Stellen Sie sich das mal vor: Der Vorstand eines großen Konzerns tagt, und als es auf 17 Uhr zugeht, verlassen Frauen und Männer die Sitzung. Ohne Erklärung. Weil sowieso jeder weiß, dass sie losmüssen, Kinder abholen. Feierabend! Oder genauer: Familienzeit!
In Norwegen ist das wirklich so. "Vor kurzem verließ ein Minister eine Parlamentsdebatte, um sein Kind pünktlich aus dem Kindergarten abzuholen", sagt Sebastian Wilhelm, Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Norwegen. Es gibt kein Gesetz, das Eltern einen frühen Feierabend garantiert. Aber eine allgemein anerkannte Tradition, und die besagt, dass die Zeit zwischen 17 und 18 Uhr den Familien gehört. Oft essen die Eltern in dieser Stunde mit ihren Kindern – und bereden, was tagsüber so los war.
Es ist an den Vätern, neue Rollenbilder vorzuleben
"Das Management einer Firma würde es nie negativ kommentieren, wenn Eltern Arbeitstreffen verlassen, sondern sich eher entschuldigen, dass die Sitzung über den Feierabend hinaus geht", sagt Wilhelm. Der Pfarrer hat beobachtet, dass der frühe Dienstschluss für alle Branchen gilt: Wer einen Handwerker beauftragt hat, muss damit rechnen, dass der um vier die Sachen packt – auch wenn er am nächsten Tag nur für eine halbe Stunde wiederkommen muss. Alles wegen der Kinder.
Geht das in Deutschland auch? Im Prinzip schon, sagt Christina Schildmann, Leiterin des Wissenschaftlichen Sekretariats der Expertenkommission "Arbeit der Zukunft" bei der Hans-Böckler-Stiftung. Aber: Norwegen sei Deutschland bei der Gleichberechtigung weit voraus. Im Norden sei es üblich, dass sich auch die Väter an der Familienarbeit beteiligen. Darauf hätten viele Arbeitgeber in Skandinavien reagieren müssen – und das verändere die ganze Kultur. Es ist also an den Vätern, neue Rollenbilder vorzuleben. Und nicht naiv zu sein. "Die Gefahr ist, dass Eltern dann jeden Abend, wenn die Kinder im Bett sind, Dienstmails schreiben und damit ihren Arbeitstag unreguliert und unbezahlt verlängern", sagt Christine Schildmann.
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