Evolution
Ist uns die Gewalttätigkeit angeboren, Herr Michel?
Ein Blick in die Geschichte - und man hat den Eindruck, dass Menschen schon immer Kriege führten. Aber stimmt das? Ein Gespräch über Jäger und Sammler, Schimpansen und darüber, warum Despoten gern von Verteidigungskriegen reden
Der Historiker Kai Michel neben dem berühmten Mammut von Pfännerhall im Landesmuseum Halle. Mammuts standen durchaus auf dem "Speiseplan" unserer Vorfahren
Christiane Gundlach
Tim Wegner
31.12.2024
11Min

Wir Menschen können auf den Mond fliegen, haben viele Krankheiten ausgerottet. Aber wir haben nicht gelernt, dauerhaft in Frieden zu leben. Führen wir immer weiter Kriege, weil wir von Natur aus zur Gewalt neigen?

Kai Michel: Nein, von unserer Natur aus sind wir kooperative, höchst soziale Lebewesen. 99 Prozent der Menschheitsgeschichte lebten Menschen weitgehend friedlich. Der Krieg ist ein Phänomen der letzten, grob gesagt, 7000 bis 8000 Jahre. Er ist damit eine Anomalie, nicht der Normalzustand des Homo sapiens.

Aber reichen 7000 Jahre nicht, um den Eindruck zu bekommen, dass schon immer Krieg war?

Bisher haben sich vor allem Historiker mit Kriegsgeschichte befasst, die sich auf schriftliche Quellen stützten. Schrift existiert aber erst seit gut 5000 Jahren – und stammt aus jenem einen Prozent der Menschheitsgeschichte, in dem der Krieg alltäglich geworden war. Für unser Buch "Die Evolution der Gewalt" haben wir deshalb im Team gearbeitet: der Evolutionsbiologe und Primatologe Carel van Schaik, der Archäologe Harald Meller und ich als Historiker. So konnten wir auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse 2,5 Millionen Jahre berücksichtigen und das komplette Panorama der menschlichen Evolution in den Blick nehmen. Es zeigt sich: Die längste Zeit kamen Menschen ohne Kriege aus. Wir sind nicht zum Krieg verdammt.

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