Meine ersten Klientinnen hießen Annika, Lisa und Lena. Schüchtern saßen die Fünftklässlerinnen vor mir und meiner Komediatorin und waren mindestens so aufgeregt wie wir. Wir waren 15. Es ging um ein Furby. Die Plüscheulen mit Glupschaugen, die sprechen konnten, waren Anfang der 2000er ein Hype. Laut Annikas Version hatte Lena die Furbys der anderen begutachtet und dann nachgekauft. Der Streit darüber hatte in einer Rangelei geendet.
Die Idee hinter der Mediation an Schulen ist, Konflikte ohne Lehrer, mit Hilfe von geschulten älteren Schülern zu lösen – auf Augenhöhe also. Die Gespräche bleiben geheim. Dabei sollen alle etwas lernen: Empathie, Gesprächsführung, Konfliktlösung. Furby irritierte mich und meine Kollegin. Über welche Dämlichkeiten können Freunde doch in Streit geraten! Das machte es uns nicht einfacher. Heute würde ich denken: „Sei ehrlich interessiert. Dann kommen die Fragen von selbst.“ Aber damals versuchte ich, mich krampfhaft an den Gesprächsablauf zu erinnern und kein Detail zu vergessen. Was waren noch mal die Gesprächsregeln? – Ausreden lassen, Anmerkungen notieren. Jede Aussage zusammenfassen. Jede zu Wort kommen lassen. Unbedingt neutral bleiben.
Die Kunst war, gemäß dem sogenannten Eisbergmodell von den sichtbaren, „über dem Wasser liegenden“ Verhalten und Gesten zum wesentlichgrößeren, unsichtbaren Teil abzutauchen: den Wünschen, Gefühlen, Erfahrungen, dem eigentlichen Grund des Streits.
„Die macht uns alles nach, und dann schreit sie uns an“, sagte Annika.
„Was genau?“, fragte meine Komediatorin, fasste zusammen und fragte: „Habe ich das so richtig verstanden?“ Wir atmeten auf, das Gespräch kam in Gang. „Wie fühlst du dich, wenn sie dir alles nachmacht? Warum ärgert es dich?“, fragte ich. Dann ließen wir Lena berichten, fragten, was sie von Annikas Version hielt, und als sie dem Vorwurf des Nachahmens nicht widersprach, fragten wir, warum. „Die lästern über mich“, sagte sie. Es stellte sich heraus, dass Lena wieder dazugehören wollte und dass Annika Lena als zu anhänglich empfand. Am Ende vereinbarten die Mädchen schriftlich ein paar Tage Funkstille und dass sie versuchen wollten, keine mehr auszuschließen und Probleme offen anzusprechen.
Zum Nachtreffen kamen alle drei schwatzend ins Zimmer.
„Wie geht’s?“, fragte ich.
„Passt alles“, strahlten sie.
Nicht immer ging es so glatt. Einmal saßen uns zwei Jungen gegenüber, einer stilisierte sich als Opfer und beschuldigte einen sehr stillen Täter extremer Gemeinheiten. Wir fanden heraus, dass es umgekehrt war: Der vermeintliche Täter wurde gemobbt. Wir verständigten die Schulpsychologin. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Ich bin überzeugt von dem Konzept, obwohl ich an unserer Schule eine der ersten Streitschlichterinnen und eine der letzten war. Schade eigentlich.
Dieses Interview ist Teil der Reihe "Friedensmacher": Frieden ist möglich, wenn die Zeit reif dafür ist. Das hat in Kolumbien über 50 Jahre gedauert. In Syrien ist seit fast sieben Jahren Krieg – und kein Ende in Sicht. Mediatoren, Schlichter, Diplomaten brauchen einen langen Atem. Auch im Kleinen ist manchmal Hilfe von außen nötig, bei Streit unter Schülern oder in Familien.