"Christen müssen artig sein. Keine Party, keinen Wein. Ein Bein, das sich zum Tanzen hebt, wird im Himmel abgesägt! " Das hessische Musikerduo Superzwei brachte diesen Songtext auf die Bühne. Die Pointe von den körperfeindlichen Christen zieht noch immer. Ein Zeichen dafür, dass irgendwo im Christentum, wenn auch nicht immer und überall, lust-und körperfeindliche Traditionen überlebt haben? Oder dass nur dieses Vorurteil überlebt hat?
Eduard Kopp
Vielleicht finden manche Christen den freien Umgang mit ihrem Körper tatsächlich schwierig. Der Saarbrücker Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl berichtete - im Blick auf katholische Christen -, dass in Beichtgesprächen am allerhäufigsten die Rede auf verschiedene sexuelle Verfehlungen und körperliche Maßlosigkeiten aller Art kommt. Erst danach folgen bei den Bekenntnissen soziale Sünden aller Art. Möglicherweise ist das ein Spiegel der tatsächlichen Verfehlungen - oder nur der Vermutungen, was Pfarrer hören wollen.
Tempel des Geistes oder Gefängnis der Seele
Der Körper ist ein großes Thema in den und außerhalb der Kirchen. Ärzte, Zeitschriftenverlage, Fitnesszentren verdienen heute ein Heidengeld damit, Menschen ihrem Idealkörper näher zu bringen. Die Kirchen sind besonders motiviert, zu einem positiven Körperverständnis beizutragen: Seit Anfangszeiten gilt die Aufforderung des Paulus: "Wisst ihr denn nicht", schreibt er, "dass euer Körper der Tempel des heiligen Geistes ist?" (1. Korintherbrief 6,19)
Die griechischen Denker haben dem Körper eine andere Rolle zugewiesen. Dem Philosophen Platon zum Beispiel galt der Körper als Gefängnis der Seele. Diese Seele als das Eigentliche, Wesentliche war physisch , sinnlich nicht fassbar. Im ursprünglichen, biblischen Christentum hat es solch eine Trennung nicht gegeben. Eine der schönsten Körper-Geschichten im Neuen Testament ist die von einer Frau, die Jesus unerwartet mit einem teuren Salböl übergoss, und er ließ es sich gern gefallen.
Der nordafrikanische Kirchenvater Augustinus (354-430) hatte sich nach Jahren eines losen Lebenswandels für längere Zeit als Mönch zu Arbeit und Gebet aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine asketische Lebensweise, später auch die der Mönchsorden und die Ehelosigkeit des Klerus könnten manche Christen beeinflusst haben, denen der eigene Körper eher im Wege steht.
Die evangelische Kirche hingegen kennt keine Zölibatspflicht für Geistliche und keine Keuschheitspflicht für Mönche - sofern man im Blick auf die evangelischen Kommunitäten überhaupt von Mönchsgemeinschaften sprechen will. Freiwilligkeit wird in der evangelischen Kirche großgeschrieben. Zugleich ist die in der Reformation wiederentdeckte Freiheit der Christen auch eine Rückkehr zu den biblischen Prinzipien der Lebensbejahung.
Heil, ganz, Wohlfühlen und erfülltes Sexualleben
Warum ist das Christentum geradezu eine körperliche Religion? Das hängt schon mit seiner Entstehungsgeschichte zusammen. Im Zentrum des Glaubens steht ein Gott, der Mensch geworden ist, theologisch gesprochen: inkarniert wurde, "Fleisch wurde". Anders als im Islam, wo sich Gott nur über seine Propheten Gehör verschafft, begibt sich der Gott des Christentums in der Person Jesu in die Welt. Er ist fähig zu Freude und Leid, zu Lust und Schmerz, Liebe und Angst. Er lacht und weint. Er hat Hunger. Er ist verzweifelt. Er stirbt unter Qualen. Er lebt das ganze volle Leben mit seinen Licht-und Schattenseiten.
Dass das Christentum eine körperliche Religion ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in ihm neben der Seel-Sorge auch die Körper-Sorge großgeschrieben wird: Arme erhalten Unterstützung, Kranke Pflege, Alte wer den betreut, Tote begraben. Gerade wenn es um die Bedürftigkeit des Menschen geht, sprechen Theologen auch vom Leib des Menschen: Der Leib ist es, der oft alle Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient. Er ist, wie die Theologin Theresia Heimerl schreibt, "das theologisch korrekte Gegenstück zum Hochglanz-Körper der Medienwelt: heil, ganz, Wohlfühlen und erfülltes Sexualleben versprechend".
Am ehesten kann man das Körpergefühl der Christen so beschreiben: Weder folgen sie plakativen Idealen, noch lassen sie sich durch etliche rigide Normen einschränken. Sie betrachten den Körper als ein Geschenk, mit dem sie bedacht umgehen.