Jugendkriminalität
Wenn sich Kinder radikalisieren
Die jetzt aufgedeckte Terrororganisation "Letzte Verteidigungswelle" bestand aus Jugendlichen. Um zu verhindern, dass junge Menschen in sozialen Medien derart abdriften, reichen staatliche Verbote und Sperren nicht aus. Wer stattdessen genauer hinschauen muss. Ein Kommentar
Junge sitzt in einem dunklen Zimmer an einem Computer
Häufig wissen die Eltern nicht, auf welchen Seiten ihre Kinder im Internet unterwegs sind
Nazar Abbas Photography / Getty Images
Lena Uphoff
26.05.2025
3Min

Die "Letzte Verteidigungswelle" ist nach bisherigen Erkenntnissen eine rechtsterroristische Vereinigung in Deutschland. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die Gruppe drei Anschläge oder Anschlagsversuche verübt hat. Ziel waren Asylbewerberheime und Unterkünfte von Geflüchteten. Das allein ist schon schrecklich genug. Noch schlimmer: Die mutmaßlichen Terroristen sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Sie haben sich offenbar mit Hilfe des Internets in kürzester Zeit radikalisiert.

Vergangene Woche wurde außerdem bekannt, dass russische Agenten in der Ukraine minderjährige Ukrainer über soziale Medien angeworben haben, um Sprengstoffanschläge zu verüben. Auch aus anderen Ländern wird berichtet, dass die Jugendkriminalität im Zusammenhang mit dem Internet und sozialen Medien rasant zunimmt. In Deutschland wird derzeit über Smartphone-Verbote an Schulen diskutiert. In anderen Ländern ist die Debatte weiter: In Großbritannien fordern führende Polizeibeamte, dass Jugendliche unter 16 Jahren gesetzlich von sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden. Australien hat ein solches Gesetz bereits.

Müssen Verbote die Konsequenz sein? Sicher ist: Das Internet und insbesondere die sozialen Medien haben bei der Radikalisierung der jungen Terroristen und bei anderen Jugendstraftaten eine zentrale Rolle gespielt. Aber trotzdem: Können wir die Verantwortung einfach abschieben und sagen: Die sozialen Medien sind schuld?

Bei den Fernsehberichten über die mutmaßlichen Mitglieder der "Letzten Verteidigungswelle" fiel auf, dass die Elternhäuser, in denen die Jugendlichen lebten, aussahen wie in jeder beliebigen deutschen Kleinstadt. Die Festnahmen erfolgten in ost- und westdeutschen Bundesländern. Es handelt sich weder um ein rein ostdeutsches Phänomen noch um besonders "verlorene" Kinder, die zum Beispiel außerhalb elterlicher Einflusssphären leben.

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Das erinnert an eine aufsehenerregende Netflix-Serie: Am 13. März 2025 startete die Serie Adolescence. Sie war sofort in 71 Ländern in den Netflix-Topcharts und belegte in Deutschland Platz 1. Über 20 Millionen Menschen sahen sie in den ersten Wochen.

In vier Episoden erzählt Adolescence die Geschichte des 13-jährigen Jamie Miller, der des Mordes an seiner Mitschülerin Katie Leonard beschuldigt wird. Im Verlauf der Serie stellt sich heraus, dass Jamie die Tat begangen hat; beeinflusst durch radikale Inhalte im Internet. Eine Schlüsselszene spielt sich in der letzten Folge ab: Jamies Eltern gestehen sich ein, dass sie erhebliche Mitverantwortung tragen, weil sie seine Internetnutzung nicht begleitet und nicht bemerkt haben, wie er sich online radikalisierte.

Ob bei der "Letzten Verteidigungswelle", bei den Anwerbungen in der Ukraine oder in der fiktionalen, aber hochaktuellen Netflix-Serie, stets spielt das Internet eine Hauptrolle. Und doch ist es ein anderer Aspekt, der uns mindestens ebenso alarmieren sollte: die elterliche Verantwortungslosigkeit.

Noch vor 20 Jahren war es völlig normal, dass Kindergartenkinder den kurzen Weg zur Einrichtung allein zurücklegten. Heute würden viele Eltern und Erzieher wahrscheinlich beunruhigt nachfragen, was mit dieser Familie los sei, wenn Kinder unbegleitet in den Kindergarten kommen würden. Viele Eltern achten penibel darauf, dass ihre Kinder nicht unbeaufsichtigt unterwegs sind, und überwachen sie sogar mit GPS-Trackern. Diese physische Kontrolle steht in starkem Kontrast zum laxen Umgang mit der digitalen Welt: In Deutschland besitzen 76 Prozent der 10- bis 12-Jährigen ein eigenes Smartphone, bei den 13- bis 15-Jährigen sind es bereits 90 Prozent. Was die Kinder damit tun, was sie sehen, lesen oder schreiben – das interessiert viele Eltern kaum.

Aber: Das Internet und soziale Medien sind kein Schicksal, das uns wie eine Naturgewalt überrollt. Eltern haben es in der Hand, was ihre Kinder online anschauen und tun. Zahlreiche Initiativen und NGOs haben sich auf die Medienerziehung spezialisiert. Auch in den Schulen wird das Thema behandelt. Aber ohne den Willen, die Mühe und die Verantwortung der Eltern wird es nicht gehen.

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