Großes kündigt sich an. Der Katholikentag, der am 28. Mai 2014 in Regensburg begonnen hat, trägt die Nummer 99. Katholikentage haben eine viel längere Geschichte als die evangelischen Kirchentage. Der Deutsche Evangelische Kirchentag, der im nächsten Jahr in Stuttgart stattfinden wird, ist (erst) der 35. seiner Art. Einen runden Geburtstag, den 100., begehen die Katholiken in zwei Jahren in Leipzig. Das ist dann exakt ein Jahr vor dem großen Reformationsjubiläum der evangelischen Kirche. Man sieht: Bald gibt es einiges zu feiern. Aber hält das Programm des Regensburger Laientreffens damit Schritt? Und was hat sich verändert in den vergangenen Jahren?
Die Methode, die ich wähle, ist denkbar simpel: Ich vergleiche, die Programmangebote von 2014 mit denen von 1994. Damals Dresden, heute Regensburg. Zwanzig Jahre – so sollte man denken – sind genug Zeit, um messbare Veränderungen im Inhalt und in den Fragestellungen feststellen zu können.
1994: Das war fünf Jahre nach dem Mauerfall (deshalb auch das Motto „Unterwegs zur Einheit“), eine Zeit gesellschaftlicher Öffnung und der Werbung der westdeutschen Katholiken um die ostdeutschen: Seht her, so vielseitig und offen können Katholiken sein. 2014: auch ein interessantes Jahr - ein Jahr nach dem Amtsantritt von Papst Franziskus, zwei Monate nach der Wahl von Kardinal Marx zum Chef der Bischofskonferenz. Zwei aufgeschlossene Leute, die gleichwohl an vielen konservativen Positionen ihrer Kirche festhalten.
Gibt es neue Freiheiten, die die katholische Kirche in den vergangenen Zeiten errungen hat? Welche Hinweise geben dazu die Programme von 1994 und 2014? In diesen Tagen stehen die Brandthemen der katholischen Kirche ganz oben auf der Agenda: Wiederverheiratete Geschiedene, die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche und - nach dem Debakel im Bistum Limburg - die Kirchenfinanzen. Drei Jahre vor dem 500. Jahrestag der Reformation begibt sich die evangelische Reformationsbotschafterin Margot Käßmann unter anderem mit dem katholischen Ökumene-Bischof Gerhard Feige auf die Suche nach Möglichkeiten, eine gemeinsame Feier des Reformationsjubiläums 2017 zu begehen.
Was gab es in dieser Hinsicht 1994? Was zeigen die theologischen Bodenproben des Katholikentags zum Thema Ökumene? „Wo klemmt‘s in der Ökumene?“ fragten sich die Teilnehmer 1994, ganz so, als seien einschneidende Veränderung in unmittelbarer Reichweite. Ansonsten nahm das Miteinander der Konfessionen keinen zentralen Platz im Programm ein. Die Beschäftigung mit den fünf neuen Ländern hatte damals Vorrang. Und 2014: Das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen wird weiter selbstquälerisch diskutiert. Was soll’s? Da wird ein nationaler Katholikentag keine Veränderungen ausrichten können, anders als zum Beispiel die Bischofssynode im kommenden Oktober im Vatikan, bei der es dezidiert um die Lage der Familien geht. Gerade die endlose Diskussionen über die Wiederverheirateten machen deutlich: Über Jahrzehnte herrscht der Eindruck, dass eine Verbesserung für die Betroffenen in unmittelbarer Reichweite liegt. Tatsächlich zieht die Lösung aber wie ein langes Gummiband weiter und weiter in die Zukunft. Prinzip Hoffnung.
Neue Themen: Pädophilie und Kirchenfinanzen
Katholikentage sind schon immer und von ihrer Idee her Treffen katholischer Laien. Bischöfe und Priester sind gern gesehen, aber sie stehen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, auch wenn das in den Medien oft anders überkommt. Der Regensburger Katholikentag mus sich mit Problemen herumschlagen, die ihm, zum nicht geringen Teil, Kleriker eingebrockt haben: Pädophilie und Finanzskandal. Das bindet Aufmerksamkeit für wichtigere Zukunftsfragen der Kirche. Vom Thema Pädophilie war vor zwanzig Jahren weit und breit nichts zu hören und zu lesen. Die fraglichen Täter hatten damals noch nicht den Schutz der kirchlichen Diskretion verlassen und gingen im schlimmsten Fall weithin ungeschoren ihrem kriminellen Tun nach. Die Versäumnisse der Kirche sind heute als schlimme Fehler erkannt worden, weshalb der Regensburger Katholikentag dem Thema „Prävention sexualisierter Gewalt“ einen hohen Stellenwert zumisst.
Mit seinem Taktieren und seinen Halbwahrheiten hat der inzwischen abgesetzte Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst seiner Kirche einen Bärendienst erwiesen – nicht nur, was die unglaubliche Höhe der Bausumme für den Bischofssitz angeht, sondern auch im Blick auf die missbräuchliche Verwendung von Kollekten- und Spendengeldern. Inzwischen wohnt Tebartz – bis auf weiteres - wieder in seinem alten Bischofshaus und genießt den Luxus, den er damals angeschafft hat. So etwas hätte man sich 1994 nicht vorzustellen gewagt. Da war man ganz von den Sorgen um die Kosten der deutschen Einheit gefangen: „Haben wir uns übernommen?“
Und die Rolle der Frauen?
Und die Rolle der Frauen: Die definierten, ausweislich des Programms, 1994 ihre Position „zwischen Anpassung und Verweigerung“. Es wurden die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung von Katholikinnen präsentiert: „Was denkt frau wirklich?“ Heute, im Vorfeld der Bischofssynode zum Familienbild, macht man dieselbe Erfahrung: An Erkenntnissen darüber, wo es brennt, herrscht kein Mangel. Es kommt nur darauf an, sie auch umzusetzen – zum Beispiel durch die Aufwertung der Frauen in der Kirche.
Die Kirche hat sich in 20 Jahren tatsächlich verändert, was den Umgang mit ihren eigenen Fehlern angeht. Aber bei den tagespolitischen Themen zeigt sie viel mehr Bewegung als bei ihren eigenen theologischen Auffassungen und Strukturen. Auch hier einen Brückenschlag hinzubekommen, nämlich zwischen den hohen Erwartungen an andere und der Bereitschaft, sich selbst zu verändern - dies wäre sehr, sehr wünschenswert.