Projekt - Allein, nicht einsam
Projekt - Allein, nicht einsam
Serdar Kiling
Allein, aber nicht einsam
Wer sein Kind ohne Partner erzieht, leistet doppelt so viel. Und braucht Unterstützung
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
29.05.2019

Manche Menschen sind einsam, weil sie niemanden haben, der sie braucht. Francesca De Paola aber war einsam, weil sie jemanden hatte, der sie rund um die Uhr brauchte: Ihre Tochter Benigna, die sie allein erzieht, seit diese zwei war. Oft kam die gelernte Industriekauffrau kaum aus dem Haus. Zwischen Trotzanfällen, fieberhaften Infekten, Unterhaltsanträgen und Kita-Suche war für Freunde schlicht keine Zeit. "Irgendwann fiel mir auf: Jetzt hast du zwei Wochen lang mit keinem Erwachsenen kommuniziert."

Mama, warum ist der Papa weg?

Vier Jahre ist die Trennung von ihrem Mann her – und so lange hat die 38-jährige Wittenerin gebraucht, um ­wieder Stabilität in ihr Leben zu bringen. Sie glaubt: Es wäre schneller gegangen, hätte sie das Eltern­training "wir2" nicht erst vor einem Jahr entdeckt. Allein­erziehende treffen sich über ein halbes Jahr wöchentlich in einer angeleiteten Kleingruppe. Sie lernen, wie sie Fünfjährigen erklären, warum der Papa weg ist; wie eine Mutter-Kind-­Massage Ruhe in den Abend bringt; und vor allem: dass sie mit vielen Problemen nicht allein sind und einander helfen können.

Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff

Hanna Lucassen

Hanna Lucassen ergründet das Miteinander. Sie war Krankenschwester, studierte Soziologie, arbeitet heute als freie Journalistin in Frankfurt und leitet ein diakonisches Projekt gegen Einsamkeit im Alter. In chrismon bloggte sie unter dem Titel Pflegeleicht. Für den Fastenkalender von 7 Wochen Ohne sucht sie nach schönen Texten.

Francesca De Paola hätte diese Unterstützung oft brauchen können. Ihr befristeter Arbeitsvertrag wurde nicht verlängert, vermutlich, weil sie nicht flexibel genug war. Ihre Tochter war oft unruhig, ängstlich, konnte nicht gut schlafen. Zu Benignas Vater gab es kaum Kontakt. Einen Vollzeitjob musste sie ­wegen der Kita-Zeiten wieder aufgeben, in Teilzeit fand sie nichts. Schließlich bezog sie Hartz 4 wie fast 40 Prozent der ­etwa 1,6 ­Millionen Alleinerziehenden in Deutschland. Und kämpfte monatelang dafür, in der Wohnung bleiben zu können, die jetzt als zu teuer galt.

Die Sauerstoffmaske

Man weiß: Wenn Eltern am Limit sind, kommen die Kinder zu kurz. "Im Dauer­stress oder in depressiven Phasen sinkt die Fähigkeit, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen – zuerst die eigenen und dann die der Kinder", sagt Matthias Franz, Psychosomatikprofessor und Psychoanalytiker an der Uniklinik Düsseldorf, der das "wir2"-Programm ent­wickelte und wissenschaftlich begleitet. Immer wieder geht es deshalb um die Frage: Was fühle ich eigentlich?

"Das hatte ich mich schon ewig nicht mehr gefragt", sagt De Paola. Als sie das Programm mitmachte, war endlich ein bisschen Ruhe eingekehrt: Sie hatte begonnen, Soziale Arbeit zu studieren – mithilfe von Bafög und einem Stipendium –, und ging nebenher putzen. Den Kurs aber fand sie so toll, dass sie sich danach zur Leiterin ausbilden ließ und jetzt ihre erste Gruppe betreut. Damit andere schneller aus der Krise kommen als sie selbst, sagt sie. Ihre Botschaft: "Wenn im Flugzeug die Sauerstoffmaske herunterfällt, muss ich sie mir erstmal selber aufsetzen. Sonst kann ich auch meinem Kind nicht helfen."

Infobox

Wir2 Bindungstraining

Die Kurse von Wir2 – Bindungstraining 
für Alleinerziehende sind kostenlos und werden zurzeit in 27 verschiedenen ­Städten angeboten und finden dort zum Beispiel in Familienzentren, Kindertagesstätten oder Jugendämtern statt.

Informationen:
Walter Blüchert Stiftung
wir2 Bindungstraining
Eickhoffstraße 5
33330 Gütersloh
Tel.: 05241/17949-17
info@walter-bluechert-stiftung.de
www.walter-bluechert-stiftung.de

Hier gibt´s Informationen für Alleinerziehende, die an einem  Kurs teilnehmen wollen.

Hier gibt´s Informationen für Kommunen oder Institutionen, die einen Kurs bei sich anbieten wollen.

 

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