chrismon: Kürzlich wurde vermeldet, in der Türkei sei erstmals seit 1923 ein Kirchneubau genehmigt worden. Stimmt's?
Gerhard Duncker: Nicht ganz. Die Behörden haben den syrisch-orthodoxen Kirchbau schon vor drei Jahren genehmigt. Neulich fragte ich nach, was da los ist. Die Syrer sagten, sie kämen mit dem Bau nicht voran. Die Behörden erheben ständig Einsprüche.
Warum?
Mal soll der Grundriss verkleinert werden, mal hat die Naturschutzbehörde Bedenken wegen einiger Bäume, mal ist es die Nähe zum Meer. Seit 2003 dürfen Christen in der Türkei Kirchen bauen. Keine einzige wurde bislang gebaut.
Politik oder Schlendrian?
Eher eine generelle Rechtsunsicherheit. Als Türke gilt nach gängiger Auffassung, wer muslimischen Glaubens ist. Christen und Juden gelten als unsichere Kantonisten. Offiziell gewährt die Türkei Religionsfreiheit. Faktisch dürfen die Minderheiten nichts Neues machen, nur Dinge aufgeben. Die griechisch-orthodoxe Kirche schrumpft. Sie erhält ihre Gottesdienste in fast leeren Kirchen aufrecht, damit sie die Gebäude nicht an den Staat verliert. Die syrisch-orthodoxe Kirche in Istanbul wächst durch Zuzug aus der Osttürkei, kann aber faktisch keine Gotteshäuser bauen und darf auch nicht von den Griechisch-Orthodoxen andere übernehmen.
Die Türkei ist offener geworden
Und die Muslime?
Da herrscht Rechtsungleichheit. Für Moscheebau und Imamausbildung zahlt das Religionsministerium. Imame sind Staatsangestellte – und das in einem Land, das sich laizistisch nennt.
Können die Kirchen ihre Rechte einklagen?
Sie klagen ja schon vor dem Europäischen Gerichtshof. So bekam die griechisch-orthodoxe Kirche enteignete Grundstücke und Gebäude zurück. Sie kann sie aber kaum nutzen und verwalten. 1971 wurde die Priesterausbildung in der Türkei verboten. Erst seit kurzem dürfen Priester aus Griechenland ins Land.
2015 jährt sich der Genozid an den Armeniern zum 100. Mal. Tut sich was für diese Christen?
Die Gesellschaft ist unter der Erdogan-Regierung offener geworden. Die alten Leute erzählen ihre Geschichten. Ausstellungen zeigen die Vertreibung der Griechen. Erdogan sprach das Los der Armenier an, man liest viel darüber. Die Leute lassen sich nicht mehr alles gefallen. Aber die Zeit arbeitet gegen die Kirchen. Orthodoxe Christen finden oft keine christlichen Ehepartner. Und für die Besetzung kirchlicher Stiftungen fehlen die Leute.
Kirchenbau in der Tükei
Und dann will die Türkei auf Biegen und Brechen in die EU - SO NICHT!!
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Religionsfreiheit?
Solange es in der Türkei keine Religionsfreiheit gibt, kann das Land eine Mitgliedschaft in der EU vergessen. Die Verhandlungen sollten abgebrochen werden!
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