Jetzt wurde in der Türkei die zweite Kirche in eine Moschee verwandelt. Vor einigen Wochen hatte dieses Schicksal die Hagia Sophia ereilt. Das hatte zu weltweiten Protesten von Politikern, Intellektuellen und kirchlichen Repräsentanten, aber auch deutschen Muslimen geführt. Den türkischen Präsidenten Erdogan hat dies offenkundig nicht zur Einsicht gebracht, sondern angestachelt, dieses unheilige Theaterstück gleich noch einmal aufzuführen. Die berühmte Chora-Erlöserkirche in Istanbul, seit 1945 ein Museum und somit für alle Menschen frei zugänglich, wurde in eine Moschee umfunktioniert.
Johann Hinrich Claussen
So will Erdogan die Geschichte zurückdrehen: Zwei bedeutende Kirchen, die nach der osmanischen Eroberung im 15. Jahrhundert zu Moscheen und im Zuge der kemalistischen Modernisierung im 20. Jahrhundert zu Museen wurden, sollen wieder allein als Besitz eines türkischen National-Islam gelten. Ihre einzigartigen Bildwerke werden verhüllt, Frauen dürfen nur mit Kopfbedeckung hinein: So gehen Frauen- und Bilderfeindlichkeit Hand in Hand.
Es handelt sich um mehr als isolierte, eitel-aggressive Symbolpolitik. Erdogans Pseudo-Osmanismus steht für ein grundsätzliches Problem der Türkei. Kirchen und andere religiöse Minderheiten werden systematisch in Unsicherheit gehalten. Nie können sie sich ihrer Rechte wirklich sicher sein. Das heißt nicht, dass sie beständig bedrängt oder gar verfolgt würden, aber sie müssen stets damit rechnen, dass die Obrigkeit ihnen von heute auf morgen etwas Kostbares raubt oder Wesentliches verwehrt.
Das geht uns alle an
Vor diesem Hintergrund sendet die Reislamisierung der beiden Kirchen ein bedrohliches Signal an Christen, andere religiöse Minderheiten und alle, die aus politischen, ethnischen oder anderen Gründen nicht dazugehören sollen. Deshalb lässt sie sofort an die unberechtigte Inhaftierung christlicher Menschenrechtsaktivisten wie Peter Steudtner oder kritischer Journalisten wie Deniz Yücel und vieler mehr denken.
Deutsche – gleichgültig, ob ihnen Sakralbauten oder das Christentum am Herzen liegen oder nicht – sollten sich überlegen, ob die Türkei ein gutes Reiseland ist. Und die türkische Regierung sollte einsehen, dass sie nicht beides haben kann: entspannte Feriengäste aus dem Ausland und beglückte Fanatiker unter den eigenen Anhängern.