DDR-Wochenkrippen
Sie gaben sie weg, weil es praktisch war
Bis in die Neunziger verbrachten viele DDR-Kinder die Woche in Krippen, oft schon als Säuglinge. Heike Liebsch gibt diesem lange tabuisierten Kapitel und seinen Folgen eine Stimme
Heike Liebsch im Lesesaal des Dresdner Stadtarchivs
Heike Liebsch im Lesesaal des Dresdner Stadtarchivs
Basti Winterscheid / Veto
Anna Schneider
01.10.2025
8Min

Als Heike Liebsch in den gläsernen Fahrstuhl des Dresdner Stadtarchivs steigt, wandert ihr Blick nach draußen. "Immer wenn ich hier hochfahre, eröffnet sich eine Perspektive auf einen schönen Tag", sagt die 61-Jährige und lächelt zufrieden. Damit meint sie nicht nur das Panorama – das Archiv liegt auf einem Hügel in der Äußeren Neustadt und eröffnet den Blick bis zur historischen Altstadt. Sondern vor allem das, was im vierten Stock auf sie wartet und was sie als ihr "zweites Wohnzimmer" bezeichnet: Im Lesesaal des Archivs stehen Arbeitsplätze bereit.

Die Regale sind mit historischen Werken gefüllt. Im Raum nebenan lassen sich an speziellen Geräten alte Zeitungen durchforsten. Nicht nur in Dresdens jüdische Geschichte hat sie sich hier zurückversetzen lassen, zu der die studierte Philosophin und Sozialpädagogin schon lange forscht. Ebenso in ein Kapitel DDR-Geschichte, das bis vor wenigen Jahren noch ein Tabu war: Wochenkrippen und -heime.

Hunderttausende Kinder im Alter von bis zu drei Jahren kamen Liebschs Schätzungen nach in Ostdeutschland zwischen 1950 und Anfang der Neunziger in solchen Einrichtungen unter – durchgehend von Montagmorgen bis Freitagabend. Bis in die Siebzigerjahre waren sie beim Eintritt in die Wochenkrippe erst wenige Wochen alt.

Mit vier Jahren ging es für viele in Heime. Auch hier blieben die Kinder über Nacht und sahen ihre Eltern nur am Wochenende. Was im Licht heutiger Erkenntnisse der Bindungsforschung zumindest zweifelhaft erscheint, sollte Müttern in der DDR das Arbeiten ermöglichen und damit den Nachwuchs der Republik sichern – und diesen zu sozialistischen Menschen erziehen.

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