Am 1. November 2015 ist die „alte“ türkische Republik im Alter von 92 Jahren zu Grabe getragen worden. Sie war nicht perfekt, aber laizistisch. Sie bot mehr Chancen für Frauen als die meisten muslimischen Länder. Das ist vorbei. Ausgestattet mit der absoluten Mehrheit sagte Ministerpräsident Davutoglu sinngemäß: „Nicht wir haben gewonnen, sondern Gott!“
Die AKP ist seit 2002 an der Macht, in ihren ersten Jahren machte sie – auch mit Hilfe der EU – Reformschritte in Richtung institutioneller Stabilität, demokratischer und rechtsstaatlicher Ordnung oder des Minderheitenschutzes. Doch bereits 2008 zeigte sich: Die Partei und ihr Anführer Tayyip Erdogan hatten ihre Absicht, den Staat nach den Regeln des orthodox-sunnitischen Islam umzubauen, nie aufgegeben. Spätestens 2011, nach dem dritten Wahlsieg, war klar, dass für die AKP das Osmanische Reich das Vorbild sein würde, angeführt von einem Oberhaupt, das zugleich politischer und religiöser Führer ist. Bereits jetzt wird die Türkei mehr vom Staatspräsidenten Erdogan gelenkt als durch Parlament und Regierung.
Brot und Sicherheitsgefühl gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
Die AKP wird wie eine Dampfwalze über Andersdenkende hinweggehen. Die liberale Gezi-Bewegung ist Geschichte. 244 Aktivisten wurden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Ärzte, die Verletzte in einer Moschee behandelt hatten – mit der Begründung, sie hätten „die Moschee beschmutzt“.
###autor###Noch ist offen, wann Erdogan auch formal als neuer Kalif eingesetzt werden kann. Mit der nationalistischen MHP dürfte es nicht allzu schwer sein, die fehlenden 13 Stimmen für die Verfassungsänderung im Parlament zu organisieren. Bereits am Tag nach der Wahl hat die AKP ein 100-Tage-Programm präsentiert, das die Strategie offenbart. Sie will Geld in die Hand nehmen: Segnungen für das Volk. Und sie will ihren harten Kurs gegen die PKK weiterführen. Die Botschaft: „Wir sorgen für euch, solange ihr euch unterordnet.“ Brot und Sicherheitsgefühl gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Der Weg der Türkei in eine islamische Autokratie ist seit dem 1. November vorgezeichnet. Und der Aktionsplan, den die EU (in Augen der AKP „ein Christenklub“) mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ausarbeiten will, wird das Papier nicht wert sein, auf dem es geschrieben ist.