Interview Scheidungskinder
Interview Scheidungskinder
Sofya / photocase
Totales Gefühlschaos
Wie ein Scheidungskind den Streit der Eltern erlebt. Und was getrennten Paaren im Konflikt hilft. Antworten einer Psychologin .
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
27.05.2020

chrismon: Wie sieht Streit um Sorgerecht und Unterhaltsleistungen in der Corona-Krise aus?

Katharina Grünewald: Durch ­Corona spitzt sich oft die Lage weiter zu. Absprachen unter den Ex-Partnern ­bleiben schwierig, und schnell wird das Fa­milien­gericht oder das Jugendamt ­eingeschaltet.

Was geht in einem Kind vor, das sich zwischen Vater und Mutter ent­scheiden soll?

Das Kind befindet sich in einem Gefühls­chaos. Es ist traurig, wütend und hat Angst. Oftmals ist es die erste schlimme Krise für die Kinder. Sie sehnen sich nach der Liebe und Geborgenheit beider Eltern. Denn sie sind angewiesen auf die Hilfe von Vater und Mutter, sie brauchen Eltern, die darauf achten, dass das Kind Raum für seine eigene Gefühlssituation erhält.

Katharina GrünewaldJurga Graf

Katharina Grünewald

Katharina ­Grüne­wald, 50,  Dipl.-Psychologin, berät und forscht zu Patchwork­familien, Trennung, Scheidung und ­anderen Familien­themen. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei gemeinsamen Kindern und seinen zwei Kindern aus ers­ter Ehe in Köln.

Doch die Eltern streiten sich.

Ja, und wenn das Kind seinen Namen im Streit hört, denkt es oft: Ich bin schuld. Und es überlegt: Wie kann ich das wiedergutmachen? Es entwickelt hochsen­sible Antennen für Mama und Papa und stellt seine eigenen Bedürfnisse zurück. Die Gefahr ist, dass es dadurch den Zugang zu seinem eigenen Bauchgefühl verliert. Wenn Sie dieses Kind fragen: Was brauchst du?, dann steht das Wohlergehen der Eltern im Vordergrund: Was braucht Mama, was Papa? Es kooperiert meist mit dem schwächeren Elternteil.

Welche Reaktion irritiert Sie bei ­Kindern besonders?

Die Überangepasstheit eines Kindes. Diese pflegeleichten Kinder achten besonders darauf, dass sie es anderen recht machen und nicht anecken. Sie sagen nicht, was sie wirklich brauchen, sondern was die anderen gerne hätten. Wütende und auffällige Kinder dagegen machen auf ihr Leid, auf ihre schwierige Lage aufmerksam. Bei ihnen werden Lehrer und Therapeuten eingeschaltet.

"Das Kind sorgt für die Mutter und stellt seine eigenen Wünsche hintan"

Ein Beispiel aus Ihrer Praxis?

Oft ist die Urlaubs- und Weihnachtszeit schwierig, wenn das Kind, obwohl es ­gerne Ski fährt, nicht mit in den Ski­urlaub will. Dahinter steckt vielleicht die Angst der Mutter, allein zu bleiben. Das Kind sorgt somit für die Mutter und stellt seine eigenen Wünsche hintan oder verzichtet sogar ganz darauf.

Was raten Sie?

Ich versuche, einen Raum zu schaffen für die Bedürfnisse der Eltern, die Angst der Mutter einerseits und den Wunsch des Vaters nach Urlaub mit dem Kind ­andererseits. Beide Perspektiven sind berechtigt, man muss sie beachten, wenn für die Erwachsenen eine Lösung ge­funden werden soll.

Und das Kind?

In diesem Fall muss es aus der Verantwortung entlassen werden, aus der Fürsorge für die Mutter. Vielleicht kann die Mutter eine Freundin einladen, oder der Vater fährt zu einem anderen Zeitpunkt. Aber solange die Eltern mit ihrem Schlag­abtausch beschäftigt sind, können sie das nicht konfliktfrei aus­handeln. Deshalb sind so viele Menschen im Gericht und beim Jugendamt mit der Frage beschäftigt: Was ist das Beste fürs Kindes­wohl?

"Der kleine Junge wird zum 'Mann im Haus'"

Dafür sind Verfahrensbeistände da.

Ja, genau. Um jedoch die komplette ­Familiensituation zu erfassen und die Vielschichtigkeit zu verstehen, bedarf es richtiger Detektivarbeit. Doch dafür reicht die Zeit oft nicht, die den Bei­ständen bei den geringen Honorarsätzen zur Verfügung steht.

In welchem Alter ist es besonders schlimm, wenn Eltern sich trennen?

Ich erlebe häufig Kinder zwischen sechs und zehn Jahren. Sie schwanken ­zwischen kindlichen Allmachtsfantasien und erwachsenem Verantwortungsgefühl. Wenn der Vater weg ist, glauben sie, sie könnten das mit ­Mama selber regeln und der kleine Junge wird zum "Mann im Haus". Sie be­kommen Verantwortung, die zu groß für sie ist.

Was nehmen Sie aus Ihrer Arbeit für die eigene Patchworkfamilie mit?

Manchmal hilft das Wissen, um aus einem Schlagabtausch herauszukommen. Aber es schützt nicht davor, dass man ­hineintappt.

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