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„Vergiss die Welt da draußen. Sie zählt nicht mehr,« sagt der Schwiegervater zu Oum Yazan (Hiam Abbass), als sie einen Moment lang am Fenster verweilt und auf den tristen Parkplatz vor dem Haus blickt. Die Außenwelt ist in „Innen Leben“ bildlich verschwunden. Es existiert nur noch das Innere der kleinen Wohnung, in der neun Menschen Zuflucht vor den Kriegsgräueln gefunden haben, aber dennoch in ständiger Angst leben müssen. Nur einmal wird die Kamera im Laufe des Films die ebenso schützenden wie beklemmenden Wände des Appartements verlassen. „Innen Leben“ ist ein Kriegsfilm im extremen Close-Up.
Die Schicksalsgemeinschaft im Zentrum des Films besteht aus der resoluten Hausherrin Oum Yazan und ihren Kindern, dem Dienstmädchen Delhani sowie dem junge Paar Halima (Diamand Bou Abboud) und Samir, die mit ihrem Baby in Richtung Libanon fliehen wollen. Als Samir am Morgen jedoch das Haus noch einmal verlässt, wird er direkt vor der Haustür von einem Scharfschützen erschossen. Nur Delhani hat die grauenvolle Szene beobachtet – soll sie es der jungen Ehefrau mitteilen? Oum Yazan untersagt es ihr sofort, fürchtet sie doch eine emotionale Überreaktion Halimas, welche die gesamte Gruppe gefährden könnte. Aber was, wenn Samir noch lebt?
Aufgebaut um diesem erschütternden moralischen Zwiespalt erinnert der Film des belgischen Regisseurs Philippe van Leeuw an die psychologischen Gratwanderungen des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi (Goldener Bär der Berlinale für „Nader und Simin“); wo Farhadi aber meist Distanz zu seinen Figuren aufbaut, bleibt van Leeuw entsprechend des Kammerspielcharakters seines Films ständig ganz nah dran. Oft folgt die Kamera den Protagonisten durch die Flure der Wohnung, als wolle der Film sie für keine Sekunde aus den Augen lassen. Als das Grauen des Krieges schließlich mit fürchterlichen Konsequenzen in die vermeintlich sicheren vier Wände schwappt, durchbricht es diese sorgfältig aufgebaute Raumkonstruktion umso drastischer.
Dazu trägt auch das detailreiche Setdesign bei: Eine Quietscheente im Bad, Band- und Filmplakate im Jugendzimmer erinnern an ein vormals bürgerliches Leben, das nun in Trümmern liegt. Die Normalität, die solche Überreste einer friedlicheren Vergangenheit noch ausstrahlen, wird kontinuierlich vom extrem effektiven Sounddesign negiert: Gebannt folgen die Eingeschlossenen den Klängen der Explosionen und Schüsse von draußen, versuchen einzuschätzen, wie nah oder fern die Gefahr sich gerade befindet. In diesen Momenten wird auch deutlich, wie perfekt „Innen Leben“ bis hin zu den jugendlichen Nebenrollen besetzt ist; allen voran aber überzeugen die beiden Hauptdarstellerinnen Hiam Abbass und Diamand Bou Abboud, die im letzten Drittel des Films bis an ihre Grenzen gehen.
Belgien/Frankreich/Libanon 2017. Regie und Buch: Philippe Van Leeuw. Mit: Hiam Abbass, Diamand Abou Abboud, Juliette Navis, Mohsen Abbas, Moustapha Al Kar. Länge: 85 Minuten. FSK: ab 12 Jahren. Ab 22. Juni