Hommage an die Großmutter
Ich bin wie du, Oma Emmy
Alleinunterhalterin. Eine Frau mit Haltung. Und mit Herz! Für die Fotografin Lena Wöhler, heute 38, war ihre Oma noch weit mehr als das – sie war Vorbild und Zuhause
Lena Uphoff
05.12.2025
4Min

Das Tattoo auf meiner rechten Hand hat meine Oma entworfen: ein Herz, nicht perfekt, aber mit kräftigem Strich. Ich wollte etwas haben, das von ihr bleibt – dabei hatte ich längst so viel von ihr in mir. Vieles, was sie mir beibrachte, konnte ich ihr später zurückgeben.

Emmy wurde 1931 im ostwestfälischen Blomberg geboren. Sie machte eine Lehre im Stoffladen, mit 16 lernte sie ­meinen Opa Helmut bei einer Tanzveranstaltung kennen. Sie bekam Nasenbluten, er reichte ihr ein Taschentuch, das er auf seine Schulter legte, so musste der Tanz nicht unterbrochen werden. Das imponierte ihr.

Da war noch ein Bewerber, Rudi, der viele Jahre später nach dem Tod meines Opas zu ihrem festen Freund wurde. Aber für meine Oma war immer klar: Helmut ist ihr Mann. Sie sprach immer voller Respekt über ihren Ehemann. Respekt ist mir auch wichtig. Sowie Loyalität und Verlässlichkeit.

Das Tanzen, die Partys, das habe ich auch von ihr. In der Familie sprechen wir von einem Familien-Gen, das eine dazu befähigt, beim Zocken zu gewinnen und als Allein­unterhalterin zu fungieren.

Aber Oma war auch eine echte Hausfrau und Oma. Pünktlich um zwölf Uhr stand das Mittagessen auf dem Tisch. Bis 15 Uhr Mittagsruhe. Oma gab meinem Leben, das durch die Scheidung meiner Eltern manchmal unruhig war, eine Struktur.

Als ich mein Outing als lesbische Frau hatte, sagte sie erst bedacht: "Ich versteh es nicht ganz, Lena." Dann erinnerte sie sich an einen "Gala"-Artikel über Kerstin Ott: "Deren Braut trug so ein wunderschönes Hochzeitskleid." Später hat sie meine Frauen immer herzlich empfangen.

Während ich in die Welt hinauszog – Australien, Hongkong, Norderney –, baute sie körperlich ab. Ich schrieb ihr Postkarten von überallher. Im Sommer 2024 haben wir unseren letzten kleinen Ausflug gemacht. Kurz darauf starb sie. Ich schreibe ihr immer noch Postkarten und Briefe, mein Vater hat dafür einen Briefkasten auf ihr Grab gestellt. Und als ich vor ein paar Wochen meine Frau Caro geheiratet habe, war klar, wo der Brautstrauß gut aufgehoben sein wird. Auf dem Grab von Oma Emmy.

Sportskanone: Im Winter fuhr sie nach Oberstdorf zum Skifahren und Langlauf, später zog es sie in die Berge zum Wandern. Auch Turnen war ein fester Bestandteil ihres Lebens, bis Mitte 80. Sie war nie lange allein – Freundschaften entstanden überall. Davon zeugen noch heute zahllose Postkarten und Briefe aus den letzten Jahrzehnten.

Kegelschwester: Bier aus der Flasche, aber ordentlich ­ondulierte Haare: Oma war ein bisschen anders als die ­Durchschnittshausfrau in den 70er Jahren. Anders sein, das mag ich.

Struktur: Mein Leben als Kind war oft chaotisch. Meine Eltern hatten sich früh scheiden lassen. Bei meiner Oma ­dagegen war alles klar und strukturiert: Punkt zwölf gab es Mittagessen, danach war Mittagspause bis 15 Uhr. So lange durfte ich fernsehen – und manchmal an die Schokorosinen in der Wohnzimmeranrichte.

Interesse: Meine Oma wollte immer mitkriegen, was in der Welt los war. Die Zeitung war ihr Fenster nach draußen – und Pflichtlektüre am Morgen. Besonders gern las sie, wenn einer ihrer drei Söhne erwähnt wurde: zwei Anwälte und ein Bauunternehmer, die mit ihrer Arbeit regel­mäßig in der Zeitung standen. Wurde ausgeschnitten und ab­geheftet. Auch die Todesanzeigen waren eine beliebte und ­feste Rubrik – man muss ja wissen, wer alles nicht mehr da ist. Fast wie Social Media heute.

Sparsamkeit: Selbermachen gehörte bei meiner Oma immer dazu. Strumpfhosen wusch man natürlich per Hand. Von ihr habe ich gelernt, dass Nachhaltigkeit nichts mit Trend zu tun hat, sondern mit Haltung.

Frauensachen: Ich konnte sie gut duschen und ­eincremen. Das hat sie genossen. Vielleicht, weil wir zwei schon früh über Frauensachen gesprochen haben, auch über Körperliches. Dass ihre Kinder, es gab ja noch keine Verhütungsmittel, nicht alle so geplant waren. Dass sie dem Rudi das Zungenküssen beigebracht hat. Das kannte der gar nicht. Emmy und ich, wir hatten keine Scheu vor intimen Themen.

Nähe: Irgendwann blieb nur noch das Altersheim. Wenn ich sie besuchte, brachte ich Musik mit – eine Playlist mit Liedern aus ihrer Zeit. Bei Peter Alexander oder Howard Carpendale begann sie zu summen, manchmal sogar mitzusingen. Ich kam, sooft ich konnte, legte mich zu ihr ins Bett. Wir genossen diese stillen, vertrauten Momente.

Abenteuer: Ein paar Tage vor ihrem Tod, im Sommer 2024, wollte sie raus. Eigentlich durfte man nur im Park des Altenheims spazieren gehen, aber sie sagte: "Ich will weiter." Wir haben ihr den Hut aufgesetzt und die schicke Bluse angezogen. Und waren noch einmal in der Stadt, in der sie über 70 Jahre gewohnt hat. Sie blühte auf und aß ein Eis, obwohl ihr Magen fast nichts mehr behielt. Das war unser letztes Abenteuer.

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