Eine religiöse Generation
Konservative Muslime und Nationalisten spalten die Türken
Privat
01.09.2017

Das Interesse der europäischen Medien an der Türkei war immer groß. Seit dem gescheiterten Militärputsch am 15. Juli 2016 ist es sogar noch gewachsen. Das ist gut, denn die Verhaftungen Zehntausender, der Druck auf politisch Andersdenkende und die Menschenrechtsverletzungen müssen öffentlich gemacht werden. Was dabei leider aus dem Blick gerät, ist der Totalschaden, den wir mit dem anwachsenden Nationalismus und Islamismus erleiden. 

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Bülent Mumay

Bülent Mumay leitete die Online-Redaktion der "Hürriyet", bis er auf Druck der AKP-Regierung entlassen wurde.

Diese Strömungen wurden nicht zufällig stark, ­dahinter steht eine politische Absicht. Recep Tayyip Erdoğan hatte bereits 2012 erklärt: "Wir ziehen eine religiöse Generation heran." Seine Wohlfahrtspartei (AKP), die in der religiös-islamischen Nationalen Heils­partei wurzelt, begann, die Gesellschaft umzugestalten. Sie gründete mehr und mehr religiöse Schulen und lud den Lehrplan religiös auf. Selbst Kindergartenkinder durften plötzlich Kopftücher tragen. Neulich erst wurde die Evolutionslehre aus den Lehrplänen getilgt. Stattdessen erhält jedes Kind ab elf Jahren in staatlichen Schulen künftig Dschihad-Unterricht. 

Erdoğan nimmt zunehmend Einfluss auf den Alltag: Der westliche liberale Lebensstil gilt als böse. Nun will er sogar die Geschlechter in staatlichen Studentenwohnheimen räumlich trennen. Unverheiratete sollen in der Öffentlichkeit nicht Händchen halten dürfen. Erdoğan kritisierte zwei junge Leute, die er von seinem Palast in Istanbul aus sah, wie sie auf einem Schiff Hand in Hand saßen. Sogar hinter so etwas vermuten Erdoğan und seine Anhänger den "Fingerabdruck des Fremden". Und weil er gleichzeitig an nationalistische Gefühle appelliert, hat er den Hass auf alles Fremde dramatisch angefacht. 

All dies hat die Bevölkerung polarisiert und vor allem Erdoğans Generation gegen die ältere, säkulare Generation in Stellung gebracht. Das wurde beim Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems im vergangenen April deutlich. Ja und Nein waren fast gleichauf. Nun haben wir die Mauer in unseren Köpfen. 

Spaltung war für die türkische Gesellschaft stets ein Alptraum, wenn die Kurden Autonomierechte ein­forderten. Aber Erdoğans Politik führt zu einem noch tieferen Riss. Nun sind die beiden Hälften der Gesellschaft wie Geschwister, die einander hassen.

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