Sexualisierte Gewalt in der Kirche
"Meine Stimme wird unverändert laut sein"
Detlev Zander lässt sein Amt als Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche ruhen. Was die Gründe dafür sind und wie es weitergeht, erläutert er im Interview
Portrait Detlev Zander
Detlev Zander hat als Kind sexualisierte Gewalt in einem Kinderheim erlebt und kämpft für die Aufarbeitung.
Jens Schulze/epd-bild
Redakteurin beim Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main (Foto vom 09.06.2020).Heike Lyding/epd
25.09.2025
4Min

Die evangelische Kirche hat in den vergangenen Jahren verschiedene Wege ausprobiert, um die Fälle sexualisierter Gewalt, die in ihrem Bereich passiert sind, aufzuarbeiten. Seit 2022 gibt es dafür das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie. Dieses Forum ist momentan das zentrale Arbeitsgremium der evangelischen Kirche, in dem alle Fragen zu sexualisierter Gewalt von den sechs Betroffenenvertreter*innen und den sieben kirchlichen Beauftragten gemeinsam bearbeitet werden. Detlev Zander war Sprecher der Betroffenen in diesem Gremium.

Herr Zander, uns erreichte die Mitteilung, dass Sie Ihr Sprecheramt in der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD ruhen lassen. Was ist der Hintergrund?

Detlev Zander: Hintergrund sind unterschiedliche Auffassungen darüber, was Aufarbeitung ist und wie man sie vorantreibt. Diese Unklarheit besteht einerseits in der EKD und in der Diakonie, aber eben auch unter uns Betroffenen, die wir im Beteiligungsforum mitarbeiten. Ich will deutlich sagen, dass viele in der Betroffenenvertretung zur Kirche - ob privat, beruflich oder theologisch - eine ganz andere Verbindung haben als ich. Nach meinen Erfahrungen möchte ich mit Kirche und Theologie eigentlich nichts mehr zu tun haben. Das trifft manchmal auf Unverständnis.

Ein unabhaengiges Forscherteam veroeffentlicht am 25.01.2024, an der Universitaet Hannover eine Studie ueber sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche. Es ist die erste bundesweite Studie dieser Art. Sie wurde vom interdisziplinaeren Forschungsverbund "ForuM - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland" erstellt. Im Foto vom 25.01.2024: Detlev Zander (Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes und Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD). (Siehe epd-Meldungen vom 25.01.2024)Jens Schulze/epd-bild

Detlev Zander

Detlev Zander ist Mitglied in der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD. Er hat als Kind und Jugendlicher über zehn Jahre lang sexualisierte Gewalt in einem Kinderheim der Brüdergemeinde im schwäbischen Korntal erlitten und setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung der Gewalt ein. Über seine Erfahrungen in Korntal hat er das Buch veröffentlicht "Und Gott schaut weg: Die Geschichte des Dieter Z. Ein Kind in der Hölle".

Worauf führen Sie die entstandenen Spannungen zurück?

Die Spannungen sind auch darauf zurückzuführen, dass ich mich nach innen und außen klar politisch zur Aufarbeitungspraxis äußere. Seit mehr als zehn Jahren spreche ich öffentlich über Missbrauch und fordere Aufarbeitung und Konsequenzen. Schon als Kind in der Brüdergemeinde in Korntal, wo der Missbrauch passierte, wurde ich zum Schweigen gebracht. Als ich an die Öffentlichkeit ging und den Aufarbeitungsprozess angestoßen habe, wollte man mich wieder mundtot machen. Und jetzt schweige ich nicht mehr.

Wie wird Ihre Rolle im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in Zukunft sein?

Ich lasse mein Amt als Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum ruhen, um die aktuellen Spannungen nicht weiter zu eskalieren. Ich möchte unsere inhaltliche Arbeit schützen. Das bedeutet aber nicht, dass ich zurücktrete. Ich arbeite inhaltlich und politisch weiter. Und meine Stimme wird unverändert laut und hörbar sein. Ich habe überlegt, ob ich das Beteiligungsforum verlasse. Aber ich empfinde eine Verantwortung für die nächste Generation. Ich will, dass kein Kind mehr aus einer Institution kommt mit so einer Hypothek, wie ich sie immer noch zu tragen habe.

Wie erleben Sie die Atmosphäre derzeit im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt?

Wir sprechen seit drei Jahren im Beteiligungsforum über Kommunikation und kommen keinen Schritt weiter. Das zeigt ja auch, dass die Veränderung in der Betroffenenvertretung in einem Statement auf der Internetseite veröffentlicht wurde. Wir müssen viel mehr kommunizieren nach außen, was wir erreicht haben. Ich nenne als Beispiel die Anerkennungsrichtlinie, mit der wir Gerechtigkeit für die Betroffenen herstellen wollen. Ohne die Vielstimmigkeit und die verschiedenen Persönlichkeiten hätten wir das nicht geschafft. Ich habe in den vergangenen Tagen auch gehört, dass ich unheimlich gebraucht werde. Andererseits wurde auch über meine Person diskutiert. Ich werde oft auch als schwierig und unbequem hingestellt. Da sage ich ganz klar, meine Person ist nicht verhandelbar. Ich werde mich nicht ändern.

"Wenn wir immer in der Vergangenheit harren, dann bleibe ich der Betroffene"

Detlev Zander

Wenn Sie sagen, Sie wurden als "schwierig" hingestellt, erinnert mich das an die evangelische Missbrauchsstudie, die ForuM-Studie, die im Januar vergangenen Jahres vorgestellt wurde

Wenn ich die Studie lese, erkenne ich mich darin. Genauso wird oft mit kritischen Betroffenen umgegangen. Dabei ist es doch meine Aufgabe, unbequem zu sein und unbequeme Dinge anzusprechen. Es geht darum, dass wir gemeinsam Rahmenbedingungen schaffen, dass es Veränderungen gibt und vor allem, dass auch die Kirche eine Zukunft hat. Aufarbeitung heißt ja nicht nur, in die Vergangenheit zu schauen, sondern Aufarbeitung heißt für mich auch, in die Zukunft zu schauen. Wenn wir immer in der Vergangenheit harren, dann bleibe ich der Betroffene. Dann bleibe ich der, der so viel mitgemacht hat. Wenn ich nur auf meine Betroffenheit reduziert werde, ist das eine Strategie, um von der institutionellen Aufarbeitung abzulenken. Es gibt Probleme bei der Aufarbeitung, und die müssen wir ansprechen.

Welche Probleme gibt es?

Vieles wird beschönigt, aber es läuft nicht alles gut. Beispielsweise bei der Arbeit der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen gibt es in Württemberg Probleme bei der Betroffenenvertretung. Auch in Niedersachsen gibt es noch keine funktionierende Kommission. Wenn wir dann über das Thema Machtmissbrauch sprechen - das ja auch auf der EKD-Synode im November Thema sein soll - meinen viele immer sexualisierte Gewalt, meistens natürlich durch Männer. Aber Machtmissbrauch findet überall statt, im Büro und auch im Beteiligungsforum. Auch - und das hört sich schlimm an - unter uns Betroffenen, wenn beispielsweise nicht offen über Probleme kommuniziert wird. Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir Konflikte viel früher ansprechen.

Haben Sie selbst auch Fehler gemacht, die Sie in Zukunft abstellen möchten?

Ich muss auch bei mir schauen, wie ich insgesamt besser kommunizieren kann. Ich habe nun mal den Vorteil, dass ich alleinstehend bin. Ich habe Zeit, ich kann mich in viele Themen reinfuchsen. Da fühlen sich vielleicht manche dann nicht mitgenommen. Ich möchte besser begründen, warum ich Dinge so mache. Und ich möchte Menschen versuchen, die Angst zu nehmen, wenn es auch mal härter und ernster wird. Aufarbeitung ist eine knallharte Knochenarbeit für alle.

Welche Unterstützung für das Beteiligungsforum wünschen Sie sich in Zukunft?

Neben der Moderation brauchen wir eine unabhängige Prozessbegleitung für die Betroffenen. Außerdem dauerhaft juristische Beratung, sonst entsteht ein Ungleichgewicht - wir sitzen Kirchenjuristen gegenüber, die uns mit Informationen überhäufen. Und: Aufarbeitung ist eine Haltungsfrage. Ich will nicht immer hören, wir müssten sparen. Es geht um Menschen, die schlimmste Gewalt erlebt haben. Ihnen sind wir etwas schuldig.

Das Gespräch führte der Evangelische Pressedienst (epd).

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