chrismon: Sant’Egidio vermittelt in Konflikten auf der ganzen Welt. Schalten Sie sich selbstständig ein?
Mauro Garofalo: Selten. Die meisten klopfen bei uns an. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Konfliktparteien, die einen Ort brauchen, an dem sie diskret miteinander verhandeln können, auf uns zukommen können.
Was ist Ihr Antrieb?
Jede gewaltsame Auseinandersetzung ist eine Wunde auf unserer Haut. Sant’Egidio setzt sich weltweit für die Armen ein, daher betrifft uns fast jeder Konflikt. Krieg ist die Mutter aller Armut. Papst Johannes Paul II. hat einmal gesagt: "Frieden ist eine Arbeitsgemeinschaft, offen für alle" – und wir wollen die Arbeiter sein. Unsere Schulen heißen "Friedensschulen". Frieden zu lehren ist genauso wichtig wie Sprachen oder Naturwissenschaften.
Mauro Garofalo
Sant’Egidio ist eine christliche Organisation. Werden Sie als neutrale Vermittler angesehen?
Ja. Bei der Mindanao-Krise auf den Philippinen etwa hat uns die muslimische Minderheit hinzugezogen, nicht die Regierung. Wir sind seit 1968 in Friedensgespräche zwischen Christen und Muslimen involviert. Nach so vielen Jahrzehnten des Dialogs genießen wir einen guten Ruf.
Sind Sie oder Ihre Leute je angegriffen worden?
Nein, wir werden als Menschen des Glaubens und des Gebets empfangen, als neutrale Akteure. Wir haben kein anderes Interesse als den Frieden und stellen uns auf keine Seite. Wir können weder Sanktionen noch Reisesperren verhängen. Dadurch stellen wir keine Bedrohung dar.
Wie bringen Sie streitende Gruppen ins Gespräch?
Es gibt nicht die typische Methode. Zunächst fragen wir uns, ob eine Mediation effektiv wäre oder nicht. Falls ja, kümmern wir uns um den gesamten Prozess: Vom ersten Kontakt der Konfliktparteien bis zum Friedensvertrag, zum Beispiel in Mosambik Anfang der 1990er Jahre. Viele Krisen fallen in Phasen des Übergangs, wenn etwa nach einer Wahl politische Unruhen ausbrechen. Dann rufen wir politische und religiöse Führer sowie das Militär dazu auf, sich Gedanken über das Schicksal ihres Landes zu machen. Sie müssen über eine gemeinsame Vision, ein gemeinsames Ziel nachdenken. Wichtig für unsere Arbeit ist, dass wir Krisen nicht nur als politisches Problem ansehen, sondern auch als menschliches und spirituelles. Nach jedem Krieg muss ein Heilungsprozess einsetzen. Menschen, die Gewalt gewöhnt sind, müssen wir überzeugen, dass Dialog möglich ist.
Ist es wirklich immer möglich, eine gemeinsame Vision zu finden? Wie sieht es mit dem Israel-Palästina-Konflikt aus?
Die Gespräche in Palästina und dem Heiligen Land verliefen bisher nicht sehr effektiv, aber wir denken, dass es durchaus möglich ist, dass Palästinenser und Israelis gemeinsam und friedlich miteinander leben. Wir von Sant’Egidio sind Extremisten – Dialogextremisten. Es ist immer möglich, das Gespräch zu suchen. Daran glauben wir bis zum allerletzten Moment. Wenn es zum Krieg kommt, ist alles verloren. Krieg kennt keine Sieger.
Was war eine besonders erfolgreiche Mediation?
Das ist schwer zu messen, aber wir haben jüngst in der Zentralafrikanischen Republik vermittelt. Dort wurde am 19. Juni 2017 ein Friedensvertrag zwischen bewaffneten Gruppen und der Regierung geschlossen. Es gibt dort immer noch Gewalt, doch jetzt bewegt sich etwas, die Region wird stabiler. In der Mindanao-Region auf den Philippinen herrschte 25 Jahre lang ein Konflikt zwischen der muslimischen Minderheit der Moro und der Regierung. 2014 arrangierten wir ein Rahmenabkommen für den Frieden. Beispiele wie Mosambik sind natürlich ein Traum: lang anhaltender Friede nach 25 Jahren Bürgerkrieg. Manchmal kommt es zu Frieden, doch dann tauchen wieder neue Probleme auf. Aber wir geben ein Land nie auf.
Dieses Interview ist Teil der Reihe "Friedensmacher": Frieden ist möglich, wenn die Zeit reif dafür ist. Das hat in Kolumbien über 50 Jahre gedauert. In Syrien ist seit fast sieben Jahren Krieg – und kein Ende in Sicht. Mediatoren, Schlichter, Diplomaten brauchen einen langen Atem. Auch im Kleinen ist manchmal Hilfe von außen nötig, bei Streit unter Schülern oder in Familien.