Andre Trocme 7. April 1901 bis 5. Juni 1971 war ein franzoesischer evangelisch-reformierter Pastor, Widerstandskaempfer und Friedensaktivist.
Marco Wagner
Verschwiegene Retter
Der französische Landpfarrer André Trocmé brachte ein ganzes Dorf dazu, jüdische Kinder vor den Nationalsozialisten zu retten
26.04.2017

Die beiden Männer hatten Ernstes zu besprechen. André Trocmé, reformierter Pfarrer aus einem französischen Dorf im Zentralmassiv, hatte Burns Chalmers, einen amerikanischen Quäker, im Winter 1940/41 in Marseille aufgesucht, um seine Hilfe für die in Frankreich verfolgten Juden anzubieten. Doch wie könnte das geschehen? Trocmé schwebte eine Hilfsaktion für die internierten Juden vor. Chalmers hatte die Quäkerhilfe in den südfranzösischen Lagern aufgebaut, er konnte doch sicherlich weitere Unterstützung gebrauchen. Doch der riet dem leidenschaftlich engagierten Pfarrer ab. Schon genügend Organisationen seien dort tätig.
Dann erzählte er, wie die Quäker versuchten, die Auslieferung der bereits internierten Juden nach Deutschland zu verhindern. „Wenn die Eltern trotz allem deportiert werden, sorgen wir dafür, dass die Kinder außerhalb der Lager untergebracht werden“, fügte er hinzu. Nur der geeignete Ort dafür fehlte noch. Nach langem Grübeln kam ihnen die zündende Idee kam: Die Gemeinde des Pfarrers, abgelegen auf einem Hochplateau des Zentralmassivs zwischen Rhône und Loire, könnte Zufluchtsort für die jüdischen Kinder werden. Für Trocmé war die Sache sofort klar: Er willigte ein, Plätze für sie zu suchen.
Zurückgekehrt in sein Dorf Le Chambon-sur-Lignon, warb er bei seinen Gemeindemitgliedern für diese gefährliche Aufgabe. Die jüdischen Kinder sollten mithilfe gefälschter Pässe zu nichtjüdischen Kindern werden, die sich auf dem Land zur Kur aufhielten. So ehrenwert das Ziel war – Pfarrer Trocmé bereitete diese Methode erhebliche Gewissensqualen. Hieß es in den Zehn Geboten nicht: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“? Was aber, wenn er dies nun zugunsten des Nächsten tat? Indem er log, machte er sich schuldig, das war ihm bewusst. Aber hier schien das Lügen unvermeidlich, um Menschenleben zu retten.
Die jüdischen Kinder kamen auf den Höfen der Umgebung, in Heimen und Pensionen unter. Diese Hilfe wurde keineswegs zentral vom Pfarrhaus aus gesteuert – das wäre viel zu gefährlich gewesen. Verschwiegen und eigenständig gingen die Protestanten vor, wie sie es seit langem kannten.
In Le Chambon lebten fast ausschließlich Hugenotten, Protestanten, deren Vorfahren Jahrhunderte zuvor selbst vor der Verfolgung durch die katholischen Könige geflohen waren. Im ersten Weltkrieg retteten sich schon Elsässer hierher, später Flüchtlinge aus dem spanischen Bürgerkrieg, 1940 schließlich die ersten Juden.
André Trocmé war Pazifist. Dass er wegen seiner pazifistischen Einstellung nur eine Pfarrstelle in einem unbedeutenden Dorf bekommen konnte, erwies sich nun als ein Segen. Nach dem Waffenstillstand von Compiègne im Juni 1940 hatte er gepredigt: „Die Aufgabe des Christen ist es, sich der Gewalt mit den Waffen des Geistes entgegenzustellen.“ Das taten er und seine Gemeinde jetzt.
Als der Präfekt des Departments ankündigte, demnächst würden alle Juden erfasst, antwortete Trocmé: „Wir wissen nicht, was ein Jude ist. Wir kennen nur Menschen.“ Seine reformierte Kirchenleitung verlangte von ihm, die Rettungsaktion zu beenden. Trocmé widersetzte sich: „Wenn wir diese Leute nicht verstecken oder über die Berge in die Schweiz bringen, bedeutet das wahrscheinlich ihren Tod. Wir können nicht aufhören.“
So kamen im Laufe der Kriegsjahre etwa 5000 Menschen in Le Chambon unter und wurden gerettet. Trocmé blieb seinen Prinzipien treu. Nach dem Krieg wurde er Sekretär des Internationalen Versöhnungsbundes, einer weltweiten Friedensorganisation. 1971 verlieh die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ihm und seiner Frau Magda den Titel „Gerechte unter den Völkern“.

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