Foto:TransFair e. V. / Santiago Engelhard
Gerechte Preise, fairer Handel, das unterstützt jeder. Theoretisch. Praktisch aber kaufen die deutschen Konsumenten viel zu wenig „Fairtrade“. Das gilt auch für die Kirchen
24.10.2012

chrismon: Frau Brück, fünf Euro gibt jeder Deutsche im Jahr für Fairtrade-Produkte aus. Warum so wenig?

Claudia Brück: Die Konsumenten wollen einerseits gute Produkte kaufen, andererseits greifen doch viele im Supermarkt nach dem Sonderangebot. Anfang des Jahres haben wir in einer Umfrage Konsumenten befragt: „Warum kaufen Sie keine Fairtrade-­Produkte?“ Eine Antwort war: „Ich finde keine. Mein Supermarkt hat sie nicht im Sortiment.“ Hier müssen wir uns stark verbessern. Nur ist es eben schwer, mit den Supermärkten überhaupt eine Zusammenarbeit hinzubekommen.

Ist Fairtrade für Käufer glaubwürdig?

In der gleichen Umfrage sagten knapp 70 Prozent der Befragten, dass sie Fairtrade kennen. Von denen finden über 90 Prozent das Siegel glaubwürdig. Das sind Traumzahlen. Diese Zahlen müssen wir jetzt in Kaufverhalten umsetzen. 
Warum kaufen Niederländer und Schweizer viel mehr Fairtrade-Produkte als Deutsche? Es sind kleinere Märkte. In den Niederlanden heißt Fairtrade nach einer Figur aus der holländischen Literatur „Max Havelaar“. Der Kolonialbeamte Havelaar war ein guter Mensch, jedes Kind kennt die Geschichte. Holland war eine Kolonialmacht, und das Bewusstsein, dass man da noch eine Verantwortung hat, ist hier sehr hoch. In der Schweiz decken zwei Supermarktanbieter, Coop und Migros, über 80 Prozent des Marktes ab. Beide machen bei Fairtrade mit.

Wie kann ich als Käufer sicher sein, dass der Bauer im Erzeugerland von seinen Einnahmen wirklich leben kann?

Mindestens einmal im Jahr wird vor Ort kontrolliert und von einem unabhängigen Kontrollunternehmen zertifiziert. Einmal pro Quartal geben die Produzenten direkt an uns weiter, wie viel sie verkauft, und die Aufkäufer melden, wie viel sie weiterverkauft haben. Wir kontrollieren diese Zahlen, und das Zertifizierungsunternehmen macht sie übersichtlich und die Prozesse transparent: Wie viel Ware wurde von A nach B geschickt, was wurde dafür bezahlt, wie hoch ist die Prämie, wie hoch der ­Mindestpreis und der Bioaufschlag, und was wurde dafür getan? Das alles sichern wir mit dem Fairtrade-Siegel ab, das den Verbrauchern zeigt: Da ist auch wirklich fairer Handel drin.

Der britische Ökonom Marc Sidwell sagt, Fairtrade hindere die Bauern an Innovationen. Es verleite sie, rückständig zu bleiben. Langfristig hätten sie keine Chance auf dem Weltmarkt.

Und wir halten dagegen, dass es auch innerhalb des fairen Handels Wettbewerb gibt. Verschiedene Kooperativen konkurrieren mit ihrem Kaffee untereinander, über 200 verschiedene Lizenznehmer arbeiten mit Fairtrade-Produkten. Ja, wir schützen diesen Markt, weil die Produzenten lernen sollen, wie der Handel überhaupt funktioniert, was gebraucht wird und in welcher Qualität, und wie man den Kaffee am besten verkaufen kann. Wir beraten die Produzenten da. Aber ein schlechter Kaffee lässt sich auch mit einem Fairtrade-Siegel nicht verkaufen. Gerade beim etwas teureren Kaffee muss die Qualität stimmen. Außerdem verkauft kaum eine Kooperative zu 100 Prozent Fairtrade. Fast alle eröffnen sich auch andere Märkte. Das unterstützen wir. Die meisten verkaufen nur 40 bis 50 Prozent über Fairtrade.

Welche Kooperativen arbeiten nur mit Fairtrade?

Wenige. ISMAM zum Beispiel, von denen der Kaffee Orgánico aus Mexiko stammt und die schon lange nur mit der Gepa zusammen arbeiten – die Gepa ist das älteste faire Handelshaus in Deutschland. Aber das ist die Ausnahme.

Ich gehe in einen Discounter und kaufe Schokolade mit dem Fairtrade-Siegel. Wie unterscheidet sich diese Schokolade von einer Gepa-Schokolade, die ich nur in wenigen Supermärkten und in Eine-Welt-Läden bekomme?

Da gibt es keinen Unterschied. Die Gepa handelt natürlich auch mit Produkten, die zu fairen Preisen eingekauft wurden. Sie ­arbeitet mit dem Fairtrade-System und unterstützt die Zertifi­zierung, aber sie kommuniziert es künftig nicht mehr auf den eigenen Produkten. Die Gepa sagt: Die Verbraucher kennen uns. Wir wollen selbst mit unserem guten Namen dafür stehen, dass unsere Produkt fair gehandelt sind – ohne Siegel. Sie hat derzeit nur noch fünf Schokoladen mit unserem Siegel.

Warum tun die das?

Gepa verhält sich da wie Rewe und Pro Planet. All diese Unter­nehmen suchen gerade ihren eigenen Weg, wie sie sich mit dem Thema gerechter Handel positionieren können. Sie wissen alle, dass die Verbraucher nachhaltiger einkaufen und dass sie des­wegen nicht unbedingt mehr dafür bezahlen wollen. Wie also vorgehen? Sie können eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln. Sie können auch Wissen von außerhalb einkaufen oder mit einem bekannten Label auf den Markt gehen.

Was spräche für ein Siegel für alle?

Der Verbraucher versteht es. So sagen es auch alle Verbraucherverbände. Natürlich würden wir es begrüßen, wenn sich mehr Unternehmen unserem Siegel anschließen, statt es zu kopieren. Aber im Lebensmittelmarkt herrscht Wettbewerb, wir können niemanden zu seinem Glück zwingen. Der faire Handel ist nicht staatlich reguliert, jeder kann sich fair nennen. Das ist anders als in der Bioszene. Dort darf sich nur Bio nennen, wer sich an eine einheitliche europäische Richtlinie hält.

Wünschen Sie sich so eine Richtlinie für das Wort „Fair“?

Ich würde das sehr begrüßen. Nur fürchte ich, dass es dann auf den Begriff „nachhaltig“ hinausliefe – und auf eine sehr offene und verwaschene Definition.

Manche Verbraucher lehnen Ihre Strategie, das Label auch an Discounter-Produkte zu vergeben, ab. Sie sagen, so werde sein Profil beschädigt. Was sagen sie denen?

Umfragen ergeben, dass über 90 Prozent aller Deutschen in ­Discountern einkaufen. Viele haben keine Zeit und nehmen deswegen da, wo sie einkaufen, gleich alles mit, was sie brauchen. Wir müssen die Produkte genau dort hinbringen. Wer bisher im Weltladen eingekauft hat, kann das natürlich auch weiterhin tun.

Sie vergeben das Siegel auch an Mischprodukte, die nur zu 20 Prozent aus fair gehandelten Rohstoffen bestehen. Wenn ich Schokolade kaufe, finde ich darauf das Fairtrade-Siegel – aber erfahre nicht, dass vielleicht nur ein geringer Anteil dieses ­Produkts aus dem fairen Handel kommt.

Der Merksatz für Fairtrade-Käufer lautet: Alles was geht, ist Fairtrade. Monoprodukte wie Kaffee, Saft und Wein sind zu hundert Prozent fair gehandelt. Schokolade ist ein Mischprodukt, die Zutaten der Schokolade stehen auf der Verpackung. Kakaobutter, Kakao und Zucker müssen vollständig fair gehandelt sein, also mindes­tens 45, wenn nicht sogar über 60 Prozent des gesamten Schokoladenriegels – sonst vergeben wir das Siegel nicht. Es gibt aber auch Mischprodukte, bei denen der Anteil von fair gehan­delten Rohstoffen noch niedriger liegt. Zum Beispiel bei Keksen: Die bestehen hauptsächlich aus Milch, Eiern und Weizen – alles Rohstoffe aus Europa. Außerdem zu 20 Prozent aus Zucker, der als Einziger auch fair gehandelt wird. Bei so einem Produkt ­reichen diese 20 Prozent Zucker, damit wir das Siegel vergeben.

Nur ein Fünftel vom Keks ist aus dem fairen Handel. Rechtfertigt das ein Siegel?

Ja. Früher gab es kaum eine Möglichkeit, Zucker aus dem fairen Handel zu verkaufen. Kein Hersteller verwendet den teureren Fairtrade-Zucker, wenn er nicht damit werben darf, dass er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten um den fairen Handel bemüht. Heute ist dieser Zucker in vielen Süßwaren drin. In England und Holland gibt es die Mischproduktregelung schon lange. Sie soll ja Fairtrade-Produzenten noch stärker am Markt beteiligen.

Eine Studie vom EED und von Brot für die Welt von 2011 ergab, dass viele Kirchen und kirchennahe Einrichtungen schlechte Abnehmer von Fairtrade-Produkten sind. Woran liegt es?

Viele Einrichtungen haben ihr Catering an Privatunternehmen vergeben. Das Hauptkriterium ist dabei nicht Fairtrade, sondern: Wie geht es am billigsten? In Caritas-Krankenhäusern ist die ­Küche ganz vom Träger abgekoppelt. Aber die Kirchen sollten sich wieder bewusst machen: Sie selbst sind Träger des fairen Handels. Sie selbst haben die Gepa, Brot für die Welt, TransFair und ich weiß nicht wie viele Initiativen gegründet und unterstützt. Nun dürfen sie in ihren eigenen Häusern die Verant­wortung hierfür nicht abgeben.

Wie groß ist das Engagement der Kirchen für Fairtrade?

Ohne die starke Unterstützung der kirchlichen Hilfswerke wäre Trans Fair in den Anfangsjahren nicht so groß geworden. Der Vorstand setzt sich aus Vertretern unserer Mitgliederorganisationen zusammen, also hauptsächlich aus kirchlichen Trägern. Aber ­inzwischen denken die Kirchen, TransFair sei erwachsen ge­worden, die sollen jetzt selber laufen. Was ich auch verstehe.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.