Mario Hackenbroich mit seinem Hund Amigo
Mario Hackenbroich, 45, mit Amigo. Seit er den Hund hat, weiß er, warum er morgens aufsteht
Magdalena Maria Stengel
Haustier als Therapie
Der Hund zieht ihn ins Leben rein
Endlich weiß er, warum er morgens aufstehen soll. Und seine Angst vor anderen Menschen schwindet. Nach traumatischer Kindheit und diversen Therapien ist der riesige, anschmiegsame Hund nun seine allerbeste Hilfe
18.10.2025
3Min

Mario Hackenbroich (Jahrgang 1980):

Als Amigo zum ersten Mal in meine ­Wohnung kam, schleckte er mir gleich das Gesicht ab, offenbar mochte er mich. Eine Freundin hatte ihn mir vorbeigebracht, er war noch ein Welpe, ein halbes Jahr alt und wenig erzogen. Sie selbst ­hatte eine Hündin, das war Amigos Mutter. Sie fragte, ob ich ihn behalten wolle. Amigo ist ein Cane Corso und heute riesengroß, er geht mir fast bis zur Hüfte. Eigentlich traute ich mir die Verantwortung nicht zu, regelmäßig rausgehen, für Essen sorgen, aber ich sagte zu. Ich konnte nicht widerstehen, weil Amigo so anschmiegsam war, mit seinen Vorderpfoten hat er mich fast umarmt. Ich hatte lange nicht erlebt, dass ein Lebewesen so zärtlich mit mir war.

In der ersten Nacht war Amigo sehr aufgeregt. Er hat in die Wohnung gepinkelt und gekackt, das war nicht so schön. Ich bin dann nachts mehrmals mit ihm rausgegangen, es hat sogar geschneit, das war richtig romantisch. Am nächs­ten Morgen war er dann deutlich ruhiger.

Seit Amigo da ist, weiß ich, warum ich morgens aufstehen soll. Früher bin ich oft versackt, habe bis zum Nachmittag geschlafen und dann bis zum frühen Morgen Fernsehen geguckt. Ich bin kaum rausgegangen, ich hatte Angst vor den Menschen. Manchmal, wenn im Park zu viele Leute unterwegs waren, hätte ich mich am liebsten im Gebüsch versteckt. Ich kann Menschenmassen nicht ab. Ich leide schon viele Jahre unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und gelegentlich auch unter Depressionen.

Meine Mutter mischte mir Rattengift in die Milch

Dass ich psychisch nicht stabil bin, hat mit meiner Mutter zu tun. Sie litt an dem sogenannten Münchhausen-­Stellvertretersyndrom, das hat mir später eine Psychologin während meiner Therapie erklärt. Leute mit ­dieser Störung tun Menschen, die ihnen nahestehen, etwas an, um dann die aufopferungsvolle Pflegerin zu spielen. Einmal hat meine Mutter mir Rattengift in die Milch gemischt, das hat sie selbst zugegeben, und dann hat sie zugeschaut, wie ich mich übergeben musste. Wenn ich daran denke, wird mir heute noch schlecht. Meine Mutter war nie in Behandlung, sie hielt sich nicht für krank. ­Als sie 2009 starb, war das für mich eine riesige Erleichterung. Heute kann ich endlich offen über all das sprechen, das macht mich froh.

Ich war wegen meiner psychischen Probleme mehrfach in Therapie, es ist besser geworden, aber noch nicht gut. Deshalb kann ich im Moment nicht arbeiten und bekomme eine Erwerbsminderungsrente. Ursprünglich ­habe ich eine Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht und ein paar Jahre in dem Beruf gearbeitet. Danach hatte ich verschiedene Jobs, zum Beispiel in einer Autovermietung. Wegen meiner Angst, auf fremde Menschen zuzugehen, bekam ich bei der Arbeit immer wieder Probleme.

Ich muss jetzt mindestens dreimal am Tag rausgehen

Die allerbeste Therapie, die ich je hatte, ist für mich Amigo. Ich kann jetzt wieder in die Öffentlichkeit gehen, Amigo zieht mich einfach mit. Wenn ich draußen doch mal Angst bekomme, konzentriere ich mich ganz auf ihn, spiele ihm zum Beispiel einen Ball zu, das lenkt mich ab. Und ich komme mit anderen Hundebesitzern ins Gespräch. Meine Nachbarin, eine ältere Dame, hat auch einen Hund, Kalle, wir haben uns angefreundet, das ist total schön. Auch die Hunde sind Kumpel geworden.

Seit ich mich um Amigo kümmere, kann ich auch ­besser für mich sorgen. Ich kaufe regelmäßig ein, habe Vorräte im Kühlschrank, lebe nicht mehr von der Hand in den Mund. Mein Tag ist endlich strukturiert, da ich ­mindestens dreimal am Tag mit Amigo rausgehe. Im ­Moment arbeite ich daran, dass er als Assistenzhund eingetragen wird, dann darf er fast überall mit rein, auch ­­ in den Supermarkt. Dafür muss er aber noch eine Aus­bildung in einer Hundeschule absolvieren.

Manchmal bin ich allerdings richtig sauer auf ­Amigo. Er hat ständig Hunger, auch wenn er schon ­etwas ­bekommen hat. Einmal hat er mein Risotto aufge­fressen, das auf dem Wohnzimmertisch stand, ich war nur kurz draußen. Ein anderes Mal hat er den Topf mit Königs­berger Klopsen vom Herd gezerrt und die Klopse ­aufgefressen. Zur Strafe musste er dann im Flur bleiben. Nach einer halben Stunde habe ich ihn wieder zu mir ins Wohnzimmer geholt – länger hielt ich es nicht aus.

Protokoll: Franziska Wolffheim

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.