schon längst ein Lieferkettengesetz?
Bei Veränderungen gibt es immer Widerstand. Der kommt vor allem von den Verbänden. Dort herrscht immer noch die reine Marktlogik, der Gewinn allein entscheidet. Wer so argumentiert, akzeptiert, dass ein Unternehmer wie Jeff Bezos, Chef von Amazon, mitten in der Krise riesige Milliardengewinne macht, aber fast keine Steuern in Europa zahlt. Vor einem Jahr haben die Verbände beim Grünen Knopf übrigens die gleichen Argumente rausgeholt: Die Lieferkette sei viel zu komplex, das könne keiner schaffen. Der Grüne Knopf zeigt aber: Es geht. Viele Unternehmen sind schon weiter als so mancher Verband. Ich arbeite an dem Thema weiter und lasse mich nicht beirren.
Wo suchen Sie Verbündete?
Das sind die kirchlichen Hilfswerke, Misereor, Brot für die Welt und die Caritas und die Kinderhilfsorganisationen. Die Verbraucherzentralen, die Kirchen und fast 100 Unternehmen wie Tchibo, dm und Ritter Sport haben sich klar für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen. Auch drei Viertel der Deutschen sind für ein solches Gesetz. Und natürlich sind die vielen Eine-Welt-Läden Verbündete – sie waren der Zeit schon immer voraus!
Wo ist der Bedarf besonders groß?
Jetzt vor Weihnachten beispielsweise ist mir aufgefallen, dass es noch viel zu viele Schokoladen-Weihnachtsmänner aus nicht fair gehandelter Schokolade gibt. Es wäre ja eine Überlegung, Weihnachten bewusst fair zu gestalten. Das fängt bei den Schokoladen-Weihnachtsmännern an, geht über zertifizierten Kaffee und Tee oder Kleidung mit dem Grünen Knopf. Auch Bananen und Orangen gibt es im fairen Einkauf. Und ansonsten sollten wir bei dem ganzen Onlinehype den lokalen Einzelhandel nicht vergessen.