Man kennt diese Argumente aus Jahrzehnten entwicklungspolitischer Diskussion in den Kirchen. Schuld- und verantwortungsbewusst schlagen Christen an ihre Brust, denn sie wissen: Man kann etwas tun, man muss auch etwas tun gegen den Hunger. Die EKD-Synode war fest entschlossen, es nicht bei solchen Erkenntnissen und Bekenntnissen zu belassen. Sie schlug den Bogen zum praktischen Handeln, entwickelte Bausteine zu einer Kultur der Selbstbegrenzung. Wachsende Genügsamkeit statt wachsender Produktionszahlen, Umsätze und Konsumraten.
Es ist genug für alle da - aber nicht dort, wo es gebraucht wird
Alles nichts Neues? Doch, denn auch die Rahmenbedingungen, die den Welthunger mit verursachen, verändern sich. Dazu zählt vor allem die Klimaerwärmung. Sie macht erhebliche Umstellungen in der Landwirtschaft der Armutsländer erforderlich, wie der Potsdamer Ernährungswissenschaftler Alexander Müller beschrieb. Und das kostet Geld, dazu ist der Zugang zu neuen Forschungsergebnissen erforderlich – für Kleinbauern, die oft zu den Hungernden zählen, Hürden, die kaum zu überwinden sind. Auch wenn durch intensive Entwicklungs- und Strukturpolitik zum Beispiel in Afrika die Zahl der Hungernden leicht sinkt, „geht das zu langsam“, sagte Alexander Müller.
###mehr-extern###Es muss etwas geschehen. Aber was? Da lässt sich die Kirche von etlichen Wissenschaftlern beraten. Auf der Synode zum Beispiel von Joachim von Braun, vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn. Er konterkarierte das Synodenthema „Es ist genug für alle da“ mit den Worten: „Aber es ist nicht genug für alle da dort, wo es gebraucht wird.“
Für eine "angemessene Regulierung der Warentermingeschäfte"
Den Hunger neu zu definieren, die Kalorienfixierung als Irrweg erkennen, forderte er. „Der Mangel geht viel weiter: es fehlen Eisen, Zink, Mineralien.“ Gesunde Ernährung sei immer teurer geworden für die Armen. Wenn die Nahrungsmittelpreise steigen, dann wachse auch der Anteil des Getreidekonsums beim Einzelnen. Eine ungesunde Entwicklung.
Die extremen Preisausschläge für Lebensmittel in den vergangenen Jahren haben viele Kleinbauern um ihre Existenz gebracht. Und das hat auch mit dem internationalen Handel und den Börsenspekulationen zu tun, also mit der westlichen Wirtschaft. Joachim von Brauns doppelte Strategie dagegen: „eine angemessene Regulierung der Warentermingeschäfte und ein verantwortungsbewusstes Anlage-Investieren von Banken und Fonds“.
Ja, Hunger in Afrika wird auch bei uns in der reichen westlichen Welt gemacht. Deshalb seine Forderungen nach einem „niedrigen ökologischen Fußabdruck“ und einer „nachhaltigen Produktion“. Und der Fußabdruck muss auf Waren und Gütern von Lebensmitteln bis zu Autos verständlich gekennzeichnet werden, so dass zum Beispiel der Schutz des Bodens und des Süßwassers sowie der CO2-Ausstoß erkennbar werden. Da gehen also auch Werte ein wie weite Flüge oder die Belastung der Regenwälder. Nur informierte Kunden können Einfluss auf die weltweite Produktion und den weltumspannenden Handel ausüben.
Der Berlin-brandenburgische Bischof Markus Dröge betonte vor der EKD-Synode: „Was die Kirche bei der Bekämpfung der Armut einbringen kann, sind die zahlreichen Kontakte zu Gemeinden in aller Welt. Wir wollen sie mit den Thinktanks in Europa zusammenbringen. Ein Dialogprozess mit allen Beteiligten hinzubekommen: das ist das Ziel.“
Eine große Gefahr: Aggressive Attacken durch Planzen- und Tierkrankheiten
Manche Hunger-Szenarien werden vielleicht gar nicht zu beherrschen sein. Eine der größten Bedrohungen kann in Zukunft von aggressiven Attacken durch Pflanzen- und Tierkrankheiten ausgehen, auf die wir nicht schnell genug reagieren können, so Joachim von Braun. Und mit Blick auf die Landwirtschaft zum Beispiel in Afrika kann er die verbreitete Fundamentalkritik an der Gentechnik gar nicht verstehen: „Viele, die sich vor zehn Jahren bei dieser Frage festgelegt haben, haben überhaupt nicht mehr die positiven Seiten für den Kampf gegen den Hunger heute vor Augen.“
Ob mit oder ohne Gentechnik: Joachim von Braun rät der Synode, sie solle sich auf das Ziel festlegen, „den Hunger bis 2015 zu beenden. Das ist zwar ein ambitioniertes Ziel, aber es ist machbar.“ Eine „Transformation“ – von der weltweiten Landwirtschaft bis zu unserem Konsum – das ist das Ziel, nach dem die Synode der EKD strebt. Viola Kennert betont aber auch: "Die Einführung eines Veggie-Days ist nicht unser Anliegen. Wir müssen die Ernährung insgesamt umstellen."