Bei der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche geht es voran, aber langsam. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschäftigte sich auch auf ihrer Tagung 2025 mit dem Thema. Seit 2021 legt das sogenannte Beteiligtenforum (Befo) bei jeder Synodentagung einen Bericht vor, wie man vorankommt. Im Befo verhandeln Betroffene mit Kirchenvertretern und -vertreterinnen über alle Themen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche.
Schon bevor die Mitglieder des Befo ihren Bericht vortrugen, stimmte die morgendliche Andacht die Synodalen auf das Thema ein. Die Andacht wurde von vier Betroffenen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche gestaltet. Abwechselnd verlasen sie kurze, eindringliche Texte, die Aussagen betroffener Menschen innerhalb der Kirche wiedergaben. "In der Kirche ist Gott nicht spürbar" hieß es da und: "Seht die Tränen in ihren Augen, solange sie noch weinen können".
"Solange sie noch weinen können" muss man ganz wörtlich verstehen. "Während wir ringen, werden die Menschen älter, manchen verlieren die Kraft, manche die Hoffnung", sagte Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenenvertreter im Befo. Für die Betroffenen vergehe die Zeit nicht einfach nur, sondern "Zeit zerstört", weil Betroffene sterben, ohne dass sie durch Anerkennung ihres Leids ihre Würde zumindest ein Stück weit zurückbekommen haben. Janz‘ Bericht war ein kraftvoller Appell, bei den Anstrengungen, sexualisierte Gewalt aufzuarbeiten, nicht nachzulassen, sondern weiter voranzutreiben.
Das gelingt nicht überall. Im Frühjahr 2025 einigten sich die Vertreter und Vertreterinnen der Kirche und die Betroffenen zwar auf eine Regelung zur Entschädigung sexualisierter Gewalt, die zum 1. Januar 2026 flächendeckend in allen evangelischen Landeskirchen in Kraft treten soll. Noch ist nicht klar, ob das zu schaffen ist – viel Zeit bleibt nicht mehr.
Die Richtlinie legt fest, wie Menschen, die in einer Kirchengemeinde oder in diakonischen Einrichtungen Gewalt erfahren haben, Entschädigungen erhalten. Sie soll verhindern, dass die einzelnen Landeskirchen und diakonischen Einrichtungen die Zahlungen nach eigenem Gutdünken regeln. Es geht darum, einen föderalen Flickenteppich zu verhindern.
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In allen Fällen, die nach strafrechtlichen Maßstäben relevant sind, soll grundsätzlich ein Pauschalbetrag von 15 000 Euro als Entschädigungsleistung gezahlt werden. Die 15 000 Euro stellen jedoch nur eine Mindestsumme dar. Dazu sollen individuelle Zahlungen kommen können, die auch deutlich höher ausfallen können. Eine Obergrenze gibt es nicht.
Zwar ist die Richtlinie von allen involvierten Gremien beschlossen worden, sie muss aber noch umgesetzt werden. Das sei noch nicht in allen Landeskirchen und diakonischen Einrichtungen geschehen, berichten die Befo-Sprecherinnen. Die EKD-Synode kann das nicht erzwingen, sie ist eine Dachorganisation der 20 Landeskirchen und kann lediglich den Druck erhöhen – was laut Nancy Janz und der Pfälzer Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, die kirchliche Sprecherin des Befo ist, auch versucht wird.
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In der anschließenden Pressekonferenz wurden die beiden gefragt, woran es hake. Offenbar sind die zuständigen regionalen Gremien, die über die Zahlungen entscheiden sollen, zwar fast überall gebildet, aber noch nicht überall zusammengekommen, um zu arbeiten. Woran das liegt, blieb unklar.
Auf den Tagungen der EKD-Synode 2024 und 2023 ging es hoch her, was das Thema sexualisierte Gewalt angeht (2023 kämpfte die damalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus mit Vorwürfen, kurze Zeit später trat sie zurück), blieb es dieses Mal insgesamt erstaunlich ruhig. Der Bericht und die anschließende Aussprache wirkten teilweise routiniert und wenig emotional.
Das könnte man kritisieren und fragen, ob die Synodalen dem Thema weiterhin die gebotene Aufmerksamkeit zuwenden. Empathie alleine hilft aber auch nicht weiter. Sie habe schon zu oft erlebt, dass Mitgefühl und Betroffenheit gezeigt wurden, dann sei aber nichts geschehen, sagte Nancy Janz. "Mitgefühl darf nicht an die Stelle von Verantwortung treten."
Es muss gehandelt werden, es darf nicht geschwiegen und weggeschaut werden. Bei den Synodalen der EKD scheint dieser Appell angekommen zu sein. Ob das auch für die letztlich zuständigen Landeskirchen und diakonischen Einrichtungen gilt, muss sich zeigen.



