Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran wurde deutlich: Wenn sich das Pflegepersonal und sonstige Angestellte in Frankreichs Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen nicht bis 15. September impfen lassen, "werden sie nicht mehr bezahlt".
Rumms.
Und wie das mit deutlichen Worten oft so ist - sie machen Eindruck, auch hierzulande. Der deutsche Mediziner Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebundes, spricht sich für eine berufsbezogene Impfpflicht in medizinischen und pflegerischen Berufen aus. Er nennt Mitarbeiter in Krankenhäusern, die sich nicht impfen lassen wollten, "verantwortungslos, (...) und denen muss man ein kleines bisschen vielleicht mit einer Impfpflicht dann nachhelfen". Der französische Vorstoß (und der anderer Staaten) hat hierzulande zu einer Debatte geführt, ob eine Impfpflicht angesichts der offenkundig sehr ansteckenden "Delta"-Variante erforderlich sei. Der Streit darüber ist wichtig, auch wenn die Impfpflicht ein Fehler wäre. Warum?
Nils Husmann
Vertreterinnen und Vertreter der Bundes- und Landesregierungen haben - seitdem es die Aussicht auf eine wirkungsvolle Impfung gibt - wieder und wieder betont: "Eine Impfpflicht wird es nicht geben." Bricht die Politik mit diesem Versprechen, wäre das Wasser auf die Mühlen der Querdenker und Impfgegner, um die es gerade angenehm ruhig geworden ist. Sie wieder zu stärken, wäre unnötig und mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf auch töricht.
Auf Menschen, die keine pauschalen Gegner einer Immunisierung sind, aber Ängste haben und skeptisch sind, hätte eine Impfpflicht eine verheerende Wirkung. Sie würden dann wohl erst recht denken, dass die Spritze gefährlich ist, wenn man sie dazu zwingen muss. Ihre Bedenken zerstreut man eher, indem man zuhört und offen ist für Gespräche. Und mit jeder weiteren Impfung in ihrem Umfeld werden ihre Zweifel vermutlich abnehmen, denn sie sehen ja, dass Impfen wirkt und hilft.
Eine deutliche Mehrheit ist schon geimpft
Bisher haben sich in Deutschland 49 Millionen Menschen wenigstens ein Mal impfen lassen, das ist eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung von 58,9 Prozent - obwohl es bis vor kurzem nicht einfach war, einen Termin zu bekommen. Das sind gute Nachrichten!
Das heißt aber auch, dass 40 Prozent noch nicht geimpft sind. Einige davon werden es in absehbarer Zeit auch nicht sein, weil sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können - oder weil sie noch klein sind. Bislang ist kein Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren zugelassen. Dass die Politik nun Druck auf die Ständige Impfkommission (STIKO) ausübt, damit sie den Wirkstoff von Biontech/Pfizer doch bitte für alle 12- bis 18-Jährigen zulässt, ist unsäglich. Denn es kostet Vertrauen in die STIKO, die sich wissenschaftlichen Maßstäben verpflichtet fühlt - und keinen politischen Erwägungen. Dass die Menschen der STIKO vertrauen, ist für die Bekämpfung der Pandemie unerlässlich. Deshalb sollte man dieses Vertrauen nicht gefährden.
Das Verhältnis 60 zu 40, das sich sicher noch zugunsten der Geimpften verschieben wird, wirft Fragen auf: Wie wollen wir mit den Menschen umgehen, die ihre Chance genutzt und sich gegen einen - nach allem, was man weiß - schweren Verlauf geschützt haben? Oft ist die Rede davon, man müsse Geimpften (und Genesenen) ihre Freiheiten "zurückgeben". Aber diese Formulierung ist irreführend, sogar gefährlich. Grundrechte kann man uns nicht wegnehmen und uns irgendwann zurückgeben; sie stehen uns zu. Immer. Sie einzuschränken, ist nur auf Zeit und mit sehr guten Gründen legitim.
Das müssen alle Menschen wissen, die sich nicht impfen lassen wollen. Denn im Umkehrschluss bedeutet das, dass fortan sie es sein werden, die mit Einschränkungen leben müssen. Dieser Gedanke mündet nicht in eine Impfpflicht. Wohl aber in Gespräche mit Gastwirten, die nach dem Impfpass oder einem Negativtest fragen. Momentan sind diese Tests noch gratis. Warum sollten die Steuer- und Beitragszahlerinnen in Zukunft für die Tests derjenigen aufkommen, die die Chance auf eine Impfung nicht wahrnehmen? Das kann ein Hebel ein, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Aber auch vor diesem Schritt sollte ein anderer folgen: reden, reden, reden!
Die Impfung muss nun zu den Menschen kommen
Um die Gesellschaft vor dem Virus zu schützen und zu verhindern, dass die Intensivstationen überlastet werden, soll eine Impfquote von 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen nötig sein. Unter den Älteren gelten 90 Prozent als Richtwert. Das sind ehrgeizige Ziele. Beim medizinischen Personal liegt die Impfquote bei den Erstimpfungen bei 84 Prozent. Schon oder nur? Das ist Ansichtssache.
Dringend muss die Impfung nun zu den Menschen kommen, an denen die Kampagne bisher vorbeigelaufen ist und die sich nicht aktiv um einen Termin bemühen. Wichtig sind Informationen in anderen Sprachen. Und Vertrauen. Dafür kann man auch die Religionsgemeinschaften einbinden. Oder Sportvereine. Die mobilen Impfteams haben im Winter in den Pflegeheimen großartige Arbeit geleistet.
Impfen schützt nicht nur jeden einzelnen Geimpften, sondern auch die Gemeinschaft. Bevor der Staat mit Pflichten einschreitet, sollten die Geimpften es zu ihrer Aufgabe machen, anderen von ihren Erfahrungen zu berichten. Ja, ich bin geimpft! Ja, tags darauf habe ich mich nicht gut gefühlt. Und trotzdem bin ich froh, dass ich jetzt geschützt bin und meine betagten Eltern wieder sorgenfrei besuchen kann. Man wird dadurch nicht mit allen ins Gespräch kommen, aber mit vielen schon. Und jede Einzelne zählt - auch um die zu schützen, die sich noch nicht impfen lassen können: die Kinder.
_Gesundheit I Bitte um differenzierten Diskurs
Liebes Chrismon-Team,
ich schreibe Ihnen in tiefer Sorge. Als nicht gegen Covid19 Geimpfte komme ich, kommen die mir nahestehenden Menschen immer mehr in Bedrängnis. Wir haben Angst, zu Menschen zweiter Klasse degradiert zu werden, unsere beruflichen Möglichkeiten zu verlieren, Freiheitseinschränkungen zu erleiden und Ähnliches.
Ich vermisse einen kritischen wissenschaftlichen Diskurs innerhalb Ihres Magazins. Und ich vermisse von Ihnen als christlichem Magazin eine entschiedene ethisch motivierte Parteinahme für eine echte Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Auffassungen in der Gesellschaft.
Der Artikel "Reden, reden, reden" geht davon aus, dass eine Impfung gut ist und wirksam schützt. Dieser Meinung sind längst nicht alle Wissenschaftler*innen, Ärzte und Therapeut*innen. Viele sehen das sehr differenziert. Und viele sehen andere wirksame Schutzmöglichkeiten, die derzeit nicht von der Politik gefördert werden.
Ich bitte Sie daher um Ihre kritische Stimme in Chrismon, die deutlich macht, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt, und damit auch nicht nur eine Möglichkeit, sich und seine Lieben vor Erkrankung zu schützen.
Vielleicht können Sie Wissenschaftler*innen und Therapeut*innen verschiedener Einstellungen an einen Tisch bringen? Ich bitte Sie darum, einen Diskurs zu fördern, der öffentlich, offen und ehrlich unter Wissenschaftler*innen, Ärzten, Therapeut*innen verschiedener Meinungen geführt wird.
In einer Demokratie sollte es möglich sein, dass Menschen mit unterschiedlichem Gesundheitsverständnis friedlich miteinander zusammenleben und die gleichen Rechte und Freiheiten genießen. Bitte machen Sie sich dafür, gerade als christliches Magazin mit besonderer ethischer Verantwortung, stark!
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen,
Veronika Schmidt
PS: Im Übrigen: Auch für Geimpfte gibt es keine Garantie, dass sie nicht doch erkranken oder andere anstecken. Pflegepersonal zu impfen führt u.U. dazu, dass die Geimpften wegen des für sie leichten Verlaufs nicht mehr merken, wenn sie erkranken, und dann ggfs. Bewohner*innen anstecken können. Ist das sinnvoll?
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Argumente gegen das Impfen?
Sehr geehrte Frau Schmidt,
die Einwände, die gegen das Impfen vorgetragen werden, sind alle gründlich diskutiert und widerlegt worden. Als Einstieg dazu:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html
Zu Ihrem PS: Wenn ein Arzt oder eine Krankenschwester geimpft, aber trotzdem infektiös ist, dann ist das ein weiterer guter Grund dafür, dass möglichst alle Heiminsassen, Patienten und Beschäftigte sich impfen lassen.
Friedrich Feger
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