Adieu, gewohnte Ordnung! Das traditionelle Parteienverhältnis im Deutschen Bundestag ist seit dem 24. September 2017 Geschichte. Mit sechs Fraktionen aus sieben Parteien und einem gigantischen Berg von Überhang- und Ausgleichsmandaten hat das Prinzip der Übersichtlichkeit ausgedient. Galt bisher der schlichte Sitzungsverlauf von Rede, Gegenrede und folgender Abstimmung, wird nun vor jeder größeren Entscheidung ein parlamentarisches Gewitter hereinbrechen: Anträge zur Geschäftsordnung, Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, Wirbel um tatsächlich jeden Preis. Die AfD wird alle Chancen nutzen, Abläufe zu bremsen und als „eigentliche“ Opposition „gegen die da oben“ in Erscheinung zu treten. Das ist sie ihren Wählern schuldig, die mit der AfD Grimm und Unzufriedenheit ins Parlament entsandt haben.
Arnd Brummer
Viele Menschen in den östlichen Bundesländern, allen voran die Sachsen, wollten den traditionsreichen Sachwaltern geordneter Freiheit in Deutschland nicht mehr über den Weg trauen. Damit müssen die Deutschen nun leben. Die Nachbarn in den Niederlanden, in Skandinavien, in Frankreich, Österreich und Italien, die bisher mit Neid und Respekt die überschaubare Logik des deutschen Parlamentarismus betrachtet haben, dürfen nun trösten und raten: „Was ihr jetzt an Vielstimmigkeit produziert habt, kennen wir schon länger. Lernt von uns, wie man damit umgeht.“
Ein guter Einstieg in diesen Lernprozess war die rasche Entscheidung der SPD am Wahlabend, die große Koalition nicht fortzusetzen, sondern in die Opposition zu gehen. Damit verhindern Martin Schulz, seine Genossinnen und Genossen, dass sich die AfD als größte Oppositionspartei inszenieren kann. Und sie erschweren populistische Trivialsprüche von der Sorte: „Die da oben stecken doch alle unter einer Decke!“ Die klassische Dialektik der großen Volksparteien im Bundestag war über Jahrzehnte der beste Schutz vor wutgespeisten Erschütterungen. Die sich selbst so nennenden „kleinen Leute“ wählten die jeweils Oppositionellen und holten die anderen von den Ministerstühlen. Die freiheitliche Grundordnung, zu der sich beide Seiten bekannten, blieb ungefährdet.
Die zweite große Chance: Die AfD folgt dem alten Prinzip, dass sich jeder selbst blamiert, so gut er kann. Schon am Morgen nach der Wahlnacht zeigte sich, dass sich die Rechtspopulisten in der Partei, die sich in fundamentaler Gauland-Sprache austoben, mit den bürgerlichen Konservativen nur schwer in einer Fraktion vereinen lassen. Wenn die Bundesvorsitzende Frauke Petry, die in Sachsen ein Direktmandat holte, sich nicht hinter Gauland und Weidel in Reihe zwei oder drei setzen will, wird deutlich: Neuer Fraktionen größtes Problem ist die innere Ordnung. Grüne (einst Fundi- und Realo-Flügel), Linke oder Piraten (wer kennt die noch?) haben es mehrfach vorgelebt.
Und wie geht es weiter? Angela Merkel mit Digital-Lindner und Klima-Özdemir? Schauen wir mal! Bis Weihnachten sollte eine neue Koalition Gestalt gewonnen haben.