Gottesfürchtig ging es zu in der Familie des Wuppertaler Baumwollfabrikanten Friedrich Engels und seiner Frau Elisabeth. Im Bergischen Land war der Pietismus stark, und damit fühlten sich die Unternehmer wohl. Da fielen dem ältesten Kind, ebenfalls Friedrich Engels mit Namen, schon einmal gefühlvolle religiöse Gedichte wie dieses ein: „Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, o steig herab von Deinem Thron, und rette meine Seele! O komm mit Deiner Seligkeit, Du Glanz der Vaterherrlichkeit, gib, dass ich Dich nur wähle!“
Als Engels im Frühjahr 1837 das Gedicht verfasste, war er 16 Jahre alt. Mit 18, im Frühjahr 1839, schien er sich über seine eigene frühere Euphorie sehr zu wundern. Einem Freund gestand er: „[...] ich habe geglaubt, weil ich einsah, so nicht mehr in den Tag hineinleben zu können, weil mich meine Sünden reuten, weil ich der Gemeinschaft mit Gott bedurfte. Ich habe mein Liebstes auf der Stelle gern weggegeben [...] ich habe mich vor der Welt blamiert an allen Ecken;“ Im selben Jahr schrieb er in einem Beitrag für den „Telegraph für Deutschland“, er erinnere sich „wehmütigen Gefühls [...] an die glückliche Zeit, [...] wo man selbst noch kindlich glauben konnte an eine Lehre, deren Widersprüche man sich jetzt an den Fingern abzählen kann [...]“ Nun schämte er sich seiner kindlichen Frömmigkeit und Naivität.
Was war geschehen? Der junge Engels hatte früh Feuer gefangen für humanistische Ideale, die er auf dem liberalen Elberfelder Gymnasium kennengelernt hatte. Er streitet darüber mit seinem Vater, zugleich nimmt er immer mehr Anstoß an der frommen Theatralik einiger evangelischer Prediger. Ihm, der Freude an geschliffenen Formulierungen und an philosophischen Thesen hat, gefallen die drastischen Vereinfachungen der Pfarrer gar nicht. Sein Vater nimmt ihn ein Jahr vor dem Abitur von der Schule, lässt ihn als Handlungsgehilfe in seiner Firma arbeiten. Offensichtlich gehen ihm schon zu dieser Zeit die hochfliegenden Reden seines Sohnes zu weit. Nach einem Jahr schickt er ihn zur weiteren Ausbildung zu einem Bremer Großhandelskaufmann. Dort wohnt Engels im Haushalt eines Erweckungspredigers. Wieder sammelt er Anschauungsmaterial für seine Kritik an einer frömmelnden Kirche.
„Eine glückliche Zeit, wo man selbst noch kindlich glauben konnte“
In seinen „Briefen aus dem Wuppertal“ gießt er Häme über evangelische Prediger aus – wegen ihrer Schwarz-Weiß-Malerei, mehr noch weil sie keine passende Antwort auf das soziale Elend der Arbeiter hätten. Seine „Briefe“ werden im „Telegraph für Deutschland“ gedruckt. Da ist vom Alkoholismus und der Schwindsucht der Arbeiter die Rede, von Kinderarbeit in den Fabriken und von Obdachlosen, die in Treppenhäusern oder Straßengräben übernachten.
Das sind Beobachtungen, die ganz genauso, und schon Jahre zuvor, die Begründer der modernen Diakonie machten: zum Beispiel Johann Hinrich Wichern in Hamburg. Sicherlich kannte Unternehmerssohn Engels die Verhältnisse in den Fabriken sehr genau. Im Jahr 1842 war er von seinem Vater nach Manchester geschickt worden, um dort die elterliche Firma zu leiten. Das fand seinen Niederschlag in dem später weit verbreiteten Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845). Karl Marx und Engels hatten sich 1844 in Paris kennengelernt. Ihr gemeinsames programmatisches Buch „Das kommunistische Manifest“ erschien 1848, jenem Jahr, in dem Wichern seine großen Reden über die Diakonie der Zukunft hielt.
Ob Friedrich Engels seine revolutionäre Energie auch aus den religiösen Erfahrungen seiner Jugend zog, darüber lasst sich nur spekulieren. Wichtiger waren wohl seine Freude an analytischen Thesen und seine intellektuellen Fähigkeiten. Er war mit seiner Neugier einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.