Der Wirtschaftswissenschaftler Gianluca Grimalda hat sechs Monate auf der Insel Bougainville in Papua-Neuguinea erforscht, wie die Menschen dort unter den Folgen der Klimakrise leiden. Jetzt hat er seine Studien beendet. Aber er weigert sich, nach Hause zu fliegen. Er will stattdessen mit Schiffen, Bussen und Zügen zurück nach Deutschland reisen, wo er am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) arbeitet. Der "Guardian" hatte zuerst darüber berichtet; auf der Plattform "X", vormals Twitter, informiert Grimalda selbst über seine Beweggründe. Die Reise wird zwei Monate dauern, mit dem Flugzeug wären es keine zwei Tage. Offenbar droht ihm nun die Kündigung.
Es gibt viele Fragen, die man aus der Ferne kaum beantworten kann. Sie betreffen zum Beispiel das Arbeitsrecht. Darf Herr Grimalda diese Entscheidung treffen, einfach so? Das müssen andere beantworten. Das IfW teilt auf Anfrage von chrismon.de mit, man äußere sich prinzipiell nicht zu internen Personalangelegenheiten in der Öffentlichkeit. "Das dient dem Schutz unserer Beschäftigten", schreibt eine Sprecherin. Generell versuche das Institut, Dienstreisen klimafreundlich zu gestalten. Schon in der Vergangenheit habe man die "Slow Travel"-Aktivitäten von Gianluca Grimalda unterstützt, als Beleg verschickt die Sprecherin diesen Hinweis.
Nils Husmann
Ist das also eine Sache zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter? Nein, denn es gibt einen Aspekt an der Geschichte, der uns alle angeht. Gianluca Grimalda begründet seine Reisepläne ausdrücklich damit, weniger Kohlendioxid emittieren zu wollen. 3,6 Tonnen, um genau zu sein. Er wolle so seinen "carbon footprint" verringern, seinen CO2-Fußabdruck.
Die Frage ist: Nutzt Grimalda mit seinem Entschluss dem Klimaschutz? Leider nein, er bewirkt sogar eher das Gegenteil. Warum? Grimalda hat in Papua-Neuguinea daran gearbeitet, dass wir alle mehr über die Folgen des Klimanotfalls erfahren können. Er hat keine einfache Urlaubsreise angetreten, um den Planeten zu erkunden. Wir leben in einer vernetzten Welt voller Wechselwirkungen. Was wir im globalen Norden tun, hat Auswirkungen auf indigene Völker in Papua-Neuguinea. Kein Mensch allein kann diese Komplexität auflösen.
Zumal eine vernetzte Welt auch Chancen bietet, zum Beispiel, von anderen Kulturen zu lernen. Es ist ein Jammer, dass Fliegen so klimaschädlich ist. Junge und künftige Generationen können einem leidtun, haben wir Älteren ihr Flugbudget doch weitgehend aufgebraucht – jedenfalls, solange Flugzeuge mit Kerosin fliegen, einem fossilen Brennstoff.
Grimalda suggeriert, wir könnten zurück in eine Welt, in der Reisen ans andere Ende des Planeten zwei Monate dauern. Entschleunigung in allen Ehren, aber so wird es nie mehr sein. Auch wenn wir wegkommen müssen vom Wachstumsfetisch: Grimalda folgt einer reinen Verzichtslogik, die nicht mehrheitsfähig ist. Im schlimmsten Fall bringt er mit seinem öffentlich kommunizierten Entschluss Mehrheiten gegen den Klimaschutz auf. "Die wollen mir alles wegnehmen, die wollen mir alles verbieten!" – mit solchen schlichten Botschaften machen Rechte und Leugner des menschengemachten Klimawandels längst schon den Menschen guten Willens das Leben schwer, die wegwollen von einem fossilen System und stattdessen auf erneuerbare Energien setzen möchten.
Also fliegen wir alle einfach weiter? Nein! Die Krise ist längst in Europa angekommen. So fielen in Teilen Griechenlands im September mehr als 900 Liter Regen auf den Quadratmeter, es gab schwere Überschwemmungen. Global gesehen war noch nie ein September so warm wie der in diesem Jahr. Ohne menschengemachte Erderwärmung sind solche extremen Ereignisse nicht mehr zu erklären. Ich finde, es ist nicht mehr die Zeit für Urlaubs- und Geschäftsreisen mit dem Flugzeug, jedenfalls nicht innerhalb Europas. Besser wäre, das Fliegen den jungen Menschen zu gönnen, die die Welt noch nicht gesehen haben. Und Menschen aus Weltregionen, die diese Chance noch gar nicht hatten.
Ich bin sicher, Gianluca Grimalda meint es gut. Und ich bewundere seinen Mut, mögliche berufliche Konsequenzen zu tragen. Aber ich würde ihm raten, seine Kraft und seinen Einfluss für Lobbyarbeit einzusetzen, zum Beispiel dafür, dass fossile Flüge teurer werden. In der Europäischen Union wird Kerosin nicht besteuert, in Norwegen dagegen schon! Umweltfreundlichere Verkehrsmittel sind dadurch im Nachteil. Hoffnung macht der EU-Emissionshandel, der das Fliegen verteuern wird. Denn nur dann werden Wasserstoff und E-Fuels für Fluglinien eine ökonomisch attraktive Alternative, also Brennstoffe, die unter Einsatz erneuerbarer Energie "künstlich" erzeugt werden und bei ihrer Verbrennung klimaneutral sind. Batterien sind zu schwer, als dass wir mit ihnen über lange Strecken reisen können, sie sollten Autos vorbehalten sein, was auch der Bundesverkehrsminister langsam zu verstehen scheint.
Immerhin hat Grimalda eine interessante Debatte angestoßen, etwa zu Regelungen zu Dienstreisen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft. In diesen Regelungen sollten klimafreundliche Verkehrsmittel immer Vorrang genießen. Innerdeutsche Geschäftsflüge sind überflüssig. Würde Grimalda am Münchner Flughafen protestieren und auf einer ICE-Reise nach Kiel bestehen – ich würde ihn feiern!
Aber beruflich nach Papua-Neuguinea reisen – das muss man ja schließlich doch eher selten.
Sehr geehrter Herr Husmann,
Sehr geehrter Herr Husmann,
Herrn Grimaldas Entscheidung ist bewundernswert. Und es erscheint mir verfehlt, diese Entscheidung als "nicht gut gemacht" zu kritisieren.
Diese Kritik folgt nach meiner Beobachtung einem neuen Trend: Leute, die sich ehrlich den nötigen Anstrengungen stellen und sie selbst umsetzen, "schaden" jetzt dem Anliegen. Und wenn sie es nicht tun, sind sie Heuchler (Klimaforscher, die zu fernen Klimakonferenzen fliegen).
Das ist bequem. So oder so muss man sie nicht ernst nehmen und sich mit der unangenehmen Wahrheit nicht wirklich auseinandersetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Monika Büchler
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