Jobcenter in Düsseldorf
A general view of the inside of a Jobcenter in Duesseldorf-Mitte, western Germany, on August 25, 2017. The number of people out of work has halved in Germany since 2005, but a core of around 900,000 who have been looking for a job for more than a year have proved difficult to place. / AFP PHOTO / PATRIK STOLLARZ / TO GO WITH AFP STORY by Jean-Philippe LACOUR (Photo credit should read PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images)
Patrik Stollarz/AFP/Getty Images
Hartz IV - menschenverachtend oder Auslöser fürs Jobwunder?
Die Hartz-IV-Reform war hoch umstritten, die SPD leidet bis heute unter den Auswirkungen. Wir haben einen Wissenschaftler gefragt: Was klappt gut? Und welche Kritik ist berechtigt?
Tim Wegner
23.02.2018

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, kurz IAB, ist – so steht es auf der IAB-Homepage – eine „besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit“. Was entgegnen Sie Leuten, die denken: „Der Herr Kupka muss Hartz IV ja gut finden, er forscht ja an einem Institut, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört!"?

Peter Kupka: Das IAB bekommt Gelder aus der Arbeitslosenversicherung und aus Steuermitteln, nämlich vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Wir haben aber eine schriftlich garantierte Forschungs- und Veröffentlichungsfreiheit. Und wir publizieren immer wieder Studien, die in der Bundesagentur für Stirnrunzeln sorgen.

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Dr. Peter Kupka

Peter Kupka studierte Psychologie an der Universität Bremen. Von 1988 bis 1995 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen und promovierte 1993 zum Dr.phil. 1995 bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen. Seit 2002 ist Peter Kupka im IAB und dort Mitarbeiter in der der Stabsstelle Forschungskoordination, die Mitte 2005 gegründet wurde. Die Stabsstelle bündelt Forschungen und ihre Ergebnisse, die arbeitsmarktpolitische Maßnahmen evaluieren sollen, macht sie transparent, identifiziert Forschungslücken und setzt Impulse für neue Forschungsprojekte.

2005 wurde mit dem Sozialgesetzbuch II das Arbeitslosengeld II eingeführt, bekannt unter dem Schlagwort Hartz IV. Die Befürworter der Reform betonen, die Veränderungen seien ein Erfolg gewesen, weil die Arbeitslosigkeit damals deutlich höher war. Haben sie recht?

Von den Zahlen her haben sie grundsätzlich recht, ja. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten zehn Jahren sehr stark zurückgegangen. Aber als Wissenschaftler warne ich immer vor monokausalen Zusammenhängen. Eine Entwicklung hat ganz selten nur eine bestimmte Ursache. Dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, liegt also nicht nur an den Reformen im Sozialgesetzbuch. Nach 2005 ist die Zahl der Arbeitslosen und Leistungsberechtigten erst mal rasant nach oben gegangen. Zeitweise bezogen fast siebeneinhalb Millionen Menschen Leistungen aus der Grundsicherung, wie sie im Sozialgesetzbuch II – kurz SGB II – definiert sind. Das sind eben nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch ihre Angehörigen, darunter viele Kinder.

Dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, liegt sicher nicht nur an den Hartz-Gesetzen.

Warum war das so?

Eine neue Klientel kam in den Blick der Arbeitsmarktpolitik. Mit dem 1. Januar 2005 fielen ungefähr 2,5 Millionen ehemalige Sozialhilfeempfänger unter die Bestimmungen des SGB II. Ab 2006 setzte dann ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit ein. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit ging bis 2011 sehr deutlich zurück, stagnierte dann eine Zeitlang, bevor sie zuletzt wieder abnahm. Aber wie gesagt: Dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, liegt sicher nicht nur an den Hartz-Gesetzen. Dazu beigetragen hat auch die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften seit den 90er Jahren. Das hat deutschen Unternehmen geholfen, wettbewerbsfähiger zu werden. 

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt allerdings immer noch bei fast einer Million. Warum gelingt es nicht, diese Menschen in Arbeit zu bringen? 

Das hat viel damit zu tun, wie sich die Gruppe der Langzeitarbeitslosen zusammensetzt. Im Gesetz steht, dass die Jobcenter für die Menschen zuständig sind, die mindestens drei Stunden am Tag arbeiten können. Das kann man auch so formulieren: Jemand, der vielleicht gerade einmal drei Stunden am Tag arbeiten kann, hat es heutzutage sehr schwer, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Viele Menschen, die Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, haben sogenannte Vermittlungshemmnisse.

Was sind Vermittlungshemmnisse?

Wer lange Leistungen bezieht, hat an sich schon ein Vermittlungshemmnis. 71 Prozent der Grundsicherungsempfänger haben in den letzten zwei Jahren mindestens 21 Monate lang Leistungen bezogen. Und je länger dieser Leistungsbezug andauert, desto schwieriger wird es, wieder Arbeit zu finden. Es gibt aber noch mehr Hemmnisse: 45 Prozent derer, die Arbeitslosengeld II beziehen, haben gesundheitliche Einschränkungen. 40 Prozent fehlt ein Berufsabschluss. Auch Mutter zu sein, kann ein Hemmnis am Arbeitsmarkt sein, weil vielerorts die Kinderbetreuung noch nicht so ausgebaut ist, wie sie sein sollte. Ein höheres Lebensalter und ein fehlender Schulabschluss sind weitere Hemmnisse. Nur fünf Prozent der Arbeitslosengeld-II-Bezieher haben kein Vermittlungshindernis – aber fast 80 Prozent haben mindestens zwei oder mehr. Studien bei uns am IAB haben ergeben, dass sich mit jedem Hemmnis die Chance darauf, wieder in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden, halbiert. Zwischen 2010 und 2015 hat sich die Situation noch verschlechtert: Es gibt einen höheren Anteil an älteren, einen höheren Anteil an Geringqualifizierten und einen höheren Anteil an Menschen mit gesundheitlichen Problemen unter den Langzeitleistungsbeziehern.

Zum Teil ist die Stagnation auch von der Politik verursacht

Warum?

Gerade aus Regionen mit einer wachsenden, dynamischen Wirtschaft melden die Jobcenter, dass der Arbeitsmarkt diejenigen, die eine Chance auf Vermittlung hatten, überwiegend schon aufgenommen hat. Zum Teil ist die Stagnation auch von der Politik verursacht, weil die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen seit 2011 stark abgebaut worden sind. Sie würden der Langzeitarbeitslosigkeit doppelt entgegenwirken: Statistisch, weil sie die Arbeitslosigkeit unterbrechen. Und real, weil sie die Beschäftigungschancen der Teilnehmenden verbessern. Zu solchen Maßnahmen gehört zum Beispiel das Einstiegsgeld für Gründerinnen und Gründer.

Gibt es Menschen, denen der Sprung aus der Langzeitarbeitslosigkeit gelingt, während andere zu Langzeitarbeitslosen werden?

Ja, das ist ein kontinuierlicher Prozess. Man muss sich die Gruppen, die unter das SGB II fallen, genau angucken. Darunter sind ja auch Akademiker, die gerade ein Studium abgeschlossen haben, aber nicht gleich Arbeit finden. Unter ihnen ist der Anteil derer, die schnell wieder rauskommen, hoch. Mir ist wichtig, nicht nur von Langzeitarbeitslosen zu reden, sondern auch – ich weiß, das Wort ist lang und kompliziert –über Langzeitleistungsbezieher.

Und das sind zum Beispiel?

Wir haben eine Menge so genannter Aufstocker im SGB II. Das sind Leute, die arbeiten, deren Lohn aber nicht reicht, um sich oder die Familie zu versorgen. Es gibt eine Million Langzeitleistungsbezieher, die seit 2005 dabei sind. Aber das sind eben mitnichten Menschen, die faul sind und nicht arbeiten wollen. Daneben gibt es auch die Fälle von verfestigter Arbeitslosigkeit; Menschen, die viele Vermittlungshemmnisse haben und die in ihrer eigenen Wahrnehmung und auch nach Einschätzung der Jobcenter eigentlich nicht mehr erwerbsfähig sind.

Kritiker monieren, dass Jobcenter viele Kunden in Weiterbildungen schicken, die inhaltlich nichts brächten, die aber die Bilanz der Jobcenter verbesserten. Was meinen Sie?

So etwas geschieht nicht systematisch, um etwa die Statistik zu schönen, wie immer wieder behauptet wird. Wir haben aber bei Studien von Kunden gehört, die gern stärker mitbestimmen würden, in welche Maßnahmen sie kommen – und diese Mitbestimmung wurde ihnen nicht immer zugestanden. Es gibt auch Kunden, die Maßnahmen nicht als sinnvoll empfinden. Von Mitarbeitern aus Jobcentern haben wir auch schon mal gehört, dass es einen sanften Druck geben kann, freie Plätze in Kursen zu besetzen – nicht in dem Sinne, dass man die Statistik beschönigen wollte, sondern dass man Kurse eingekauft hat, die dann auch voll werden sollen, weil sie sonst pro Teilnehmer zu teuer würden. Es gibt aber auch viele Vermittler, die sagen, dass sie keine Maßnahme zuweisen, wenn das für ihre Kunden nicht sinnvoll sei.

Auch Bernd Steinheimer aus dem Jobcenter in Schwarzenbek sagt, der Regelsatz von derzeit 416 Euro sei zu niedrig. Wer entscheidet auf welcher Grundlage über den Regelsatz? 

Es gibt eine gesetzliche Grundlage für den Regelsatz. Er wird ermittelt auf Basis – Achtung, es kommt wieder ein langes Wort – des Regelbedarfsermittlungsgesetzes vom Januar 2011. So kompliziert wie das Wort ist auch das Verfahren. Es beruht darauf, dass man die Konsumgewohnheiten der einkommensschwächeren Schichten untersucht und heranzieht. Die Grundlage ist die so genannte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Am Ende stehen ganz konkrete Zahlen. 2011 setzte man für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke knapp 130 Euro im Monat und pro Person an. Für Innenausstattung und Haushaltsgeräte 27 Euro, für Gesundheitspflege 15 Euro, für Bildung 1,39 Euro. 7,16 Euro sind für Beherbergungs- und Gaststättenleistungen vorgesehen. In der Summe kam man auf 361,81 Euro, ausgezahlt wurde etwas mehr, 364 Euro. Seitdem gibt es jährliche Anpassungen, nun liegt der Regelsatz bei 416 Euro. 

Und reicht das Geld aus Ihrer Sicht?

Das IAB hat mehrere Studien dazu gemacht und ist immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, dass der Regelsatz ausreicht, damit die Betroffenen für ihre wirklich grundlegenden Bedürfnisse sorgen können – also für Essen, Kleidung usw. Aber unsere Studien zeigen auch immer wieder, dass es Defizite in den Bereichen gibt, die zur sozialen Teilhabe gehören – also beispielsweise im Kino einen Film zu sehen oder auch mal mit Freunden Essen zu gehen.

Bei 7,16 Euro im Monat für Beherbergungs- und Gaststättenleistungen reicht das in manchen Städten vermutlich nicht mal für eine Bockwurst mit Getränk …

So etwas tun zu können, ist Teil des soziokulturellen Existenzminimums. In Befragungen hören wir immer wieder, dass der Regelsatz dafür eben nicht reicht. Vor allem nicht, wenn der Leistungsbezug lange dauert. Denn dann müssen ja auch Haushaltsgeräte mal ersetzt werden. Oder eine neue Winterjacke muss her.

Jedes siebte Kind in Deutschland lebt in einer Familie, die Leistungen aus der Grundsicherung bezieht

Kann man dann die Kosten für eine Winterjacke beantragen?  

So war es in der Sozialhilfe. Im SGB II wurde der Regelsatz leicht erhöht, mit der Begründung, dass Leistungsbezieher Geld für solche Anschaffungen ansparen könnten. Das haut aber auf dem finanziellen Niveau nicht hin. Wenn teure Gegenstände wie die Waschmaschine kaputtgehen, können Jobcenter das Geld vorschießen. Die Kunden müssen das aber peu à peu zurückzahlen. Sozialpolitisch bedenklich ist unserer Ansicht nach auch die hohe Zahl der Kinder in der Grundsicherung – sie machen 15 Prozent aus. Jedes siebte Kind in Deutschland! Das Bildungs- und Teilhabepaket sollte helfen, hat aber nur mäßigen Erfolg, um zum Beispiel auch Kindern aus Familien, die wenig Geld haben, die Teilnahme an Klassenfahrten zu ermöglichen.

Warum ist das Gesetz nicht so erfolgreich, wie es sein könnte?

Es gibt bürokratische Hürden. Dazu kommt das Problem, dass manche Betroffene es als Stigma empfinden, Gelder zu beantragen. Und nicht alle wissen, dass sie Anspruch auf die Leistungen haben, weil sie in bildungs- und informationsfernen Milieus leben.

Gab es vor der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeitsprüfungen von Sozialhilfeempfängern, die vergleichbar sind mit dem, was Bezieher von Arbeitslosengeld II heute über sich preisgeben müssen?

Ja, das Sozialamt hat zum Beispiel geprüft, ob Sozialhilfeempfänger Vermögenswerte verschweigen. Der große Unterschied zu heute ist aber, dass das SGB II die Bedarfsgemeinschaft kennt. Früher war das Individuum entscheidend, also der einzelne Mensch, der Sozialhilfe beantragt hat. Nun müssen Jobcenter den gesamten Haushalt in den Blick nehmen. Der Staat schaut genau hin, in welcher Beziehung Menschen zueinander stehen, die zusammen wohnen. Es gilt das Prinzip einer Einstandsgemeinschaft, wie in einer Ehe. Jobcenter-Mitarbeiter nehmen häufig an, dass diese Einstandsgemeinschaft besteht, wenn Menschen in einer Wohnung leben. Aber vielleicht interpretieren die Betroffenen das gar nicht so. Vielleicht haben sie eher eine kumpelige Beziehung. Dann wird genau geguckt, ob das stimmt. Das hat, gerade in der Anfangszeit, die Proteste gegen die Reform sehr befeuert. Das Gesetz kann auch dazu verleiten, dass Betroffene gegenüber dem Jobcenter falsche Angaben machen. Werden zwei Menschen vor dem Jobcenter als zwei Einzelpersonen gezählt, bekommen sie jeweils 416, als Teil eines Paares aber nur 374 Euro. Das ist ein gravierender Unterschied von gut 80 Euro im Monat, wenn man die Beträge zusammenrechnet.

Bestandteil der Agenda 2010 war auch die Entstehung von Jobcentern, die aus Arbeitsämtern einer- und Kommunalverwaltungen andererseits entstanden. Wie geht es den Mitarbeitern damit?

Es gibt das Problem der unterschiedlichen Tarifstruktur – manche Mitarbeiter werden nach dem Tarif der Bundesagentur für Arbeit bezahlt, andere nach den Bestimmungen der Kommunen. Dass Menschen ein unterschiedliches Gehalt bekommen, obwohl sie dieselbe Arbeit verrichten und im selben Zimmer sitzen, ist für die Motivation nicht unbedingt förderlich. Wir haben noch keine Untersuchungen dazu gemacht, aber es leuchtet ein, dass Mitarbeiter so etwas als Problem empfinden. Ich will allerdings nicht unterstellen, dass das auf Kosten der Arbeitssuchenden geht. Bekannt ist aber, dass es in den Jobcentern immer noch etliche befristete Verträgen gibt. Kunden beklagen, dass sie deshalb ihre Ansprechpartner im Jobcenter oft wechseln müssen. Wenn man sensible Probleme mit Gesundheit und Psyche hat, ist es nicht leicht, einer neuen Person die ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Kontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse sind wichtig in den Jobcentern, damit Mitarbeiter Erfahrungen sammeln und Weiterbildungen machen können, um den schwierigen Kunden gerecht werden zu können. 

Hat die Einführung des ALG II dazu geführt, dass in Deutschland ein Niedriglohnsektor entstanden ist? 

Diese These ist umstritten. Dagegen spricht, dass sich die Anfänge eines Niedriglohnsektors schon Mitte der Neunziger zeigten – also weit vor den Hartz-Gesetzen. Damals begann die Phase einer langjährigen Lohnzurückhaltung durch die Gewerkschaften. Andererseits argumentieren manche: Das SGB fordert von Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, eine Kompromissbereitschaft, jede Arbeit anzunehmen, die mindestens so gut bezahlt wird wie der Regelsatz. Es kann einen disziplinierenden Effekt auf Menschen haben, die gern mehr Lohn fordern wollen, sich das aber nicht trauen, weil jederzeit Hartz-IV-Empfänger an ihre Stelle rücken könnten. Das ist ein Plausibilitätsargument, aber für uns als Wissenschaftler ist es sehr schwierig, so etwas nachzuweisen.

Rückblickend wäre es besser gewesen, den Mindestlohn schon 2005 zu beschließen

Wirkt der Mindestlohn dem Niedriglohnsektor entgegen?

Man sollte nicht vergessen, dass sich auch der Mindestlohn immer noch innerhalb des Niedriglohnsektors bewegt. Sobald Kinder zu versorgen sind, reicht der Mindestlohn heute oft nicht, um den Leistungsbezug in der Grundsicherung zu beenden; das sehen wir an den Aufstockern. Singles, die sich um niemanden kümmern müssen und Vollzeit arbeiten können, schaffen es, mit dem Mindestlohn ganz vom Jobcenter wegzukommen. In jedem Fall aber ist der Mindestlohn wichtig und richtig, um Auswüchsen Grenzen zu setzen. Es gab in Ostdeutschland zum Teil Tariflöhne von unter fünf Euro in der Stunde. Das kann es nicht sein. Rückblickend wäre ein Mindestlohn als flankierende Maßnahme schon 2005 ein gutes Signal gewesen, um klarzumachen, dass es nicht nur um Sozialabbau geht. Und auch nicht nur darum, die Verantwortung für Arbeitslosigkeit den Betroffenen zuzuschieben.

13 Jahre nach Einführung von Hartz IV – was ist gelungen, was ist misslungen und muss besser werden?

Wir vom IAB haben von Anfang an gesagt, dass Hartz IV, also die Grundsicherung, besser ist als ihr Ruf. Im Vergleich zu anderen Ländern verstecken wir Arbeitslosigkeit nicht mehr so sehr in anderen Sozialsystemen. In Skandinavien und den Niederlanden sieht das anders aus. Gut ist auch, Menschen, die früher Sozialhilfe bezogen hätten, Beratungs- und Integrationsmaßnahmen anzubieten, damit sie eine Chance haben, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Einige Personen erhalten heute auch Leistungen, die sie früher nicht hätten beantragen können. Dem gegenüber steht natürlich der Einwand, dass es die Arbeitslosenhilfe nicht mehr gibt, mit der viele finanziell besser dastehen würden. Kritisch sehe ich, dass es zum Teil einen zu starken Fokus auf Druck und Kontrolle gibt. Es wäre sinnvoller zu betonen, dass es sich um eine Hilfe handelt. Ich finde auch die Sanktionspraxis bei Personen schwierig, die sich nicht bewusst schuldhaft falsch verhalten haben. Desorganisierte Jugendliche etwa verfügen eben kaum über die Fähigkeiten zu planvollem Handeln. Da ist es nicht sinnvoll, dass man sie bestraft, weil sie einen Termin versäumen. Ich halte es erst recht für problematisch, wenn man psychisch kranke Menschen sanktioniert. Wer eine schwere Depression oder eine Angststörung hat, kann kaum Einladungen folgen. Schwierig bleibt, dass die Geldleistungen nur sehr eingeschränkt für die soziale Teilhabe ausreichen. Und schließlich sind leider einige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen abgebaut worden, die wir positiv evaluiert haben. Etwa die Förderung von Existenzgründungen. Es ist ein gutes Signal, dass Maßnahmen für Langzeitarbeitslose wie etwa der soziale Arbeitsmarkt wieder stärker im Koalitionsvertrag betont werden. Diese Maßnahme soll die Teilhabechancen von Menschen verbessern, die kaum eine Chance auf einen regulären Job haben.

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Guten Tag,
darf ich in diesem Zusammenhang auf meinen Blogbericht zu einer Veranstaltung mit Frau Simone Lange hinweisen?
Ich setze Hoffnung in sie und freue mich sehr, dass dieses Thema, die ethische Katastrophe Hartz IV, nun etwas öffentlicher diskutiert wird!
MfG
Burkhard Tomm-Bub, M. A.
Ex - Fallmanager im jobcenter
(NICHT SPD - Mitglied)
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Der Link:
http://kopfmahlen.blogspot.de/2018/04/wenn-die-spd-noch-zu-retten-ware.html