Möglich, dass Stephan Krawczyk überreagiert hat, als er während seines Auftritts in Halle vor versammeltem Publikum den Fotografen verjagte. Sicher ist, dass der Fotograf von Anfang an alles falsch gemacht hat. „Krawczyk wer?“, fragt der schon beim Soundcheck etwas zu schrill und mustert dann kritisch den Herrn in dunklem Anzug und Flipflops, der sich gerade auf der Bühne einrichtet. Krawczyk kümmert’s zunächst kaum. Der Sänger fühlt sich auf der Bühne wie im eigenen Wohnzimmer. Um ihn herum verstreut liegt sein Spielzeug – Gitarren verschiedener Größen, ein abgewetztes Bandoneon, Mikrofone, Metronom, Kabel, Verstärker... Er singt zum Test ein paar Töne und würdigt den vollen Saal nicht mehr als einen im Hintergrund laufenden Fernseher.
„Krawczyk – der Name sagt mir irgendwas“, offenbart der Fotograf derweil seine Grübeleien und rückt seinem potenziellen Zielobjekt auf die Pelle. „Ist das nicht dieser Protestsänger, der damals aus der DDR rübergemacht hat?“ Damals, DDR, Protestsänger: Attribute, die Krawczyk nicht loswird. Nachdem sich der Fotograf die Prominenz des Bühnengastes von unabhängigen Quellen hat bestätigen lassen, spendiert er ihm das erste „Klick“. Krawczyk warnt: „Du wirst schon sehen, was du davon hast.“ Doch der Fotograf wird so bald nicht mit dem Klicken aufhören. Vorläufig lässt der Liedermacher sich das noch gefallen.
Seine Vergangenheit ist für Krawczyk Fluch und Segen zugleich: Die Ereignisse, die ihn zur Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung machten, sind fast ein Vierteljahrhundert her, aber noch immer wird sein Name damit verbunden: Der oppositionelle Thüringer Künstler wird am 17. 1. 1988 von der Stasi verhaftet und reist 16 Tage später in den Westen aus. Halb geschoben, halb geflohen, verlässt er die Heimat unfreiwillig. Eine „Spiegel“-Titelgeschichte macht sein Schicksal im ganzen Land bekannt. Heute ist er dreizehn Bücher, zehn CDs und drei Kinder weiter. Nur die anderen wollen das nicht immer verstehen. Und so kommt er nicht umhin, gelegentlich Ausflüge in die Vergangenheit zu machen.
Im Publikum: Damals, DDR und Widerstand
An diesem Samstag fährt er nach Halle, tritt auf zum 60. Geburtstag eines Freundes, der keiner ist: Lothar Rochau. „Wir kennen uns eigentlich nicht wirklich, aber wir waren beide im Widerstand“, sagt Krawczyk. In ihren Biografien steht: Abschiebung in die BRD. Als die Stasi den Jugenddiakon Rochau 1983 verhaftet, wird Krawczyk in der DDR noch als Staats-Chansonnier hofiert. Erst ab 1985 wird auch er der Regierung zu kritisch, bekommt Berufsverbot und tritt trotzdem auf: in den Kirchen, die sich noch trauen. In jener Zeit wird er zu der Stimme des Widerstands.
An diesem Abend in Halle aber feiern die Festredner Lothar Rochau. Direkt nach der Wende ging Rochau zurück nach Halle, um in der Jugendarbeit dort weiterzuwirken, wo er vor seinem Rausschmiss aufgehört hatte. „Lothar, du hast alles richtig gemacht“, sagt Krawczyk zu Beginn seines Auftritts zum Jubilar. Inzwischen hat er die Flipflops gegen festliches Schuhwerk getauscht.
Im Publikum wimmelt es nur so von Damals, DDR und Widerstand. Auch Roland Jahn ist da, Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen und ein alter Freund Krawczyks. Dass der damals geflohen sei, sagt Jahn, das beschäftige den Krawczyk immer noch mehr, als er zugebe. „Er wollte ja auch nie weg. Das müsste man mal irgendwie aufarbeiten.“ Die DDR aufarbeiten: Das ist die neue Aufgabe der Deutschen, die die Aufarbeitung des Dritten Reichs nahtlos abzulösen scheint.
Das Vatersein - eine "hochpolitische" Aufgabe?
Aber Krawczyk, der Herr Widerstand, macht an diesem Abend den Eindruck, als interessiere ihn seine Stasiakte herzlich wenig. Er singt zwar Lieder über Freiheit, Gott und einmal übers „Wieder stehen“, aber auch über Bratensauce, iPhones und Geschlechtsverkehr. Am innigsten singt er an diesem Abend aber „Mein Sohn hat ein schönes Lachen“, eine musikalische Schwärmerei über die Freuden des Vaterseins.
Bis es wieder „Klick“ macht und Krawczyk mitten im Konzert beschließt, dass es jetzt reicht. „Hör endlich auf, mit deiner Maschine so bedrohlich herumzufuchteln“, blafft er den Fotografen an, der erst verdutzt innehält und sich dann trollt. Vorläufig. Nach dem Auftritt belästigt er Krawczyk noch mal mit einem „Ich mach hier nur meinen Job“. Derweil packt der Herr Protestsänger seinen Anzug in den Kofferraum und schlüpft wieder in seine Flipflops. Er fährt nach Hause. Als auf der Autobahn eine Sirene mit Blaulicht vorbeiheult, hat er wieder das mulmige Gefühl, das die jahrelange Stasiüberwachung ihm in den Bauch gegraben hat. Polizisten bereiten ihm Unbehagen, wohl auf eine ähnliche Art wie Fotografen.
Viel mehr als die DDR interessiert ihn heute das Vatersein. Darin sieht er eine „hochpolitische“ Aufgabe. Er will seinem Sohn Marvin beibringen, was Gut und was Böse ist. Dieser Gegenwart widmet er sich zu Hause, in Berlin, im Neuköllner Garten – einen guten Kilometer weg von da, wo mal die Mauer stand. In 15 Minuten kann er am Maybachufer entlang in den Osten spazieren. Hier lebt der 56-Jährige ohne Fernseher, aber mit iPhone, ohne eigenen Kleiderschrank, aber mit einem riesigen Trampolin für Marvin. Der Garten im Hinterhof gleicht einer Räuberhöhle, mit allerlei gesammelten Schätzen, deren Wert nur Vater und Sohn ermessen können: Tierschädel, Krummsäbel, Salzkristalle. Ein paar Birken rahmen den Abenteuerspielplatz.
Und mit seinem Vatersein entwickelt sich auch seine Kunst, weil das für Krawczyk sowieso eins ist. Seine Bücher heißen Romane, sind aber vielmehr Autobiografien. Er kann nicht anders, als zu schreiben, was er lebt. Mit einer Erzählung über seinen Vater hat er literarisch angefangen, inzwischen schreibt er auch über seinen Sohn – und erzählt auch von dessen Zeugung: wie er spürte, dass die Welt kurz innehielt, um Luft zu holen, und dann seinem Sohn Marvin das Leben einhauchte.
Kleine poetische Protestportionen statt großer politischer Umwälzung
Und Krawczyk, der eigentlich nie Kinder wollte, stellte sich der Verantwortung und entwickelte eine Faszination für das Werden seines Kindes. „Früher war ich ja immer mit meinem eigenen Werden beschäftigt.“ Für einen bereits erwachsenen Sohn war er nicht so viel da. „Junge Künstler sind nun mal egozentrisch.“
Heute glaubt er, dass man Kinder als Menschen ernster nehmen sollte. Und so erzählt er auch in seinem Buch „Mensch Nazi“ vom Weg eines unverstandenen Kindes, das zum Nazi wird. Es ist die Geschichte eines Menschen, der sich ihm anvertraut hatte und dann zurückfand aus dem Hass. „Nazifreie Zone – das ist doch Quatsch“, sagt Krawczyk. Hass mit Ausgrenzung zu begegnen, „das macht es nur noch schlimmer“. Krawczyk will den Nazis ihre Menschlichkeit nicht aberkennen. „Unter dem Hass ist ein Mensch, da können wir uns winden, wie wir wollen. Diesen durch Hass verschütteten Zugang freizuräumen setzt aber ein Interesse voraus, das braucht Zeit und Anstrengung.“ Krawczyk ist überzeugt: „Wenn ich nur genug Zeit investiere, um sein Vertrauen zu gewinnen, könnte ich jeden davon abbringen.“
Der radikale Glaube an das Gute im Menschen macht Krawczyk heute zu einem anderen Widerständler: kleine poetische Protestportionen statt großer politischer Umwälzung. Und das mit der Sanftheit von einem, der nach drei Jahrzehnten Reimen, Schreiben und Singen in seiner Kunst und seinem Leben zu Hause ist. „Das ist ja alles keine Arbeit, das ist mein ursächliches Sein!“ sagt er zum Abschied zwischen einem Stück Wassermelone und einer Zigarette. Er zieht dabei die Schultern hoch, als könne er nichts dafür, dass am Ende seines Tagewerks als Ergebnis meist ein Lied steht. Er will die Menschen erreichen, nicht die Menschheit retten. „Was kann ich tun?“, fragt er und breitet zur Antwort die Arme aus: „So weit, wie meine Hände reichen, so weit kann ich wirken. Mehr als das kann ich nicht tun.“ Möglich, dass dies die Einsicht in die eigene Ohnmacht ist. Oder eine Ermutigung, selbst die Arme auszubreiten.
Stephan Krawczyk sollte stolz sein!
Stephan Krawczyk soll nicht enttäuscht sein, wenn er von manchen Menschen auf die DDR Zeit angesprochen wird, er soll stolz sein, denn uns hat er mit seinen Konzerten immer viel Mut gemacht, gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Kraft hat er uns, unseren Kindern für den Alltag im Betrieb und in den Schulen gegeben. Er kann mit Stolz auf seine Arbeit, sein Leben in der DDR zurück blicken. Natürlich sind 20 Jahre vergangen, wir haben uns alle weiter entwickelt und nun freue ich mich über seine leisen Töne, denn er hat immer noch viel zusagen, er kann viel erreichen, wenn man ihm zu hören will und kann. „Alles hat seine Zeit!“
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