Mitten im Ghetto, dem erbarmungswürdigsten und heruntergekommensten Armenviertel von Karatschi, entscheidet die katholische Nonne und Ärztin Ruth Pfau, dass sie bleiben wird. Erst kurz zuvor war sie in der pakistanischen Großstadt eingetroffen. Spontan begleitet sie eine Ordensschwester in den Slum der Leprakranken. Was sie dort sieht, erschüttert sie zutiefst: Die Menschen hausen in Bretterverschlägen und siechen dahin. Nachts fressen Ratten an ihren gefühllosen Händen und Füßen. Es gibt kein Wasser, keine Toiletten, keine Behandlung.
"Das war das Schrecklichste, was ich mir vorstellen konnte. Dort zählte die Würde des Menschen überhaupt nichts", erzählte Pfau Jahre später. Besonders ein Mann, der zur Medikamentenausgabe kriecht, während andere Kranke vor ihm zurückweichen, bewegt sie. "Diese Bereitschaft, sich mit unglaublicher Ungerechtigkeit einfach abzufinden. Das war es, was ich nicht hinnehmen konnte und wollte." Pfau hatte sich entschieden: "Ob es Sinn macht oder nicht, ob wir durchkommen oder nicht durchkommen, wir stellen jetzt was an!"
1996 war die Lepra in Pakistan unter Kontrolle
Dass Pfau so entschieden handelte, hat auch mit ihrer Kindheit und Jugend im Zweiten Weltkrieg zu tun. Geboren wurde sie 1929 in Leipzig. Als sie sich vor den Bomben im Keller verstecken musste, wuchs in ihr der Wunsch, eine bessere Welt aufzubauen. Kurz nach Kriegsende starb ihr jüngerer Bruder, weil der Vater die nötigen Medikamente nicht rechtzeitig auftreiben konnte. Sie beschloss, Medizin zu studieren, wurde katholisch und trat dem Orden Gesellschaft der Töchter vom Herzen Mariä bei. Ende der 1950er arbeitete sie in Köln und Bonn in Krankenhäusern.
Doch das Leben im Deutschland des Wirtschaftswunders war nicht ihres. Während die junge Ordensschwester überlegte, wie sie am besten helfen könnte, sprachen ihre Kollegen nur über die Farbe ihres nächsten VW Käfers. "Mir ging das wirklich auf die Nerven", sagte Ruth Pfau und bat ihren Orden, sie ins Ausland zu schicken. Das war 1960. Eigentlich wollte sie nach Indien. Aber sie erhielt kein Visum und wollte es von Pakistan aus versuchen. Nach den Erlebnissen im Slum verwarf sie ihre Pläne.
4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.
Die Krankheit
Lepra, früher Aussatz genannt, ist eine Krankheit, die oft erst nach Jahren ausbricht. Sie wird durch ein Bakterium verursacht, greift Schleimhäute an und lässt Nervenzellen absterben. Die Infizierten spüren es dann nicht mehr, wenn sie sich Verletzungen oder Entzündungen zuziehen, weshalb die betroffenenen Körperteile absterben und verfaulen. Heute ist Lepra, wird sie frühzeitig entdeckt, gut behandelbar.