chrismon: Wir sprechen an einem Tag, an dem es zuerst heiß wird, aber später noch von Süden her Gewitter und Regen übers Land ziehen sollen. Das könnte sich in den nächsten Tagen so oder ähnlich wiederholen. Ist dann alles wieder gut in puncto Trockenheit und Dürre?
Andreas Marx: Es kommt darauf an, wo man guckt. Wir hatten zum Beispiel am 20. Juni 2022 Regen in Brandenburg. Dort waren die Böden an der Oberfläche sehr trocken. Es gab Waldbrände. Einen Tag lang regnete es intensiv, etwa 30 Liter pro Quadratmeter. Das ist fast die Hälfte, die im Durchschnitt in einem Monat fällt. So ein intensiver Regen führt an der Oberfläche zu einer deutlichen Erholung. Wo solche Mengen fallen, durchnässen die ersten zehn Zentimeter in Sandböden ganz ordentlich. Das hilft den landwirtschaftlichen Kulturen und Gärten. Aber man überschätzt leider den Effekt, den das auf die Bodenfeuchte unterhalb von ein paar Zentimetern hat.
Andreas Marx
Nils Husmann
Warum?
Wenn wir Hitzetage mit einer Temperatur von mehr als 30 Grad haben, verdunsten täglich etwa fünf Liter Feuchtigkeit pro Quadratmeter. Hier bei uns in Leipzig sind schon wieder fünf Tage mit mehr als 30 Grad angesagt. Unser Problem ist auch nicht, dass es aktuell zu trocken ist - sondern dass sich die Trockenheit seit 2018 in vielen Regionen in Deutschland richtig ausgebildet hat. Dürre haben wir seit vier Jahren, besonders im Osten, aber auch in der Region Hannover oder in Teilen von Franken. Da hat sich das Wasserdefizit im Boden, in tieferen Schichten von etwa zwei Metern, verfestigt. Im Südwesten war es etwas anders.
Inwiefern?
Im Südwesten war es von 2018 bis 2020 zu trocken. Aber 2021 war es von Januar bis Juni nicht sehr warm, und es gab überdurchschnittlich viele Niederschläge. Aber der vergangene Winter 2021/22 war so trocken, dass sich die Dürre wieder neu ausgeprägt hat.
Ich schickte einem Freund einen Link zum Dürremonitor Deutschland. Viele Regionen in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg sind tiefrot eingefärbt, es ist dort zu trocken, besonders in tieferen Bodenschichten. Der Freund sagte mir: "Brandenburg müsste ja wie eine Steppe oder Wüste aussehen, wenn es so schlimm ist. Tut es aber nicht!" Der klang fast schon genervt.
Ich kann Ihren Freund verstehen. Wenn es mal regnet, sehen die Gräser und Sträucher relativ schnell wieder ganz gut aus. Bei den Bäumen ist es anders. Wir haben seit 2018 in Deutschland eine halbe Million Hektar Wald verloren, das ist zweimal die Fläche des Saarlandes. Im Harz sehen Sie riesige Kahlflächen. Auch in Städten stehen tote Bäume, bei Birken sieht man es an den weißen Stämmen. Aber weil Schäden beseitigt, tote Bäume gefällt werden, ist das Problem nicht mehr ganz so offensichtlich. Menschen neigen dazu, die Folgen extrem zu erwarten, und wenn sie hören, dass eine Dürre besteht, erwarten sie wüstenähnliche Landschaften. Von einem Steppenklima in Deutschland sind wir weit, weit entfernt. Trotzdem hat die Trockenheit in Deutschland weitreichende Folgen. 2018 hatten die Bauern in Deutschland Schwierigkeiten, 2019 besonders die in der Nordhälfte. Der Wald hat Probleme. Und in der Natur hängt vieles miteinander zusammen.
"In vielen Regionen sind die Grundwasserpegel gefallen"
Zum Beispiel?
Es regnet, und wenn es nicht zu heiß ist, versickert ein großer Teil des Wassers im Boden. Und ist die Erde ordentlich durchfeuchtet, läuft das Wasser bis unten ins Grundwasser durch. Das klappt bei trockenen Böden aber nicht mehr so gut oder gar nicht. Deshalb sind die Grundwasserpegel in vielen Regionen gefallen. In diesem Jahr war es im Norden von Sachsen-Anhalt, im Altmarkkreis/Salzwedel, schon Mitte Mai so weit, dass man private Wasserentnahmeverbote ausgesprochen hat.
Was heißt das konkret für die Menschen in dieser Gegend?
Zum Beispiel, dass manche ihre Gärten zwischen 12 und 20 Uhr nicht gießen dürfen. Im Hochtaunuskreis in Hessen oder Teilen Thüringens gibt es ähnliche Bestimmungen, weil die Grundwasserpegel gesunken sind. Die Pegel der Gewässer der Mecklenburger Seenplatte fallen seit 2018, weil sie mit dem Grundwasser zusammenhängen.
Woher kommt die Dürre?
Kollegen von mir haben sich angesehen, wie das Klima von 1766 an ausgesehen hat. Sie sind zu der einfachen Aussage gekommen: Mit großer Wahrscheinlichkeit hat es ein ähnliches Dürreereignis wie das seit 2018 in Mitteleuropa im letzten Vierteljahrtausend nicht gegeben.
Gibt es einen Zusammenhang mit dem Klimawandel?
2018 und 2019 gab es zwei Hitzejahre in Folge. Hier in Leipzig hatten wir 36 heiße Tage mit mehr als 30 Grad. 2019 waren es 30. Statistisch erwartbar - wenn man die Jahre 1961 bis 1990 betrachtet - wären sieben bis acht Tage. Das waren also viermal so viele Hitzetage, als zu erwarten waren. Die Hitze führt dazu, dass viel Wasser verdunstet. Es ist nicht nur der wenige Regen, sondern die Kombination: wenig Niederschlag bei zu heißen Temperaturen. Durch den Klimawandel müssen wir mehr Sommertage mit mehr als 25 Grad und mehr Hitzetage mit mehr als 30 Grad befürchten.
"Die Situation in Deutschland wird kein neuer Normalzustand"
Aber es gibt ja nicht nur die Sommer, wir hatten es auch in diesem Winter und Frühjahr sehr trocken. Nehmen anhaltende, trockene Wetterlagen insgesamt zu?
Es gibt Gegenden auf der Welt, in denen das so sein wird. Aber wir hier in Deutschland befinden uns seit vier Jahren in einer unglaublich extremen Situation, die kein neuer Normalzustand werden wird. Diese Dürre bei uns wird vorbeigehen, und nichts deutet darauf hin, dass es in Zukunft immer so sein wird wie jetzt. Für Deutschland besagen die Klimamodelle insgesamt: Mit steigenden Temperaturen wird auch der Jahresniederschlag steigen. Wir werden das Wasser brauchen. Mit mehr Hitzetagen im Sommer steigt der Bedarf. Wir müssen besser darin werden, das Wasser, das wir im Winter zu viel haben werden, im Sommer klug zu nutzen. Mit dem Mittelmeerraum möchte ich nicht tauschen. Dort verbraucht man heute schon Wasserbestände, die sich nicht mehr erneuern. Und dort wird es noch heißer werden - mit geringeren Niederschlägen. Wir können es hier noch managen.
Klimaexperten prognostizieren, dass mit der Erwärmung auch Starkregenfälle zunehmen werden, wie voriges Jahr in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz. Dann fällt viel Regen auf einmal. Kann der Boden damit überhaupt etwas anfangen?
Es stimmt, eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Physikalisch ist sehr lange bekannt: Steigt die Temperatur von 15 auf 16 Grad, passen sieben Prozent mehr Wasser in die Luft. Das ist eine ganze Menge. Dazu muss man aber wissen, dass sich die Atmosphäre nicht überall gleich stark erwärmt. Die Pole erwärmen sich stärker als der Äquator, mit weitreichenden Folgen.
Warum ist das ein Problem?
Die Druckunterschiede zwischen den Polen und dem Äquator sind wie eine Wettermaschine, weil diese Unterschiede immer danach streben, sich auszugleichen. Das ist die Grundlage für unsere Luftströmungen. Und wenn die Unterschiede abnehmen, zieht das Wetter langsamer über uns hinweg. So war das bei der Flutkatastrophe im vorigen Jahr: Das Regengebiet blieb über längere Zeit an Ort und Stelle stehen. Auch das ist neu. Klimaforscher haben immer damit gerechnet, dass wir mehr und längere Trockenperioden sehen. Und auch mehr Starkregen. Aber dass wir so früh - Anfang der 2020er-Jahre - Dürren und Hochwasser in dieser Dimension erleben, hätte ich im März 2018 nicht geglaubt.
Wie kommen Sie an die Daten für den Dürremonitor? Sie können ja nicht landauf, landab mit dem Handspaten herumlaufen und messen, wie viel Wasser im Boden steckt.
Stimmt, auch wenn ich oft einen Spaten oder eine Schaufel dabeihabe. Dann gucke ich unterwegs, wie es aussieht, wenn es gewittert hat. In lehmigen Böden sind oft leider nur drei, vier Zentimeter nass, darunter kommt das Wasser nicht an. Für den Dürremonitor messen wir an 40 Stellen in Deutschland die Bodenfeuchte. Das ist die Basis für unsere Simulationen. Wir haben ein Modell, in dem Deutschland nachgebaut ist - mit Städten, Wäldern, Äckern, Bergen. Das Modell weiß auch, wie die Böden beschaffen sind. Dieses Modell füttern wir mit Wetterdaten, die wir jeden Tag vom Deutschen Wetterdienst bekommen. Für jeden Tag bis zurück 1951 können wir die Bodenfeuchtigkeit berechnen. Mit den 40 Messstellen überprüfen wir das Ganze.
"Das ganze Jahr über Wasser zu sparen, ist in Deutschland nicht sinnvoll"
Wenn es trocken ist: Müssen wir Verbraucherinnen und Verbraucher Wasser sparen?
Das ganze Jahr über Wasser zu sparen, ist in Deutschland nicht sinnvoll. Und im Winterhalbjahr besteht eher das Problem, dass zu wenig Wasser in den Leitungen ist. Dann müssen die Wasserwerke alles durchspülen und Wasser ungenutzt durch die Leitungen jagen. Wenn Sie aber irgendwo leben, wo der Wasserverbrauch schon eingeschränkt und Ihre Region von sinkenden Wasserständen betroffen ist, ist es auf jeden Fall sinnvoll, Wasser zu sparen.
Und die Gartenpools?
Die sind für die Versorger ein Thema, besonders im späten Frühjahr und frühen Sommer. Dann kommt vieles zusammen: Die Freibäder werden gefüllt, viele Großbaustellen werden neu eingerichtet, dort wird auch Wasser verbraucht. Und die Pools in den Gärten werden gefüllt. Dann steigt der Tagesbedarf stark an. Die Versorger treibt um, wie sich das entwickelt, ob es in Zukunft Tage gibt, an denen die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das ist eine Managementaufgabe. Ich persönlich muss keinen Pool haben. Wir merken auch, dass mehr Menschen bewusst wird, dass wir regional unter einer Dürre leiden.
Woran denn?
Bei uns beschweren sich Leute, dass Wetterberichte zu positiv seien. Man solle doch bitte nicht kommunizieren, es sei schönes Wetter, wenn es trocken ist und die Sonne scheint. In Wahrheit sei das schöne Wetter doch der Regen.
Der Dürremonitor Deutschland
Der Dürremonitor liefert im Internet täglich flächendeckende Informationen darüber, wie feucht die Böden in Deutschland sind.
Auf den Karten ist der tagesaktuelle Dürrezustand des Gesamtbodens und des Oberbodens, der schneller auf kurzfristige Niederschlagsereignisse reagiert, sowie das pflanzenverfügbare Wasser im Boden zu sehen.