Franziska Pfütze (75), Cottbus
Es war für mich eine unheimlich schnelle Zeit. Alles ging drunter und drüber. Ich habe in der Buchhaltung beziehungsweise in der innerbetrieblichen Kontrolle gearbeitet. Wir haben immer geprüft, dass keine Fehler passieren, dass die Betriebe des Kombinats sich an die Gesetze halten. Und dann war alles neu, es gab neue Steuergesetze, neue Begriffe, es gab neue Bankbeziehungen. Da hatte man keine Zeit, noch irgendwas zu reflektieren. So habe ich die Zeit erlebt, positiv.
Die Kinder waren erwachsen, ich war knapp 50, als so noch mal ein ganz neuer Schwung ins Leben kam. Aber viele haben es nicht so empfunden wie ich, viele hatten Angst.
"Wenn ich irgendwo hinfahre und weiß, ich werde dort in der Küche helfen, dann nehme ich das Messer mit"
Mein Mann hatte dafür keinen Grund, er war bei der Wasserversorgung tätig, für ihn hatte sich nicht so viel verändert, die Menschen brauchen immer Wasser. Mir hat das wiederum Freiheit gegeben, weil ja einer in der Familie ein sicheres Einkommen hatte. Ich habe manches ausprobiert, eine Weile bei der Stadtverwaltung gearbeitet, eine Weile in einem Projektierungsbüro und bin nachher Hauptbuchhalterin beim Bauwesen geworden. Das war sehr anspruchsvolle Arbeit! Ich habe manch schlaflose Nacht gehabt, aber es hat Spaß gemacht. Dann ist die Firma pleitegegangen, und ich war arbeitslos. Ich habe mich mit einer Ich-AG über Wasser gehalten, Schwangerschaftsvertretung in der Buchhaltung gemacht und sowas. Damit habe ich die zwei Jahre bis zur Rente überbrücken können.
Das Messer kostete 52 DM, das war wahnsinnig viel Geld. Ich benutze es täglich. Und wenn ich irgendwo hinfahre und weiß, ich werde dort in der Küche helfen, dann nehme ich das Messer mit. "Komm, mein Messer", sag’ ich immer. In der DDR haben nur die Fleischer solche Messer bekommen, über die Berufsgenossenschaften. Immer wenn ich das Messer in die Hand nehme, denke ich daran, wie wir damals in Berlin gewesen sind.
Sophie Kirchner
Es gab es ja nicht bloß dieses eine Messer. Es gab viele verschiedene. Wir waren in der DDR daran gewöhnt, nur zu wählen zwischen: "Das oder nichts!" Zum Glück war meine Tochter dabei, die mich daran erinnerte, dass ich mir schon immer ein gutes Küchenmesser zum Kartoffeln schälen, Gemüse putzen und Zwiebeln schneiden gewünscht habe. Sie sagte: "100 DM sind ein Geschenk!" Also habe ich mich für ein Gemüsemesser entschieden.
Es ist schon sehr angenehm, dass man jetzt auswählen kann, was man wirklich möchte. Ich finde es gut, dass alles da ist. Was mich stört ist, dass es übertrieben wird, zum Beispiel beim Bäcker. Da wird so viel weggeschmissen.
Früher wurden die Gegenstände hergestellt, um lange zu halten. Auch im Westen. Ich möchte sagen, ich würde so ein Messer, mit solch einer Qualität heute gar nicht mehr bekommen. Noch mehr fällt mir das auf bei Kleidung, die überhaupt nicht mehr die Qualität hat wie früher. Meine Enkeltochter ist 20, sie hat gar nicht mehr erlebt, dass etwas lange hält.
Was würden Sie sich heute kaufen, wenn Ihnen der Staat 100 Euro schenken würde?
Ein paar Schuhe, obwohl ich schon genügend habe.
Sehr geehrte Damen und Herren
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zu Ihren Berichten über die „Friedliche Revolution“ vor 30 Jahren: Sie hätten auch Walter Kempowski die Ehre geben können, dessen Witwe vor kurzem in Nartum das Zeitliche gesegnet hat. Am 10. November 1989, dem Tag nach dem Mauerfall, notierte Walter Kempowski in sein Tagebuch: "Wieso hat niemand den Choral ,Nun danket alle Gott!' angestimmt? - Weil niemand mehr den Text kennt. - Aber woher kennen sie den Schlager ,So ein Tag, so wunderschön wie heute'?" Stefan Zweig notierte 1927 in seinem Sammelband von Miniaturen „Sternstunden der Menschheit“ in seinem Vorwort: „Solche dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Laufe der Geschichte. […] Ich habe sie so genannt, weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen.“ Die Friedliche Revolution, die zur Deutschen Einheit führte und die alle Grenzopfer und Mauertoten gern erlebt hätten, ist eine „Sternstunde der Menschheit“ und ein „Wunder Gottes“.
Mit freundlichen Grüßen
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