Rolf Oeser
Kulturfaktor Gemeinde – es müssen nicht immer Bachkantaten sein
Im hessischen Oberstedten (Taunus) hat die evangelische Kirchengemeinde das alte Feuerwehrgerätehaus "Alte Wache" gekauft und baut es mit großem Engagement zu einem Kultur- und Begegnungszentrum für alle Generationen um. Die Gemeinde geht neue Wege im Dorf. Auch an der chrismon-Aktion Gemeinde 2012 hat sie teilgenommen.
06.09.2012

Ein "Ort für den Ort … und darüber hinaus" – so lautet das Motto für ein Projekt, das sich die evangelische Kirchengemeinde Oberstedten aufgeladen hat. Aufgeladen? Nun, es ist keine Kleinigkeit, ein leer stehendes Gebäude zu erwerben, es zu einem Haus umzubauen, das der Kirchengemeinde und dem Dorf dienen soll, eine Konzeption zu entwickeln und auch noch die Menschen zu finden, die das Ganze am Laufen halten sollen.

Wie kommt man auf eine solche Idee?

"Der Auslöser für die Idee waren die ungenutzten Parkplätze", erinnert sich Fabian Vogt, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Oberstedten – einem von vier Stadtteilen im hessischen Oberursel (Taunus). Nachdem die Freiwillige Feuerwehr des Ortes ein neues Haus am Ortsrand beziehen konnte, standen die alten Räumlichkeiten leer. Aber das Parkverbotsschild war immer noch da, obwohl schon lange keine Löschzüge mehr von dort ausrückten. "Könnte man die nicht für die Kirchengemeinde nutzen?", fragte sich Vogt, zumal im Kern eines alten Dorfes wie Oberstedten der Parkraum stets knapp ist. Und dann fiel natürlich auch das Gebäude ins Auge. Keiner wollte es haben, abreißen wäre schade gewesen.

Fabian Vogt, der lange Jahre in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) für "kreative Gemeindeentwicklung" zuständig war, konnte hier die Ideen, die er beratend mit anderen Gemeinden entwickelt hat, nun an seinem neuen Arbeitsplatz umsetzen. "Man muss die Augen offen halten, um zu sehen, was die Menschen brauchen", sagt er. Gelernt hat er von der Bewegung der "Emerging Church", die in den USA und England ihren Ursprung hat. "Die bauen nicht zuerst eine Kirche, sondern übernehmen vielleicht den Lebensmittelladen, der von der Schließung bedroht ist."

Was braucht ein Dorf wie Oberstedten?


Und so stellte er die Frage: "Was kann unsere Kirchengemeinde für ihren Ort tun?" Das war in diesem Fall eben der Dorfmittelpunkt mit Café, Veranstaltungsraum und unterschiedlichen kulturellen Angeboten. Denn bisher gibt es in Oberstedten noch nicht einmal ein Café. Zwei Seniorenwohnanlagen befinden sich gegenüber der Alten Wache, aber es fehlt die Möglichkeit, sich auf einen Kaffee zu treffen und bei einem Plausch zusammenzusitzen.

Auch junge Mütter vermissten einen Treffpunkt. Was lag da näher, als dieses in der Ortsmitte gelegene Gebäude als neuen Ortsmittelpunkt auszubauen und zu nutzen?
Aber es war auch ein Wagnis, das die Kirchengemeinde da eingegangen ist. Immerhin waren für Kauf und Umbau der ehemaligen Feuerwache im Ortskern eine dreiviertel Million Euro aufzubringen. Kein leichter Brocken, schließlich ging es nicht nur um Geld, sondern um viel mehr. Dass dieses Projekt nicht ohne enormen ehrenamtlichen Einsatz zu verwirklichen sei, war den Beteiligten von Anfang an klar.

Ohne Ehrenamtliche geht nichts

Und an ehrenamtlichem Engagement fehlt es nicht, obwohl die Gemeinde mit etwas über 2.000 Mitgliedern nicht zu den ganz großen im Kirchengebiet zählt. Doch die Idee weckte offenbar Interesse und zum Teil auch schlummernde Fähigkeiten, die jetzt zum Einsatz kamen. Um dem Ganzen eine sinnvolle Struktur und einen Rahmen zu geben, wurde ein Verein gegründet, der zwar selbstständig agiert, aber an die Kirchengemeinde angebunden ist. Seit seiner Gründung am Reformationstag 2010 hat er sich stetig vergrößert und umfasst jetzt rund 180 Mitglieder, darunter auch den Bürgermeister der Gemeinde Oberursel, Hans-Georg Brum. Dieser sieht die gemeinwesenorientierten Aktivitäten der Kirchengemeinde im Stadtteil Oberstedten mit Wohlwollen. "Ein Kulturzentrum als lebendiger Treffpunkt in der Ortsmitte wird das gesellschaftliche Leben für Jung und Alt im Stadtteil bereichern", davon ist er überzeugt. In einem gemeinsamen Gespräch mit Pfarrer Fabian Vogt sei dieses spannende und wichtige Projekt entstanden, das er nun mit seiner Mitgliedschaft im Verein unterstütze. Dass die Politik ins Boot geholt werden konnte, erleichtert vieles. Wenn es etwa um den Lärmschutz oder Schankgenehmigungen geht oder um die Parkplätze, die im engen Ortsinneren nicht ausreichen, ist vieles im direkten Gespräch zu klären.

Besonders begeistert hat den Pfarrer, dass sich für das Projekt Menschen engagieren, die sonst eher nicht bei kirchlichen Aktivitäten einzusetzen sind. So brachte sich zum Beispiel der Marketingleiter eines großen Unternehmens bei der Organisation der Sponsoren- und Spendersuche ein. "Der würde sicher keinen Kuchen backen." Andere verwirklichen hier etwas, was sie sich schon lange gewünscht haben. Die Vielfalt der Begabungen, die Begegnung mit Menschen aus anderen gesellschaftlichen und beruflichen Zusammenhängen haben auch den Banker Stefan Pohl und seine Frau angezogen. "Wir machen mit, weil wir von der Sache überzeugt sind. Die alte Wache wird dem Dorf Oberstedten eine optische und ideelle Mitte geben, einen Platz, an dem alle sich wohlfühlen sollen", sagt Pohl, der die Öffentlichkeitsarbeit für den Verein verantwortet.

Die Mischung macht’s

Und hier kommt das Konzept ins Spiel. Denn es ist keineswegs nur ein Kaffee in Vereinsträgerschaft, das die Menschen anziehen soll. Im Veranstaltungssaal im Obergeschoss gibt es Kleinkunst vom Kindermusical über Kino, Lesungen und Konzerte bis hin zu Schellack-Partys für die Älteren. Dazu kommen Kurse im Erdgeschoss neben dem Café, die von unterschiedlichen Anbietern aus dem Ort und der näheren Umgebung veranstaltet werden. In einem kleinen Laden werden heimische Produkte "made in Oberstedten" verkauft. In einem Beratungsbüro im Obergeschoss soll sich schließlich ein "Brennpunkt" etablieren, in dem etwa Schuldnerberatung, Beziehungsberatung oder Trauerbegleitung angeboten werden.


Um solch ein Projekt am Laufen zu halten, braucht es starke Persönlichkeiten, die Zuversicht ausstrahlen und "den Mut haben, große Schritte zu tun", sagt Pohl. Vereinsvorsitzende Evelyn Moss ist so eine Person. Sie motiviert nicht nur viele Mitstreiter, sondern managt als Chefin auch das Café. Aber auch Menschen, die zupacken können und praktisch begabt sind, wurden und werden gebraucht. Dieter Fleisch, lange Jahre selbstständiger Malermeister, hatte auf die Ruhe des Rentnerdaseins verzichtet, um – wie er selbst sagt – "mit den Handwerkern zu kämpfen und den Architekten bei Laune zu halten". Er betätigte sich als Bauleiter, der seine Augen überall hatte. Nur drei Monate vor der Eröffnung, als weder Fenster noch Türen, keine Bodenbeläge und keine Installationen zu erkennen waren, sagte er cool: "Alles läuft gut". Dabei war bei vielem durchaus noch nicht klar, wie es im Endeffekt aussehen, welche Einrichtung schließlich die Gäste erwarten würde.

Die einzigen Möbel, die zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden waren, waren die Sitzbänke im Veranstaltungssaal im Obergeschoss. Und die waren zu lang, da nicht auf Maß hergestellt, sondern von der katholischen Nachbargemeinde St. Petrus Canisius "geerbt". Deren Kirche war abgerissen und durch einen 2010 eingeweihten Neubau ersetzt worden war. "Die waren froh, dass sie die alten Bänke loswerden konnten", sagt Fabian Vogt.

Kosten minimieren war nicht nur bei den Bänken angesagt. Auch die übrige Einrichtung, etwa die Küchen- und Thekenzeile für das im Erdgeschoss geplante Café oder die Tische und Stühle für die Gäste galt es, günstig einzukaufen oder Geldgeber zu finden.
Die Begeisterung, die die Mitglieder der ersten Stunde mitbrachten, hat nach den Feststellungen von Stefan Pohl ausgestrahlt. Schnell waren zum Beispiel 50 Personen gefunden, die bereit waren, sich im Cafédienst zu engagieren. Und wenn es erst mal läuft, "werden wir auch die letzten Zweifler einfangen", davon ist Pohl überzeugt.

 

 

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