Vereidigung von Donald Trump
Die Wucht der leisen Worte
Eine Bischöfin erinnert Donald Trump an die christliche Kernbotschaft - und auf einmal wirken der Präsident und seine Gefolgschaft unsicher und klein. Was für eine Predigt von Mariann Edgar Budde!
Reverend Mariann Edgar Budde spricht, während US-Präsident Donald Trump, First Lady Melania und US-Vizepräsident J.D. Vance mit Second Lady Usha am Gottesdienst zum Nationalen Gebetstag in der Washington National Cathedral in Washington teilnehmen
Mit der Bitte um Barmherzigkeit: Mariann Edgar Budde wendet sich in der Washington National Cathedral direkt an Donald Trump
Kevin Lamarque / picture alliance / REUTERS
Tim Wegner
22.01.2025
5Min

Es ist ganz still in National Cathedral in Washington, und Bischöfin Mariann Edgar Budde ist fast am Ende Ihrer Ansprache angekommen, als sie noch einmal Luft holt und kurz in Richtung des mächtigsten Mannes der Welt blickt. "Lassen Sie mich eine letzte Bitte äußern", sagt sie. Und fährt in ruhigen Worten fort (eine deutsche Übersetzung und die englische Orginalfassung finden Sie unter diesem Text).

Was dann folgt, ist ein Paradebeispiel dafür, welche Kraft von Worten ausgehen kann, wenn diejenige, die sie spricht, auch an sie glaubt. Und welche Wucht ein sakraler Raum entfalten kann, in dem auch die Mächtigen nur Zuhörer sind.

Mariann Edgar Budde, Bischöfin der Episkopalkirche, einer der ältesten Kirchen in den USA, spielt darauf an, dass Trump in seiner Inaugurationsrede gesagt hatte, Gott habe ihn beim Anschlag in Pennsylvania im Juli beschützt. Das ist klug, denn was sollte Trump gegen diesen Gott haben? Die Bischöfin sagt also: "Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, Erbarmen mit den Menschen in unserem Land zu haben, die jetzt Angst haben." Dann zählt sie all jene auf, die bei Trump verhasst sind. Menschen etwa, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen. Oder Geflüchtete, die wichtige Arbeit verichteten. "Sie sind vielleicht keine Staatsbürger oder besitzen nicht die richtigen Papiere, aber die große Mehrheit der Einwanderer sind keine Kriminellen. Sie zahlen Steuern und sind gute Nachbarn."

Lesen Sie hier aus unserer Reihe "Religion für Neugierige" die Antwort auf die Frage: "Dürfen Christen hassen?"

Die Sequenz ist nur wenige Minuten lang, aber jeder Satz ist ein Treffer. Es gibt Aufnahmen, die Trump und seinen Vizepräsidenten Vance zeigen, während die Bischöfin spricht. Man meint zu erkennen, dass sie unruhig werden. Man sieht, wie die Umsitzenden staunen. Sie haben wohl Feierliches und die nächste Lobpreisung Trumps erwartet - aber stattdessen nimmt Mariann Edgar Budde ihn ins Gebet. Er wirkt klein und machtlos, wenn er nicht poltern kann. Trump kann nicht anders, er muss sie anhören, die christliche Botschaft der Nächstenliebe. Ob er sie versteht? Das ist eine andere Frage. Aber alle Menschen in den Vereinigten Staaten konnten an diesem Tag hören, dass sie gesehen werden von dieser Gottesfrau. Sie setzt einen geistlich-moralischen Maßstab an, der Trump vielleicht stärker einzuhegen vermag, als es das System der "Checks and Balances" noch könnte.

In Deutschland gibt es immer wieder Streit darüber, wie politisch Kirche sein solle und dürfe. Man möchte sich wünschen, dass Mariann Edgar Budde ihre Predigt auch bei uns, in diesem deutschen Wahlkampf hielte, vor allen Kandidierenden und ihren Claqueuren. Denn auch bei uns werden ganze Gruppen von Menschen pauschal als Gefahr herabgewürdigt, weil man sich davon Stimmen erhofft.

Mariann Edgar Budde hat Trump an eine Botschaft erinnert, die zu verstehen, zu respektieren und zu leben nicht bedeutet, Probleme zu verschweigen. Diese Botschaft mahnt uns aber zu erkennen, dass es bei politischen Entscheidungen immer um Menschen geht.

* * *

Hier der Auszug der Ansprache von Bischöfin Mariann Edgar Budde in einer deutschen Übersetzung:

Lassen Sie mich eine letzte Bitte äußern.

Herr Präsident, Millionen Menschen haben ihr Vertrauen in Sie gesetzt. Und wie Sie gestern der Nation gesagt haben, haben Sie die schützende Hand eines liebenden Gottes gespürt.

Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, Erbarmen mit den Menschen in unserem Land zu haben, die jetzt Angst haben.

Es gibt schwule, lesbische und Transgender-Kinder in demokratischen, republikanischen und parteipolitisch unabhängigen Familien – einige von ihnen fürchten um ihr Leben.

Und es gibt die Menschen, die unsere Felder bestellen, unsere Bürogebäude reinigen, in Geflügelfarmen und Schlachthöfen arbeiten, das Geschirr abwaschen, nachdem wir in Restaurants gegessen haben, und Nachtschichten in Krankenhäusern übernehmen. Sie sind vielleicht keine Staatsbürger oder besitzen nicht die richtigen Papiere, aber die große Mehrheit der Einwanderer sind keine Kriminellen. Sie zahlen Steuern und sind gute Nachbarn.

Sie sind gläubige Mitglieder unserer Kirchen, Moscheen, Synagogen, Gurdwaras und Tempel.

Ich bitte Sie, Herr Präsident, um Erbarmen mit denjenigen in unseren Gemeinden, deren Kinder befürchten, dass ihnen ihre Eltern weggenommen werden. Und darum, dass Sie denen helfen, die aus Kriegsgebieten und vor Verfolgung in ihren eigenen Ländern fliehen, hier Mitgefühl und Aufnahme zu finden.

Unser Gott lehrt uns, dass wir barmherzig gegenüber dem Fremden sein sollen, denn wir alle waren einst Fremde in diesem Land.

Möge Gott uns die Kraft und den Mut geben, die Würde jedes Menschen zu ehren, die Wahrheit zueinander in Liebe zu sprechen und demütig miteinander und mit unserem Gott zu gehen – zum Wohl aller Menschen in dieser Nation und in der Welt.

Hier der Auszug im englischen Original:

Let me make one final plea.

Mr. President, millions have put their trust in you. And as you told the nation yesterday, you have felt the providential hand of a loving God.

In the name of our God, I ask you to have mercy upon the people in our country who are scared now.

There are gay, lesbian, and transgender children in Democratic, Republican, and Independent families—some who fear for their lives.

And the people—the people who pick our crops, clean our office buildings, labor in poultry farms and meatpacking plants, wash the dishes after we eat in restaurants, and work the night shifts in hospitals. They may not be citizens or have the proper documentation, but the vast majority of immigrants are not criminals. They pay taxes and are good neighbors.

They are faithful members of our churches, mosques, synagogues, gurdwaras, and temples.

I ask you to have mercy, Mr. President, on those in our communities whose children fear that their parents will be taken away. And that you help those who are fleeing war zones and persecution in their own lands to find compassion and welcome here.

Our God teaches us that we are to be merciful to the stranger, for we were all once strangers in this land.

May God grant us the strength and courage to honor the dignity of every human being, to speak the truth to one another in love, and to walk humbly with each other and our God—for the good of all people in this nation and the world.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.