„Was mich daran hindert, Christin zu sein?“ Pascal von Wroblewsky, Ostberliner Jazz-Sängerin, Jahrgang 1962, muss gar nicht lange nachdenken. „Ich weiß gar nicht, ob mir überhaupt etwas fehlt.“ Vor der EKD-Synode, dem Parlament der Evangelischen Kirche in Deutschland, gibt sie Auskunft über ihre Einstellung zur Religion. Sie sagt: „Religion hat die gleiche Wirkung auf mich wie der Alkohol: Ich bin immun dagegen.“
Von Wroblewsky stammt aus einer ursprünglich jüdischen Familie, doch diese kappte ihre Bindungen an die Gemeinde bereits vor hundert Jahren. Zu DDR-Zeiten war die jüdische Herkunft kein Thema in der Familie. Als Jugendliche geriet sie in den Gottesdienst einer orthodoxen Gemeinde. Das berührte sie stark – mit der einzigen Folge, dass sie Russisch zu lernen begann. Doch dann erlebte sie mit 16 Jahren das, was sie eine „religiöse Krise“ nennt. Sie lernte einen evangelischen Pfarrer kennen und „fast dachte ich, ich müsste mich taufen lassen.“ Doch das gab sich wieder, die Versuchung verstrich. Dass sie nicht religiös ist, erklärt sie sich heute so: „Das Christentum erscheint mir wie eine Sprache, die nie meine Muttersprache sein wird.“
Schon das Wort Mission schillert in allen Farben
Eine ehrliche und kritische Analyse des Missionsthemas hatte sich die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, erhofft. Sie sollte nicht enttäuscht werden von der Arbeit des evangelischen Kirchenparlaments, das in Magdeburg tagte. Im Kundgebungsentwurf steht der Satz: „Die Synode der EKD fragt danach, was dem Glauben an Christus gegenwärtig im Wege steht und was ihn fördert.“ Das Problem dabei: Schon das Wort Mission ist eine schillernde Vokabel. „Mir scheint: In Theologenkreisen ist es mittlerweile ein autoreferentielles Wort geworden“, schrieb Wolfgang Reinbold in der Zeitschrift Pastoraltheologie. „Es hat genau die Bedeutung, die ihm der Autor oder die Autorin jeweils gibt.“
Es gibt ein gesellschaftliches Phänomen, das das Thema Mission auf die Tagesordnung der Synode brachte: Die Besinnung auf die wirklich bereichernden Ziele kommt unter die Räder der Alltagshektik. „Alles muss immer schneller gehen. Wir haben das Tempo verinnerlicht“, schrieb Heiko Ernst in Psychologie Heute compact. Aus Angst, etwas zu verpassen, verschwenden wir Zeit und Aufmerksamkeit mit allerhand Pseudo-Aktualitäten, zu denen man auch einige Talk-Shows und Publikationen zählen darf, die Versatzstücke beliebig aus dem Kosmos der Daten zusammengoogelen. Plausibles Geschwätz nennt das der Psychiater Edward Hallowell, im Kundgebungsentwurf ist die Rede von „geistloser Geschäftigkeit“. Gegen die Besinnungslosigkeit des Alltags hilft zweierlei: die Konzentration aufs Wesentliche und die Pflege der Beziehung zu Menschen, die uns wirklich etwas bedeuten.
Zeit geben für unspektakuläre Entwicklungen
Mit dem Thema Mission hat dies sehr viel zu tun. Die Kirche als ganze steht unter einem „hohen Veränderungsdruck… Immer weniger Leute handeln immer schneller – mit immer weniger Mitteln“ (so ein Kernsatz aus der geplanten „Kundgebung“ der Synode, einer programmatischen Erklärung. Mission, so scheint es, kann dann nicht funktionieren, wenn die Kirchen die Taktzahl der Kommunikation und den Druck auf die Rezipienten erhöhen, sondern indem sie bei den Menschen Zeit lässt für unspektakuläre Entwicklungen, außerdem damit leben lernt, dass Mission auch bruchstückhaft bleibt und es Rückschläge gibt, schließlich: dass man akzeptiert, dass der Glaube der Menschen unverfügbar ist („Bonner Thesen zur Mission“).
Ralf Meister, der hannoversche Bischof, bringt es vor der Synode auf die Formel: „Es geht nun um den schöpferischen Aufstand gegen Leerstände.“ Der württembergische Dekan Volker Teich aus Schorndorf kritisierte am Kundgebungsentwurf gleichwohl eine depressive Grundstimmung und vermisste den Appell und die Verlockung zum christlichen Leben. Was der Vorsitzende des Vorbereitungsausschusses, der hannoversche Bischof Ralf Meister, so nicht stehen lassen wollte. Er hielt gegen: „Wir sind nicht nur fröhlich und werben ohne Unterlass, sondern wir gehen auch selbstkritisch mit uns um. Wir wollten bewusst keinen appellativen Text verfassen – er würde weder der Kirche helfen, noch der Sache dienen.“
Die Menschen suchen Heil und Trost, keine Kopfgeburten
Es gilt besonders geschickt abzuwägen, welchen Ton die Kirche anschlägt. Einerseits gibt es eine „neue Bereitschaft, die Welt und das eigene Leben verantwortlich zu gestalten“, so Oberkirchenrat Thorsten Latzel von der EKD. Andererseits: Die Menschen nehmen die Kirche zunehmend als spirituell kraftlos wahr. Das erfuhr die Wiener Religionssoziologin Ariane Martin in ihren Feldstudien und beschrieb es 2010 in ihrer Dissertation. „Sie sagen, die Pfarrer würden Worte machen, aber diese hätten für sie keine Kraft. Die Predigten erleben sie als „Kopfgeburten“. Sie aber suchen spirituelle Erfahrungen, Gewissheit von innen. Sie wollen weder belehrt noch unterhalten oder einfach nur beschäftigt werden. Mit den Worten des Kundgebungsentwurfs: Die Menschen „suchen Glück, Sinn, Heil, Trost, Segen in ihrer jeweiligen Welt – aber nicht bei Gott, nicht im christlichen Glauben und noch weniger in der Kirche.“
Geht es nun beim Thema Mission darum, die Gefühlssituation der Menschen besonders genau zu analysieren und darauf zu reagieren? Oder um eine neue Konzentration auf die Ziele der Kirche, vielleicht sogar auf neue, nachdrückliche Methoden, sich Gehör zu verschaffen?
Ein Verhaltenskodex gegen die schlimmsten Auswüchse
Mission verändert beide Seiten
Natürlich sollen Menschen Kirchenmitglieder werden beziehungsweise sich stärker am Gemeindeleben beteiligen. Doch dazu bewegt man sie nicht nach dem Sender-Empfänger-Modell: Kirche gibt die Richtung an, die Menschen folgen. Um im Bild zu bleiben: Sender ist heute mal die eine, mal die andere Seite. Durch Mission verändern sich beide Seiten.
Was konkret tun? Nicht weniger und nicht mehr als „die Umkehr der Glaubenden und der Kirche zu Gott“. Einen „fundamentalen Sinneswandel“ fordert die Synode der evangelischen Kirche. Keine Angst vor eigenen Zweifeln, fügt sie hinzu: „Die Kirche ist gerade darin glaubwürdig und interessant, dass sie nicht immer auf alles eine schnelle Antwort hat, sondern sich selbst von Gott verändern lässt. Der Umkehr zu Gott entspricht ein Glaube, der Zweifel bekennt, eine Verkündigung, die theologisch etwas riskiert, und eine Mission, die selbst auf dem Weg ist und lernt.“ O-Ton EKD-Synode: Erforderlich ist eine „offene, lernbereite Begegnung“. Für sich selbst bedeutet das: Kreative Fehlerfreundlichkeit, will sagen: „Unsere Mission tritt ein für eine Gesellschaft, die offen mit Scheitern umgeht, die aus Fehlern lernt und sich immer wieder neu verändert. Sie kritisiert – zuerst bei sich selbst – die Angst, Irrtümer einzugestehen, und die Scheu vor persönlicher Verantwortungsübernahme. Sie fördert demgegenüber einen öffentlichen Diskurs, der Raum für kreatives Querdenken gibt, für individuellen Mut, um Fehler zu machen, und für die Freiheit, um Fehler einzugestehen und sich zu korrigieren“ (Kundgebungsentwurf).
Die hohe Kunst des „befreiten Loslassens“
Und wie soll es inhaltlich bei der Mission zugehen? Das wirft die Kirche das Zauberwort vom „befreienden Loslassen“ in die Diskussion: Wegen der fragwürdigen Schönheit des Zitats aus dem Kundgebungsentwurf hier die ganze Passage: „Zu den zentralen Aufgaben der Kirche am Anfang des 21. Jahrhunderts gehört – paradox formuliert – eine Reduktion auf das Maximum: eine Konzentration als geistlicher Prozess, eine Neuorientierung im Akt des Loslassens. Die Fähigkeit der Kirche zu mutiger Selbstveränderung und Selbstbegrenzung ist ein Glaubenszeugnis an andere.“ Alles klar? Vor der Synode brachte der hannoversche Bischof Ralf Meister es auf die verständlichere Formel: „Erst die befreiende Konzentration, dann die missionarische Aktivität.“
Richtig ist: Wer weniger um sich selbst kreist, hat Kapazitäten frei für andere Menschen.
Aber dann wird es doch sehr paradox: Besinnt sich die Kirche auf sich selbst, wird sie „nicht weniger politisch, aber pointierter“ sein. Sie wird nicht weniger engagiert, aber konzentrierter sein.
Das muss man erst einmal hinbekommen.
P.S.:
Den von der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland verabschiedeten Text der Kundgebung „Was hindert’s, dass ich Christ werde?“ finden Sie hier.
Ev. Kirche braucht neue Reformation!
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