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In Äthiopien grüßen sich die Leut'. Und sind da, wenn jemand trauert. Auslandspfarrer Martin Gossens findet das nachahmenswert
04.02.2013

Vergangene Woche starb die Mutter eines unserer Schüler an Aids. Umgehend machten sich fast alle Lehrer und Mitarbeiter auf den Weg zur Familie. Wenn jemand stirbt, errichtet die Idir, eine Art Genossenschaft, vor der Hütte ein Trauerzelt, mitunter mitten auf der Straße. Nachbarn und Freunde kommen, setzen sich zu den Hinterbliebenen, teilen schweigend das Leid. Das Alltagsgeschäft ruht und eben auch mal der Unterricht für die etwa 1000 Kinder unserer Gemeindeschule. Ich konnte nicht mitkommen, hatte irgendetwas zu erledigen. Aber was zählt wirklich, wenn ein Mensch stirbt und die Angehörigen Trost brauchen?

Äthiopien gilt als Entwicklungsland, doch im Umgang miteinander sind die Menschen dem Westen voraus. „Wie geht es dir? Was macht deine Frau? Sind die Kinder gesund?“ Mehrmals am Tag werde ich mit freundlichen Grußformeln bestürmt, mitunter von derselben Person. Dazu zwei oder drei Umarmungen – mindestens! Selbst der junge Mann, der mir auf der Straße mit einem schweren ­Jutesack entgegenkommt, lacht mir entwaffnend zu. Das berührt mich nach sieben Jahren immer noch.

Mit gegenseitigem Respekt üben die Menschen auch ihre Religion aus. Knapp 45 Prozent sind orthodoxe Christen, knapp 35 Prozent Muslime. Oft ist die Nacht durchdrungen von leiernden und nicht enden wollenden Gesängen der äthiopisch-orthodoxen Priester. Noch vor der Morgendämmerung löst sie der Muezzin mit seinem kurzen, aber eindringlichen Gebetsruf ab. Gegen sechs Uhr in der Frühe startet die Freikirche nebenan ihr Programm über Lautsprecher. Ein Recht auf Nachtruhe des Einzelnen gibt es nicht, wohl aber die heilige Pflicht, den Höchsten zu ehren und sein Lob hinauszutragen!

 

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