Das falsche Signal
Warum es ungerecht und falsch ist, wenn Eltern nichts für die Kita-Betreuung ihrer Kinder zahlen müssen
Tim Wegner
14.08.2018

Ich werde mich freuen, wenn ich den Kontostand prüfe: Das Bundesland Hessen, in dem ich mit meiner Familie lebe, hat die Elterngebühren für Kindergärten abgeschafft. Der Jüngste wird bald drei Jahre alt, für ihn werden wir also – anders als für seine Geschwister – viel weniger Kindergartengeld zahlen. Knapp 90 Euro im Monat werden wir sparen.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.
Hessen gehört damit zu den Bundesländern, in denen Eltern seit August weniger für die Betreuung ihrer Kinder berappen müssen. In Berlin sind gar alle Gebühren weggefallen, auch die Krippe für unter Einjährige ist in der Hauptstadt kostenfrei. Und im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht, dass die gebührenfreie Kita deutschlandweit hersoll.

Das ist ein falsches Signal. Zur Erinnerung: Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Jedes sechste Kind unter drei Jahren lebt in einer Familie, die Leistungen aus der Grundsicherung, kurz "Hartz IV", bezieht. Zugleich steigt die Zahl der Einkommens- und Vermögensmillionäre. Wenn nun gut verdienende Menschen ebenfalls von der Gebührenfreiheit profitieren, verstärkt das diese Entwicklung noch. Das ist ungerecht. Es wäre deutlich fairer, wenn die Gebührenhöhe vom Einkommen der Eltern abhängt, wie es etwa in Baden-Württemberg noch der Fall ist.

Und: Kitas suchen händeringend nach qualifiziertem Personal, damit die Kinder auch in guten Händen sind. Erzieherinnen und Erzieher üben einen enorm verantwortungsvollen Beruf aus. Sie müssen endlich besser bezahlt werden, damit sich mehr Menschen für diese Zukunftsaufgabe interessieren. Für zufriedenes Personal und Qualität würde ich gern Gebühren zahlen – auch weiterhin.

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Guten Tag Herr Husmann,
Sie vertreten die Meinung, dass es ungerecht ist, wenn Eltern nichts für die Kita zahlen.
Das sehe ich ganz anders.

In den letzten 40 Jahren ist es den Bildungspolitikern und der Mittelschicht in Deutschland erfolgreich gelungen, Integration zu verhindern. Die Einbindung von leistungsschwächeren Schülern, von Kindern aus weniger privilegierten Schichten, von Schülern mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Familien wurde wie in keinem europäischen Land gezielter verhindert als bei uns. Dabei werden die armen Bevölkerungsschichten mal als sozial schwach bezeichnet und als mal als Kunden – beides ist entwürdigend.
Wenn diese Misere beendet werden soll, muss es erstklassige sozialpädagogische Bildungseinrichtungen geben, damit Bildung früh beginnen kann. Dabei sind alle mitzunehmen, wobei verantwortlich geklärt werden muss, aber welchem Lebensalter institutionelle Erziehung für Kinder und Kleinkinder sinnvoll und entwicklungsfördern ist.

Wir benötigen deswegen Kitas. Kitas nicht als Kinderaufbewahrungsorte sondern als frühkindliche Bildungseinrichtungen: Wohnortnah, gut ausgestattet und personell verlässlich besetzt – von Fachkräften, die qualifiziert ausgebildet sind und ein Gehalt bekommen, das dem des Grundschullehrers nicht nachsteht. Und weil Kitas Bildungseinrichtungen sind, die für unsere Gesellschaft einen hohen Wert haben, sind die Kosten nicht durch einkommensabhängige Gebühren von Eltern zu decken, sondern müssen vom Staat übernommen werden.
Sie bezahlen ja schließlich für den Grundschulbesuch Ihrer Kindern auch nicht.

Mit freundlichem Gruß

Kai Hölcke

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Der Autor bezeichnet die von einigen Ländern beschlossene Gebührenfreiheit für die Kita als ungerecht, weil nun gut verdienende Menschen ebenfalls davon profitieren. Gerecht oder fair wäre seiner Meinung nach, die Gebührenhöhe vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen. Danach wäre es wohl auch gerecht oder fair, wenn Familien mit geringem Einkommen ihre Bedürftigkeit nachweisen müssen. Das in chrismon zu lesen irritiert, denn diese konservative oder neoliberale Haltung macht Armut zum Makel, für das sich der Betroffene auch noch beschämen lassen muss. Ihren Grund hat diese Ansicht wohl darin, dass es immer noch "fairer" und "gerechter" zu sein scheint, Arme zu unterstützen als Reiche zu besteuern. Das ist weit entfernt von der Forderung des Paulus "einer trage des anderen Last".

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Nils Husmann spricht in seinem Artikel wie selbstverständlich von einer Betreuung der Kinder in Kindergärten und KITAs. Meiner Ansicht nach muss bedacht werden, dass es sich in diesem Bereich nicht nur um Betreuung, sondern auch um Bildung handelt. Es geht darum, dass Kinder eine ihrem Alter entsprechende Bildung erhalten können, die dann auch kostenfrei für alle Eltern sein muss, wie jede andere Bildung im Primar- und Sekundarschulbereich auch. Die Ungerechtigkeiten innerhalb der Gesellschaft sind dann nicht über Gebühren für diesen Zugang zur Bildung der Kinder zu regeln, sondern über Steuern, wie dies bei anderen Bildungsbereichen auch gechieht. (Dass KITAs vielfach kommunal verwaltet sind und nicht landesweit wie die Schulen erscheint mir hier als ein
Problem.) Dann ist auch offensichtlich, dass das Personal in KITAs und Kindergärten höher bezahlt werden muss, da es sich um eine Bildungsaufgabe und nicht um eine reine Betreuungsaufgabe handelt. Von daher denke ich, ist der Schritt des Landes Hessens ein Schritt in die richtige Richtung. Es bedarf jedoch weiterer Schritte diesen wichtigen Bereich primärer Bildung angemessen zu würdigen, was mit dem Stichwort Betreung nicht geschieht.